Handlungsempfehlungen

Bildungspolitik und Schule in der Verantwortung

Thema

Gleichberechtigte Bildungsteilhabe in Schulen

Herausgeberschaft

Heinrich-Böll-Stiftung

Autoren/Autorinnen

Eva Maria Andrades/Meral El/Dorothea Schütze

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2015

Stiftungsengagement

Heinrich-Böll-Stiftung

Literaturangabe

Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Bildungspolitik und Schule in der Verantwortung. Für eine nicht-diskriminierende demokratische Gesellschaft. Verfasst von Eva Maria Andrades/Meral El/Dorothea Schütze für die Fachkommission „Ideologien der Ungleichwertigkeit und Neonazismus in Deutschland. Eine Publikation des Stiftungsverbundes der Heinrich-Böll-Stiftung. Berlin 2015.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass eine gelungene Bildungslaufbahn eine Grundvoraussetzung für die gleichberechtigte Teilhabe der Menschen am gesellschaftlichen Leben ist. Das Schulsystem in Deutschland ist für Kinder und Jugendliche aus sozial und finanziell schwachen Familien allerdings mit Benachteiligungen verbunden ist, ebenso müssen People of Color Diskriminierungen aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft, Religion und anderer (zugeschriebener) Merkmale erleben. Aus Sicht der Heinrich-Böll-Stiftung muss Schule aber dafür Sorge tragen, dass alle Schülerinnen und Schüler – unabhängig vom sozio-ökonomischen Status und den finanziellen Möglichkeiten der Eltern, von Herkunft, Hautfarbe, Behinderung und Religion – gleiche Chancen haben und individuell gefördert werden.

Der Verbund der Heinrich-Böll-Stiftungen rief Anfang 2014 die Bund-Länder-Fachkommission „Ideologien der Ungleichwertigkeit und Neonazismus in Deutschland“ ins Leben, die rassistische Tendenzen in der Gesellschaft und andere Ideologien der Ungleichwertigkeit analysieren soll. Zugleich werden Arbeitsansätze für eine menschenrechtsorientierte Entwicklung demokratischer Kultur reflektiert, die alle gesellschaftlichen Gruppen in den Blick nehmen. Ziel ist es, Diskussionsstände und Empfehlungen zu veröffentlichen, um politischen Entscheiderinnen und Entscheidern Impulse für ihre Arbeit zu geben. In der Fachkommission arbeitet ein interdisziplinäres Team von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Praxis und Politik zusammen.

Die in der Publikation festgehaltenen Ergebnisse sind ein Gemeinschaftswerk der Kommission, die sich mit folgenden Fragen beschäftigte:

  • Wie kann der Abbau von Diskriminierung im Bildungsbereich gelingen?
  • Was ist für den Aufbau einer demokratischen, nicht-diskriminierenden Schulkultur nötig, die jedem Individuum das nötige Selbstwertgefühl vermitteln kann und allen gleiche Lern- und Entwicklungschancen bietet?

In der Publikation wird die Auseinandersetzung mit Diskriminierung im Schulkontext aus verschiedenen Blickwinkeln und Erfahrungshintergründen betrachtet. Dabei werden drei inhaltliche Schwerpunkte verknüpft:

  • die gesetzlichen Grundlagen und nötigen Schritte für deren Umsetzung,
  • die strukturelle Dimension von Diskriminierung im Schulkontext sowie
  • wesentliche Voraussetzungen für konsequente und nachhaltige Veränderungen in der pädagogischen Schulpraxis.

Wichtige Ergebnisse

Empfehlungen

A. Politischer Rahmen

1. Grundgesetz, Schulgesetz, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Es wird darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung durch die Antirassismus-Richtlinie 2000/43/EG verpflichtet ist, auch im Bildungsbereich einen Diskriminierungsschutz zu etablieren. Da Schulgesetze länderspezifisch sind, obliege die Umsetzung der Richtlinie den einzelnen Ländern. Ergänzende Regelungen zum Diskriminierungsschutz könnten jedoch in den Schulgesetzen aufgenommen oder aber in Landesantidiskriminierungsgesetzen verankert werden. Es sei sehr wichtig, eine Verpflichtung zur Antidiskriminierung im Bildungsbereich gesetzlich zu verankern. Allerdings reiche ein Diskriminierungsschutz in Bezug auf rassistische und ethnische Diskriminierung nicht aus. Vielmehr müsse ein wirksamer Diskriminierungsschutz alle Merkmale umfassen und Mehrfachdiskriminierung bzw. Intersektionalität berücksichtigen. Dabei sollte der im AGG genannte Merkmalskatalog zugrunde gelegt und zusätzlich um den Begriff „sozio-ökonomischer Status“ erweitert werden.

