Fachpublikation

Bildungsorte und Lernwelten der Baukultur

Thema

Baukulturelle Bildung von Kindern und Jugendlichen

Autoren/Autorinnen

Angela Million/Thomas Coelen/Felix Bentlin/Sarah Klapp/Christine Zinke

Erscheinungsort

Ludwigsburg

Erscheinungsjahr

2019

Stiftungsengagement

Wüstenrot Stiftung

Literaturangabe

Angela Million/Thomas Coelen/Felix Bentlin/Sarah Klapp/Christine Zinke: Bildungsorte und Lernwelten der Baukultur. Momente und Prozesse baukultureller Bildung von Kindern und Jugendlichen. Hg. v. Wüstenrot Stiftung. Ludwigsburg 2019.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass sich Baukultur aus vielfältigen Aspekten zusammensetzt:

  • Architektur und Gestaltung,
  • Funktion und Anmutung des öffentlichen Raumes,
  • Zusammenspiel von Stadt und Landschaft,
  • eine Raumkultur, die Identität und Heimat vermitteln kann.

An Baukultur sind auch eine Vielzahl an Akteur*innen beteiligt: Fachleute, öffentliche und private Bauherren, Unternehmen, politisch Verantwortliche und weitere Einzelpersonen und Institutionen. 

Letztlich muss Baukultur aus Sicht der Autor*innen als „Gemeinschaftsaufgabe“ betrachtet werden: Die gebaute Umwelt sei ein wichtiger, immer präsenter Teil der Alltags- und Lebensqualität, für die Zivilgesellschaft, Politik und Unternehmen zusammen Verantwortung tragen.

Die Publikation präsentiert die Ergebnisse eines Forschungsprojekts, das gemeinsam von der Technischen Universität Berlin (Prof. Angela Million, Felix Bentlin, Sarah Klepp), der Universität Siegen (Prof. Thomas Coelen, Christine Zinke) und der Wüstenrot Stiftung durchgeführt wurde. In der Kooperation von zwei Fachrichtungen (Raumwissenschaften und Erziehungswissenschaften) sowie einer privaten Stiftung wurde ein interdisziplinärer Ansatz verfolgt.

Ziel des Forschungsprojekts war die Untersuchung der Frage, wie Baukultur sowohl Lernanlass als auch Lerninhalt für Kinder und Jugendliche sein kann.

In sechs Fallstudien wurden dazu Interviews mit Kindern im Alter von 8 bis 18 Jahren geführt. Diese Erzählungen werden durch die Anleiter*innen kontextualisiert und durch eine Analyse der Angebotsstrukturen ergänzt. Damit sollen die Charakteristika der unterschiedlichen baukulturellen Bildungsangebote aus der Sicht der Heranwachsenden dargestellt und Schlussfolgerungen für die Weiterentwicklung der baukulturellen Bildungspraxis gezogen werden.

Wichtige Ergebnisse

Alltägliche Bildungsorte und Lernwelten als Vermittler von Baukultur

Deutlich wird, dass Kinder und Jugendliche ein implizites und breites Verständnis von „Planen, Bauen, Gestalten und Architektur“ haben, z.B. durch Renovierungsarbeiten in der eigenen Wohnung, beim Sandburgen-Bauen am Strand, durch das Einrichten des eigenen Zimmers oder Malen und Basteln. Dabei sind Momente und Prozesse baukultureller Bildung eng mit den Sozialisationsbedingungen der Kinder und Jugendlichen verbunden. Diese werden von den Wissenschaftler*innen in Form wichtiger Bildungsorte und Lernwelten dargestellt:

  • Familie
  • Kindergarten
  • Schule
  • Freizeit und Freund*innen
  • Medien
  • Sozialraum

Familie

In den Erzählungen der Kinder zeige sich, dass sie erste Erfahrungen mit Bauen und Gestalten zunächst in der Familie machen: Das Zuhause sei der lebensweltliche Ausgangspunkt von Kindern, von dem ausgehend sie sich weitere Räume aneignen. Offenbar prägten die Interessen und Alltagstätigkeiten der Familie die baukulturellen Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen in besonders hohem Maß. Die Beteiligung an familiären Bauprozessen reiche von der Beobachtung über Bautätigkeiten über Prozesse des Mitentscheidens und Mitbestimmens bis hin zu unterstützenden sowie selbsttätigen (handwerklichen und planenden) Tätigkeiten.

Bildungsorte Kindergarten und Schule

Im Kindergarten oder im Primarbereich der Schule, die stärker institutionalisierte und territorial verankerte Lern- oder Betreuungsorte darstellen, erlebten die Kinder eher spielerische Bau- und Kreativtätigkeiten (z.B. Malen, Basteln oder Bauen mit unterschiedlichen Materialien). In der Sekundarstufe stünden hingegen stärker zielgerichtete sowie strukturierte Bau- und Lernerfahrungen im Vordergrund (z.B. räumliches Zeichnen oder Modellbau).

