Fachpublikation

Auf Augenhöhe. Leitung von Elterninitiativen in gemeinsamer Verantwortung von Eltern, Erzieherinnen und Erziehern

Thema

Elterninitiativen als besondere Form der Kita

Herausgeberschaft

Bertelsmann Stiftung

Autoren/Autorinnen

Hilke Falkenhagen/Tim Frauendorf/Norbert Bender, unter Mitarbeit von Iris Hentschel

Erscheinungsort

Gütersloh

Erscheinungsjahr

2017

Stiftungsengagement

Bertelsmann Stiftung

Literaturangabe

Hilke Falkenhagen/Tim Frauendorf/Norbert Bender, unter Mitarbeit von Iris Hentschel: Auf Augenhöhe. Leitung von Elterninitiativen in gemeinsamer Verantwortung von Eltern, Erzieherinnen und Erziehern. Gütersloh 2017.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass nur eine qualitativ hochwertige Frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE) in den Kindertageseinrichtungen (Kitas) positive Entwicklungs- und gute Bildungschancen für Kinder gewährleisten kann. Um eine gute Qualität in diesen Einrichtungen sicherzustellen, ist die professionelle Führung und Leitung von großer Bedeutung. Doch gibt es bislang nur wenig wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu diesem Thema.

Vor diesem Hintergrund hat die Bertelsmann Stiftung im Rahmen des „Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme“ in der Schwerpunktreihe „KiTa-Leitung“ vier Studien initiiert. Die vorliegende dritte Veröffentlichung „Auf Augenhöhe“ richtet den Fokus auf Elterninitiativen als eine besondere Form der Kindertageseinrichtungen.

Elterninitiativen (auch „Kinderläden“) haben im Vergleich zu anderen Träger- und Einrichtungsformen eine spezifische Organisationstruktur: Es sind kleine, von Eltern ehrenamtlich selbst verwaltete Kindertageseinrichtungen mit in der Regel 10 bis 40 Plätzen – meist in der Rechtsform eines gemeinnützigen eingetragenen Vereins, in dem traditionell die Eltern der betreuten Kinder Mitglieder sind. In den vergangenen Jahren haben sich diese Vereine auch zunehmend für die Mitgliedschaft von Erzieherinnen und Erziehern wie auch externen Fördermitgliedern geöffnet. Der Verein fungiert als Träger der Elterninitiativkindertagesstätte; er wird durch seinen Vorstand juristisch vertreten und von allen Vereinsmitgliedern arbeitsteilig, partizipativ und in der Regel nichthierarchisch gestaltet und gemeinsam organisiert. Im Sinne einer distributiven (geteilten) Führung sind Leitungstätigkeiten meist auf mehrere Personen verteilt und es sind oft keine klassischen Führungsebenen vorhanden.

Angesichts dieser Besonderheiten wird in der Studie der Frage nachgegangen, wie Leitungstätigkeiten und -rollen im selbstorganisierten System Elterninitiative ausgeübt werden. Um hierüber Erkenntnisse zu gewinnen, wurde mit dem Verband Bundesarbeitsgemeinschaft der Elterninitiativen (BAGE e. V.) zusammengearbeitet, der bundesweit die Interessen von über 2.000 Elterninitiativen vertritt. Das Projektteam, bestehend aus Dr. Hilke Falkenhagen, Tim Frauendorf, Norbert Bender und Iris Hentschel, widmete sich folgenden Forschungsfragen:

  • Welche praktischen Erfahrungen gibt es im Umgang mit Leitungstätigkeiten in Elterninitiativen?
  • Welche Modelle der Aufgabenverteilung zwischen ehrenamtlichem Vorstand, Eltern und Fachkräften bewähren sich in der Praxis?
  • Welche Bedingungen tragen dazu bei, dass Leitungsprozesse in Elterninitiativen gelingen oder misslingen?

Die Studie liefert eine empirische Wissensbasis über Potenziale und Risiken für Leitungsprozesse in Elterninitiativen, die z.B. von Dachverbänden sowie Fort- und Weiterbildungsinstituten genutzt werden können, um ihre (Unterstützungs-)Angebote weiterzuentwickeln.

Zur Beantwortung der Fragen wurde ein Mix aus quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden eingesetzt. Kern der Untersuchung waren 21 exemplarische Interviews mit Elternvorständen, Leitungspersonen sowie Erzieherinnen und Erzieherinnen mit Leitungsaufgaben in drei Bundesländern (Bayern, Berlin und Niedersachsen), die zwischen Januar 2015 und Januar 2016 geführt wurden. Zudem wurden bundesweit Fragebögen an Elterninitiativen und die Dachverbände der BAGE verschickt und ausgewertet.