Konkret würde das bedeuten:

  • Aufnahme eines expliziten Diskriminierungsschutzes im Schulgesetz oder Landesantidiskriminierungsgesetz
  • Einfachgesetzliche und umfassende Definition von Diskriminierung
  • Festlegung eines Beschwerderechts für Betroffene
  • Festlegung eines transparenten Beschwerdeverfahrens
  • Beteiligungsrechte für Verbände in Beschwerdeverfahren
  • Verbot der Maßregelung von Betroffenen und Unterstützenden, die Diskriminierung anzeigen und verfolgen
  • Festlegung effektiver, wirksamer und abschreckender Sanktionen
  • Einführung einer Beweislastregelung, nach der die diskriminierte Person Indizien nachweisen muss

2. Bildungsetat

Die Diversifizierung der Gesellschaft und damit insbesondere der Schülerinnen- und Schülerschaft verlangt nach Ansicht der Fachkommission eine grundsätzliche Veränderung der Bildungspolitik und der damit verbundenen Ressourcenpolitik. Um strukturelle Benachteiligungen langfristig aufzuheben, brauche es neben Reformen erheblich mehr personelle und materielle Ressourcen für Schulen. Bildungserfolg und Teilhabemöglichkeit dürften in der Gesellschaft nicht vom sozio-ökonomischen Status, nicht vom eigenen bzw. dem Migrationshintergrund der Eltern, von „Hautfarbe“, Behinderung und sexueller Identität abhängen. Eine Reform des Schulsystems hin zur inklusiven Schule könne ohne entsprechenden finanziellen Rahmen nicht gelingen.

3. Beratung von politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern

Die strukturelle Verankerung von diskriminierungserfahrenen Gruppen in bildungspolitische Beratungs- und Entscheidungsgremien sollte ausgebaut werden. Ziel sollte es sein, miteinander und nicht übereinander zu sprechen. Das Wissen der Betroffenen müsse als Expertise anerkannt und umgesetzt werden. Darüber hinaus sollte die Expertise von Fortbilderinnen und Fortbildern aus der Jugend- und Erwachsenenbildung zu den Themen Rassismus, Diskriminierung, Rechtsextremismus und Demokratieförderung besser genutzt werden. Dies könne dazu beitragen, sinnvolle Methoden und Instrumente an Schulen zu etablieren. Am besten wäre es, wenn politische Entscheidungsträgerinnen und -träger sowie Verwaltungsangestellte selbst an Fortbildungen teilnehmen würden, um ihre Haltungen, Vorgehensweisen und vor allem Entscheidungen zu reflektieren und anzupassen.

Aus der Schulpraxis habe sich zudem die Rolle von Prozessbegleitenden und Schulentwicklungsberatenden (inkl. Coaches von Schulleitungen) als sehr hilfreich erwiesen. Deren Expertise bezüglich der Gestaltung und Unterstützung von schulischen Veränderungsprozessen sollte unbedingt in politische Entscheidungen einfließen. Darüber hinaus müssten die Praktikerinnen und Praktiker in Schulen bzw. ihre gewerkschaftliche Vertretung zu ihrem zusätzlichen Bedarf an personellen wie materiellen Ressourcen befragt und deren Forderungen ernst genommen werden.