Lernwelten Freizeit und Freund*innen

In der Freizeit, mit Freund*innen und mittels Medien (vor allem digitale Angebote wie Computerspiele und YouTube-Videos) würden persönliche Erfahrungswelten geschaffen, etwa durch interessen- oder hobbyspezifische Aktivitäten des Bauens. Hier könnten die Heranwachsenden in einer Vielzahl von Lernwelten in unterschiedlichen Rollen (Beobachter*innen, Nutzer*innen, Akteur*innen) individualisiert und selbstbestimmt verschiedene (Bau-)Phänomene entdecken und ausprobieren. Die Bandbreite der Lernerfahrungen und -formen reiche dabei von kreativ-gestalterischen Aktivitäten (z.B. Zeichnen, Origami oder Modellflugzeuge bauen) über handwerklich-praktische Tätigkeiten in selbst gestellten Aufgaben (z.B. Segelboot oder Surfbrett bauen) und gesellschaftlichem Engagement (z.B. ehrenamtlich Fahrräder reparieren oder sich als Jugendvertreter*in bei einem Bürgerbegehren einbringen) bis hin zur Teilnahme an baukulturellen Vermittlungsangeboten (z.B. beim Bauworkshop im Deutschen Architekturmuseum (DAM)). Diese Aktivitäten seien dadurch gekennzeichnet, dass sie mit zunehmendem Alter zu einem wichtigen Bezugsrahmen selbstbestimmter Aneignung und Nutzung werden.

Lernwelt Sozialraum

Auch Reisen in ferne Länder oder die Wahrnehmung des gebauten Raums im Alltag könnten wichtige Meilensteine des baukulturellen Lernens sein und sich in das Gedächtnis der Kinder und Jugendlichen einprägen (z.B. der Besuch einer asiatischen Metropole oder eines Museums). Insbesondere die Verknüpfung der visuellen Wahrnehmung von gebautem Raum und theoretisch vermittelten Wissen (z.B. im Schulunterricht) erweist sich nach Ansicht der Wissenschaftler*innen als wichtige baukulturelle Lernerfahrung. Theoretisches Wissen werde durch diese Anknüpfung anschlussfähig an weitere biografische Erlebnisse und Lebensthemen. Diese Einbindung einer emotionalen Komponente an baukulturelle Lernerfahrungen erhöhe die Themenrelevanz für die Kinder und Jugendlichen und dadurch die Transfer- und Nachhaltigkeitsmöglichkeiten baukultureller Bildung.

Lernwelt Medien

Bauerfahrungen würden von den Heranwachsenden nicht nur in der „realen Welt“, sondern auch in der „virtuellen Welt“ verortet. Kinder und Jugendliche schätzten das kreative Ausleben von gestalterischen Ideen im Kreis von Familie und Freund*innen, doch fänden sie es in der virtuellen Welt leichter und grenzenloser, Fortschritt zu erleben und Herausforderungen zu meistern, etwa in Bezug auf die Verfügbarkeit von Ressourcen (finanzielle Mittel, Baustoffe, Fläche etc.). Die Heranwachsenden würden hier selbstverständlich verschiedene Lernangebote verschränken, Peer Learning nutzen und teilweise als Tutor*innen für jüngere Geschwister oder Freund*innen wirken. Die Autor*innen weisen darauf hin, dass die digitale baukulturelle Lernwelt bisher kaum Beachtung im professionellen Feld baukultureller Bildung findet und als Parallelwelt meist neben den baukulturellen Angeboten anderer Anbieter existiert.

Schlussfolgerungen für Bildungspraxis und -forschung

Die Autor*innen kommen zu dem Schluss, dass gezielt baukulturelle Bildungsgelegenheiten für Kinder und Jugendliche geschaffen werden sollten. Geeignete Maßnahmen seien:

  • Vielfältige Settings baukultureller Bildung kultivieren
  • Baukulturelle Bildung in der Schule verankern
  • Gesamten (Stadt-)Raum als Bildungsraum nutzen
  • Familiäres Lernen berücksichtigen
  • Zugänge über Materialien und Werkzeuge öffnen
  • Digitale Lernwelten erschließen
  • Baukulturelle Bildung mit Beteiligung verbinden
  • Anleiter*innen weiterqualifizieren
  • Baukulturelle Bildungsangebote politisch fördern

Daraus könnten sich vielfältige Chancen für die Weiterentwicklung der baukulturellen Bildungspraxis ergeben. 

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