Studie

Bildungserfahrungen an Freien Alternativschulen

Thema

Erfahrungen von Schülerinnen und Schülern an Freien Alternativschulen

Autoren/Autorinnen

Dirk Randoll/Ines Graudenz/Jürgen Peters/Andreas Lischewski

Erscheinungsort

Wiesbaden

Erscheinungsjahr

2017

Stiftungsengagement

Software AG Stiftung

Literaturangabe

Dirk Randoll/Ines Graudenz/Jürgen Peters: Bildungserfahrungen an Freien Alternativschulen. Eine Studie über Schüleraussagen zu Lernerfahrungen und Schulqualität. Mit einem Beitrag von Prof. Dr. Andreas Lischewski. Wiesbaden 2017.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Die Studie zielt darauf, die Qualität der schulischen Bildungsprozesse an Freien Alternativschulen zu analysieren, indem die Perspektive der von Schule unmittelbar Betroffenen – den Schülerinnen und Schülern – ermittelt wird. Daraus sollen Anhaltspunkte abgeleitet werden, in welchen Bereichen die Ziele der Freien Alternativschulen erfüllt werden und wo Veränderungen notwendig sind. Zur Einordnung der Studie wird auch das kontextuelle und konzeptionelle Selbstverständnis der Freien Alternativschulen und ihre Entstehungsgeschichte nachgezeichnet.

Im Mittelpunkt der Studie stehen folgende Fragen:

  • Welche Qualitäten hat eine Schulform, die vor allem auf Eigenständigkeit, Selbstmotivation und Selbstverantwortung ihrer Schülerinnen und Schüler setzt und ihnen viel Freiheit beim Lernen lässt?
  • Wie kommen die Schülerinnen und Schüler mit dieser Freiheit und den entsprechenden Lernarrangements zurecht?
  • Werden die dort Lernenden auch hinreichend gefördert und gefordert?

Durchgeführt wurde eine schriftliche Befragung von Schülerinnen und Schülern aus Freien Alternativschulen, die im Schuljahr 2013/14 die Sekundarstufe I besuchten. Von diesen haben 947 Schülerinnen und Schüler (Anteil von 51 Prozent) an 38 Freien Alternativschulen (Anteil von 81 Prozent) an der Befragung teilgenommen. Der eingesetzte Fragebogen wurde mit Unterstützung von Vertreterinnen und Vertretern des Bundesverbands der Freien Alternativschulen (BFAS) entwickelt. Die 170 geschlossenen und drei offenen Fragen bezogen sich auf folgende Themen: Schulwahlmotive der Eltern, Identifizierung mit Schule, Lehrer-Schüler-Beziehung, Lernen und Unterricht, Leistungsprinzip von Schule, Individuelle Freiheiten an der Schule, Einfluss von Schule, Ziele der Freien Alternativschule, Schulprobleme, personenbezogene Daten.

Durchgeführt wurde die Studie an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn von Prof. Dr. Dirk Randoll, Ines Graudenz und Jürgen Peters, ergänzt durch einen Beitrag von Prof. Dr. Andreas Lischewski. Die Befragung wurde vom Bundesverband der Freien Alternativschulen (BFAS) organisiert, die Datencodierung und Datenanalyse besorgte die Firma Sociotrend in Heidelberg; weitere Berechnungen wurden am Institut für Erziehungswissenschaft und empirische Bildungs- und Sozialforschung am Fachbereich Bildungswissenschaft der Alanus Hochschule in Alfter durchgeführt. Finanziell gefördert wurde die Studie durch die Software AG Stiftung.

Wichtige Ergebnisse

Entwicklung der Alternativschulen in Deutschland

Die Alternativschulbewegung in Deutschland ist relativ klein: Im Schuljahr 2013/14 besuchten weniger als ein Prozent aller Schülerinnen und Schüler eine Alternativschule. Im Vergleich zur Entstehungszeit hätten sich die Alternativschulen deutlich verändert, so die Bilanz: Nur wenige verfolgten noch die in den 1968er Jahren propagierte „radikale Reformpädagogik“ mit der Intention, gesellschaftliche Verhältnisse quasi „von unten her“ zu verändern.

Kennzeichen der Freien Alternativschulen

  • Deutlich wird ein hohes Maß an pädagogischer Vielfalt und Heterogenität, zum Beispiel werden verschiedene pädagogische Konzepte umgesetzt und Lernprozesse anders gestaltet, es zeigen sich Unterschiede bei Leistungsfeedbacks und im Selbstverständnis der Lehrenden.
  • Eine wichtige Übereinstimmung besteht darin, dass Rahmenbedingungen für ein angstfreies, selbstbestimmtes und selbstverantwortliches Lernen und Arbeiten der Schülerinnen und Schüler geschaffen wird, das sich im Wesentlichen an ihren Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und individuellen Möglichkeiten orientiert. Lernen wird als ganzheitlicher, lebenslanger und dem Leben immanenter Prozess aufgefasst.
  • Die maßgeblichen pädagogischen Prinzipien sind Autopoiese, Selbstorganisation, Offenheit, Austausch, Kooperation, Rückkopplung und das Streben nach Vielfalt und Homöostase.
  • Alternativschulen erweisen sich als willkommene Alternative für viele Regelschülerinnen und Regelschüler und ihre Eltern. Es gibt einen hohen Anteil an Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern, die in besonderem Maße am Lernen ohne Leistungsdruck und der Orientierung der Schule am einzelnen Schüler bzw. der einzelnen Schülerin interessiert sind.