Wichtige Ergebnisse

Potenziale und Risiken für Leitungsprozesse in Elterninitiativen

Die Projektergebnisse spiegeln eine Vielfalt an Leitungskonstellationen in Elterninitiativen wider: Es gibt nicht „das eine richtige Modell“. Die Studie zeigt jedoch, dass bestimmte Bedingungen in Elterninitiativen entweder förderlich oder gefährdend für Leitungsprozesse sind. Deutlich wird auch, dass die steigenden gesellschaftlichen und politischen Anforderungen an die Qualität in den Einrichtungen auf fehlende zeitliche und monetäre Ressourcen in den Elterninitiativen treffen, was sich sowohl auf die Eltern als auch auf die Fachkräfte negativ auswirkt und durch ein hohes ehrenamtliches Engagement aller Beteiligten nur teilweise aufgefangen werden kann. Daraus wird abgeleitet, dass die Rahmenbedingungen für alle Beteiligten in Elterninitiativen dringend verbessert werden müssen, damit diese spezifische Form der Kindertageseinrichtungen weiterhin in einer vielfältigen Trägerlandschaft im Kita-System fortbestehen kann.

Aus den Antworten der Akteurinnen und Akteure in Elterninitiativen wurden 24 Leitungsaufgaben herausgearbeitet. Die Befragten benannten als die drei wichtigsten Aufgaben:

  • Gesamtorganisation/-überblick,
  • Personalführung,
  • Koordination der pädagogischen Arbeit.

Die Rangfolgen der Nennungen zeigen deutliche Unterschiede innerhalb der drei verglichenen Bundesländer, sodass angenommen werden kann, dass länderspezifische gesetzliche und finanzielle Rahmenbedingungen einen erheblichen Einfluss haben.

Leitung als gemeinsame Aufgabe aller Beteiligten:

Die Antworten zeigen, dass in Elterninitiativen kaum zwischen Träger- und Leitungsaufgaben unterschieden wird. Vielmehr werden die anfallenden Aufgaben in der Praxis zwischen den Beteiligten abgestimmt. Je nach Elterninitiative können sowohl Eltern als auch Leitungspersonen, Erzieherinnen und Erzieher in unterschiedlicher Weise an allen anfallenden Leitungsaufgaben beteiligt sein. Leitung wird als gemeinsame Aufgabe angesehen, die in der Regel auf Augenhöhe zwischen den Beteiligten stattfindet.

Potenziale und Risiken von bestimmten Leitungskonstellationen:

Bei der Betrachtung unterschiedlicher Konstellationen bei der Verteilung von Leitungsaufgaben zwischen Elternvorstand, Leitungspersonen und Team wurde deutlich, dass sich inhaltliche Schwerpunktsetzungen und Zuständigkeitsverteilungen unterscheiden, die Leitungsaufgaben selbst aber in ähnlicher Weise beschrieben werden. Die Ergebnisse lassen keine Aussagen darüber zu, welche Leitungskonstellationen für das Gelingen oder Misslingen von Leitung in Elterninitiativen am förderlichsten sind. Doch konnten auf Basis der Erfahrungen der Beteiligten Potenziale und Risiken bei bestimmten Konstellationen aufgezeigt werden (z.B. Rollendiffusion, Zwischen-den Stühlen-Sitzen).

Große Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements:

Leitungsaufgaben werden von den Elternvorständen in der Regel ohne, von Erzieherinnen und Erziehern zu etwa einem Drittel der dafür aufgebrachten Zeit ohne finanziellen Ausgleich ausgeführt. Deutlich wird, dass Elterninitiativen nur durch ein hohes Maß an ehrenamtlichem Engagement bestehen können. Entsprechend müssen Eltern, Erzieherinnen und Erzieher auch anhand ihrer Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement ausgewählt werden. Dies bedeutet, dass in den Elterninitiativen in der Regel Eltern mit den erforderlichen Voraussetzungen aktiv sind: Sie müssen einerseits die Fähigkeit mitbringen, sich in selbstverwalteten Zusammenhängen zu orientieren und zu beteiligen, und andererseits über die notwendigen zeitlichen und materiellen Ressourcen für ehrenamtliches Engagement verfügen. Daraus ergibt sich eine gewisse Exklusivität, die auch innerhalb der Dachverbände immer wieder kritisch diskutiert wird, da der Anspruch besteht, solidarisch und offen für vielfältige Familienkulturen zu sein (was nur teilweise gelingt).

Mögliche Probleme durch fehlende Fachkompetenzen:

Die Qualität der Leitung in Elterninitiativen wird durch die Kompetenzen der an Leitung beteiligten Personen deutlich beeinflusst. Elternvorstände im sozialpädagogischen Handlungsfeld sind häufig fachfremd, was dazu führt, dass dem Team in Elterninitiativen häufig ein hohes Maß an Selbstbestimmung in ihrer pädagogischen Arbeit sowie deren Planung und Gestaltung gewährt wird. Wenn die Elternvorstände allerdings Eingriffe in den pädagogischen Bereich vornehmen, können daraus vielfältige Probleme entstehen. So können z.B. Leitungspersonen ohne Fachkompetenzen nicht ausreichend einschätzen, wie sich eine Senkung der Altersgrenzen der zu betreuenden Kinder auswirkt. Deshalb erscheint es sehr wichtig, dass sich Elternvorstände, Erzieherinnen und Erzieher intensiv austauschen und den fachlichen Einschätzungen des Teams ein großes Gewicht beigemessen wird.