B. Schulpraxis

1. Reflexion bisheriger Bildungs- und Schulentwicklungsanätze

Für langfristig angelegte Bildungs- und Entwicklungsprozesse im Bereich von Antidiskriminierung und Demokratieförderung müssten alle Pädagoginnen und Pädagogen einbezogen werden. Eine entsprechende Auseinandersetzung müsste fächerübergreifendes Querschnittsthema sein. Auch sollten Fortbildungsmaßnahmen oder schulische Projekte nicht vereinzelt und isoliert stattfinden. Ein langfristiger, professionell begleiteter Schulentwicklungsprozess biete die Chance, Machtverhältnisse, Strukturen und systemische Fragen in den Blick zu nehmen (z.B. Schulentwicklungsprogramme zu Demokratieentwicklung, Diversity, Inklusion, Menschen- und Kinderrechten). Auch sollte genügend Zeit und Raum für schulische Veränderungsprozesse eingeplant werden, um Veranstaltungen, Zusammenkünfte, Fortbildungen und Praxisreflexion sowie Planungs- und Steuerungsaufgaben durchführen zu können. Die dafür aufgewendeten zeitlichen ressourcen sollten als Teil der regulären Arbeitszeit für Pädagoginnen und Pädagogen organisiert und vergütet werden. Die von Bildungsministerien und Schulverwaltungen gestellten Anforderungen an Schulen sollten im Sinne der Prioritätensetzung fokussiert werden. Parallel zu bewältigende verwaltungstechnische Vorgaben sollten auf ein Minimum reduziert werden.

2. Positive Beispiele/Best Practice

Im Rahmen von Bundesprogrammen, Modellprogrammen und Erfolgsmodellen an engagierten Schulen sind nach Auffassung der Autorinnen bereits eine ganze Reihe vielversprechender Ansätze entwickelt worden, die durch entsprechende bildungspolitische Entscheidungen verbreitert und auf weitere Schulen oder die gesamte Schullandschaft übertragen werden könnten. Es sollten nicht immer wieder neue Programme aufgelegt werden, sondern es müsse darum gehen, erfolgreiche Programme und Konzepte zu verstetigen und mit den notwendigen personellen und materiellen Ressourcen sowie professioneller Unterstützung auszustatten.

3. Leerstelle Antidiskrimierungsarbeit

Um Schulen zur Auseinandersetzung mit Diskriminierung zu ermutigen und sie für den Umgang mit Vorfällen, Beschwerden oder dazugehörigen Konflikten zu stärken, sollten professionelle (von der Schulverwaltung unabhängige) Beratungsstellen eingerichtet werden. Diese sollten auf die Unterstützung von Schulen spezialisiert sein und Expertise im Umgang mit Diskriminierung im Schulkontext haben. Zusätzlich sollten Supervision bzw. kollegiale Beratung selbstverständlicher Bestandteil der pädagogischen Arbeit sein, um schwierige Situationen miteinander zu besprechen und sich gegenseitig beraten zu können – und zwar innerhalb der regulären Arbeitszeit.

4. Verpflichtende Teilnahme an Fortbildungen

Die Ausbildung von Lehrkräften, Erzieherinnen und Erziehern sowie Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen sollte immer eine intensive Auseinandersetzung und Selbstreflexion in den Bereichen Menschenrechte, Chancen(un)gleichheiten, Antidiskriminierung und Demokratieentwicklung beinhalten und durch berufsbegleitende Weiterbildungen für alle stetig in Entwicklung bleiben. Die Teilnahme an entsprechenden Fortbildungsmaßnahmen müsste sowohl im Studium als auch berufsbegleitend für alle Pädagoginnen und Pädagogen verpflichtend sein, um ihr schulisches Handeln regelmäßig diskriminierungskritisch zu reflektieren.

C. Schulstrukturen

1. Inklusion

Die Autorinnen weisen darauf hin, dass die von Deutschland ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) fordert, die Rechte von Menschen mit Behinderungen insbesondere im Bildungsbereich im Sinne der Konvention umzusetzen. Demnach ist das Recht auf inklusive Bildung (§ 24 der Konvention) als individuelles Recht ausgestaltet, das heißt Deutschland muss schrittweise ein inklusives Bildungssystem aufbauen und gewährleisten, dass alle Zugang zu diesem Bildungssystem haben. In diesem Sinne sollten Betroffenengruppen und Expertinnen und Experten in die Umsetzung des UN-BRK strukturell eingebunden und nicht nur temporär und punktuell angefragt werden. Das Konzept der inklusiven Bildung würde perspektivisch die Grundlage bieten, Chancengleichheit nicht nur für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung zu gewährleisten, sondern auch für alle anderen, die von struktureller Benachteiligung betroffen sind. Ein inklusives Bildungssystem für alle Schülerinnen und Schüler stärke den Respekt vor menschlicher Vielfalt und verbessere die Teilhabe diskriminierungserfahrener Schülerinnen und Schüler. Notwendig sei gemeinsames Lernen statt Segregation.