Wichtige Ergebnisse der Befragung

Hohe Identifikation mit der Schule und gutes Schulklima:

Die befragten Schülerinnen und Schüler können sich sehr gut mit ihrer Schule identifizieren; sie fühlen sich dort wohl und zugehörig, empfinden die Atmosphäre als gut. Nur wenige berichten von Mobbing oder psychosomatischen Beschwerden aufgrund von schulischen Belastungen.

Positive Lehrer-Schüler-Beziehung:

Die Lehrer-Schüler-Beziehung basiert aus Sicht der Schülerinnen und Schüler im Wesentlichen auf Respekt, gegenseitiger Rücksichtnahme und Wertschätzung, Empathie und der Achtung vor der Individualität des anderen. Die dort tätigen Pädagogen und Pädagoginnen werden nicht vorrangig als (Be-)Lehrende verstanden, sondern vor allem als Lernbegleitende, Mitlernende, Mentorinnen und Mentoren, Coachs und Facilitatoren (im Sinne einer Prozess- und Dialogbegleitung), die sich am Prinzip der „Gleichwürdigkeit“ orientieren (was allerdings nicht mit Gleichheit und Gleichberechtigung gleichzusetzen ist).

Individualisiertes und als sinnvoll erlebtes Lernen:

Lernen wird von den meisten Schülerinnen und Schülern inhaltlich und methodisch als sinnvoll, nachvollziehbar und praxisbezogen sowie als persönlich bereichernd erlebt. Nach Einschätzung der Heranwachsenden liegt es zumeist in der Verantwortung des einzelnen Schülers bzw. der einzelnen Schülerin, nicht nur die Inhalte, sondern auch die Methoden und das Tempo (mit)bestimmen zu können. Für die meisten Schülerinnen und Schüler findet Lernen auf der Basis von Vertrauen, Kooperation, Einfühlungsvermögen, Konfliktfähigkeit, Fairness und Toleranz statt. Auch fühlen sie sich bei der Vermittlung von Wissen, Lerntechniken oder von Problemlösefähigkeiten gegenüber Regelschülerinnen und Regelschülern nicht im Nachteil.

Problembereiche und Handlungsempfehlungen

Die Studie zeigt, dass das Prinzip des selbstverantwortlichen und selbstbestimmten Lernens nicht als allgemeingültiges und unhinterfragtes Prinzip gelten kann, so die Autorinnen und Autoren. Für einige Schülerinnen und Schüler, insbesondere leistungsschwächere, stelle diese Form des Lernens eine Überforderung dar. Deshalb sollten die Lehrenden ihren Schülerinnen und Schülern neben dem Freiraum für eigene Interessen und Fragen verstärkt auch gezielte Lernangebote bzw. Lernanreize machen, mit ihnen Zielvereinbarungen treffen und – je nach individueller Möglichkeit – von ihnen Leistungen ganz konkret einfordern. Es brauche mehr klare Handlungsanweisungen von Seiten der Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter.

Wenig zufrieden zeigen sich die Schülerinnen und Schüler auch mit den leistungsheterogenen Lerngruppen und dem schulischen Umgang mit Leistungsanforderungen, Leistungskonkurrenz und/oder schulischen Belastungen. Dies spreche für die Notwendigkeit einer besseren und klareren Leistungs- bzw. Feedbackkultur, so die Autorinnen und Autoren der Studie.

Auch der Umgang mit der Freiheit bereitet einem Teil der Schülerinnen und Schülern große Probleme, vor allem jenen, die sich zu den Lernschwächeren zählen: Sie äußern den Wunsch nach mehr Struktur, Ordnung und Orientierung beim Lernen. Dies zeigt sich zum Beispiel im Bedürfnis, über Noten oder Punkte bewertet zu werden, aber auch an der Unsicherheit, den gewünschten Schulabschluss erreichen zu können.

Selbstverantwortliches Lernen erfordere einen Rahmen, der eine angemessene Balance zwischen Orientierung und Freiheit, Ordnung und Chaos, Rhythmus und Spontaneität herstellen kann, so die Auffassung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sich zu verantwortlichen Persönlichkeiten zu entwickeln, bedeute deshalb immer auch, mit Widersprüchen und Konflikten zu leben und möglichst konstruktiv damit umgehen zu lernen.

Die Autorinnen und Autoren kommen zu dem Schluss, dass bei den Freien Alternativschulen zwar noch Entwicklungsbedarfe bestehen, diese Schulen aber insgesamt auf einem guten Weg sind.