Potenziale durch persönliche Nähe und Kommunikation:

Wenn die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Team funktioniert, können durch die vielen unterschiedlichen Kompetenzen der an Leitungsaufgaben beteiligten Personen positive Effekte entstehen. Was zu einer solchen gelingenden Zusammenarbeit beiträgt, wurde in neun Dimensionen des Gelingens von Leitungshandeln in Elterninitiativen herausgearbeitet. Insbesondere die basisdemokratischen Strukturen und die Übersichtlichkeit (in Hinblick auf Größe und persönliche Nähe) bergen Potenziale. Dazu gehört z.B., dass die an Leitungsaufgaben Beteiligten täglich persönlich miteinander kommunizieren können. Vieles gelingt dann besser, weil die Wege kurz und jederzeit spontane Absprachen möglich sind.

Hoher Bedarf an Transparenz und Dokumentation:

Zugleich wurde deutlich, dass der Bedarf an Transparenz und Dokumentation in Elterninitiativen groß ist, damit vorhandenes Wissen gesichert und für die nachfolgende Generation nutzbar gemacht werden kann. Offen ist die Frage, wie Eltern und Teams diesen Bedarf auf Dauer und bei wachsenden äußeren Anforderungen erfüllen können bzw. welche Unterstützungsstrukturen und zusätzliche Ressourcen sie dafür benötigen.

Unterstützungsbedarf:

Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass Elterninitiativen eine Anbindung und einen verfügbaren Zugang zu Unterstützungssystemen brauchen. Entsprechende Angebote stellen vor allem die Dachverbände bereit, die für die Informationsvermittlung, Beratung, Fortbildung und fachpolitische Vertretung der Elterninitiativen sorgen. Sie bieten Ansprechpartnerinnen und -partner, Kontakt- und Vernetzungsmöglichkeiten sowie eine Einbindung, die von vielen Befragten als große Sicherheit und notwendige Unterstützung erlebt wird. Darüber hinaus besteht ein Bedarf an weiteren Angeboten, insbesondere zu den Themen Leitungsqualifizierung, Teamentwicklung und Supervision. Die Dachverbände sollten somit vorhandene Strukturen ausbauen und zusätzliche Ressourcen für die vielfältigen Aufgaben erschließen, um Elterninitiativen bestmöglich unterstützen zu können.

Fazit

Die Autoren kommen zum Ergebnis, dass Leitungsaufgaben in Elterninitiativen nicht universell beschreibbar sind. Vielmehr finde jede Elterninitiative ihren eigenen Weg, mit den anstehenden Aufgaben und Herausforderungen umzugehen. Ebenso individuell müssten auch die Unterstützungsformen sein, die seitens der Dachverbände angeboten und zur Verfügung gestellt werden.

In Hinblick auf Beteiligung und Mitbestimmung sehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Elterninitiativen ein Modell für Leitung, das in der Kitalandschaft in dieser Form kaum anzutreffen ist: In der Regel gibt es in Elterninitiativen keine oder nur flache Hierarchien und sie sind nur teilweise mit benannten Leitungspersonen ausgestattet. Dennoch bewältigen Eltern, Erzieherinnen und Erzieher komplexe Leitungsaufgaben durch Kommunikation und Dialog auf Augenhöhe. Aushandlungsprozesse werden mit hohem Ressourceneinsatz geführt und dienen als Vorbild und Beispiel auch für eine demokratische Erziehung der Kinder.

Auch wenn die Interviews deutlich machen, dass es innerhalb dieser Strukturen zu Risiken und erheblichen Herausforderungen kommen kann, sehen die Autorinnen und Autoren in Elterninitiativen weiterhin ein attraktives Modell für Kinderbetreuung, unter anderem weil sich die Eltern, Erzieherinnen und Erzieher in diesen Einrichtungen mit einer hohen Motivation und Identifikation mit ihrer Elterninitiative täglich für die zu bewältigenden Aufgaben einsetzen. Die Beteiligung vieler Personen insbesondere an den Leitungsprozessen erfordere in hohem Maße eine Kooperations- und Dialogfähigkeit aller Beteiligten sowie ein gemeinsames Interesse an der Elterninitiative. Im Vordergrund stehe dabei häufig nicht die Effektivität von Prozessen und Entscheidungen, sondern das gemeinsame Ziel, dass möglichst alle Beteiligten einbezogen werden und die getroffenen Entscheidungen unterstützen, sodass die Entscheidungen auch langfristig tragfähig sind. In diesem Sinne stünden Elterninitiativen stellvertretend für ein notwendiges Umdenken in der Gesellschaft – weg von einseitigem Effektivitätsdenken hin zu mehr Kommunikation, Kooperation und Dialog –, also für Werte, die immer notwendiger werden und die Kinder in Zukunft dringend brauchen werden.