2. Weiterführende Schulen

Die Grundlage von Empfehlungen für weiterführende Schulen ist das vielfach kritisierte mehrgliedrige Schulsystem. Nach Auffassung der Kommission würde ein inklusives Schulkonzept mit nur einem Schultyp, in dem alle Schüler_innen gemeinsam lernen können, diskriminierende Praxen wie die der Benachteiligung bei Gymnasialempfehlungen strukturell vermeiden.

3. Segregation an deutschen Schulen

Um dem Image einer „guten Schule“ oder „schlechten Schule“ und somit Segregation entgegenwirken zu können, bräuchten benachteiligte Schulen eine stärkere Unterstützung in materieller wie personeller Hinsicht, um ein gutes Angebot für alle anbieten zu können und damit attraktiv zu werden. Erfolgreiche Projekte würden beweisen, dass Schulen, die zuvor als „Problemschulen“ galten, durch bessere finanzielle Ausstattung, ein engagiertes Kollegium, gute Organisationsentwicklung sowie professionelle Unterstützung ihren Ruf ablegen konnten und an Attraktivität gewonnen haben.

4. Dokumentation von Diskriminierungen in Schule

Für die Dokumentation von Diskriminierungsfällen in Schulen bedürfe es einer Registerstelle auf Landes- und Bundesebene. Landes-Registerstellen sollten alle Diskriminierungsmeldungen unter Einbeziehung vorhandener NGOs und Betroffener-Strukturen dokumentieren, analysieren und in periodischen Abständen veröffentlichen. Gleichzeitig sollten die Landes-Registerstellen an eine Bundes-Registerstelle zur weiteren Analyse und Öffentlichkeitsarbeit auf Bundes- und Europaebene berichten. Aus diesen Berichten sollten dann konkrete Handlungsstrategien auf rechtlicher, organisationaler und personeller Ebene entwickelt werden, um jeglicher Form von Diskriminierung vorzubeugen und sie letztendlich zu beseitigen.

Um struktureller Diskriminierung vorzubeugen, müssen die Betroffenen-Gruppen an den Registerstellen (Beiräte, Steuerungsgruppen, Personal) per Quote beteiligt werden.

5. Datenerhebungen zur Sichtbarmachung von Diskriminierung

Um Diskriminierungserfahrungen in ihren spezifischen und diversen Auswirkungen sowie ihrer Wirkmächtigkeit zu analysieren und strukturelle Dimensionen sichtbar machen zu können, bedürfe es aussagekräftiger Daten. Die Erhebung von Daten über die Lebenslage von People of Color (Ethnic Monitoring) im Allgemeinen und konkret im Bildungskontext ist nach Auffassung der Kommission erforderlich, um strukturelle Diskriminierung sichtbar zu machen, Problemlagen zu identifizieren und zu analysieren. Eine statistische Datensammlung müsse auch weitere Diskriminierungsdimensionen wie den sozio-ökonomischen Status und Behinderung berücksichtigen. Auf dieser Grundlage müssten geeignete Maßnahmen gegen die Ungleichbehandlung entwickelt und implementiert werden. Entsprechende Daten könnten der Arbeit gegen Diskriminierung auch als starkes Argument dienen. Der Gesetzgeber sollte daher Datenerhebungen einführen, was auch den Forderungen der Vereinten Nationen und des Europarats entspreche. Datenerhebungen müssten auf der Basis freiwilliger Selbstidentifikation und unter strenger Beachtung des Persönlichkeits- und Datenschutzes erfolgen.

6. Gesetzlich verankerte, unabhängige Beschwerdestellen

Schülerinnen und Schüler sowie Eltern sollten ermächtigt werden, ihr Recht auf Chancengleichheit einzufordern. Die notwendige Unterstützung müsse durch eine unabhängige Anlauf- und Beschwerdestelle erfolgen, die parteilich arbeitet. Diese sollte alle Fragen rund um das Thema Schule beantworten können und bei Beschwerden in Bezug auf Diskriminierung die Betroffenen unterstützen. Dafür bräuchten die Anlaufstellen gesetzlich verankerte Befugnisse und die Möglichkeit eines transparenten Beschwerdeverfahrens. Zivilgesellschaftliche Akteure hätten bereits Konzepte entwickelt bzw. untersucht, wie eine Beschwerdestelle und ein Beschwerdeverfahren aussehen könnten.

Demnach müsste eine Beschwerdestelle:

  • mit Auskunftsrechten ausgestattet sein, um den Sachverhalt klären zu können,
  • Sanktionsmacht haben, wenn eine Diskriminierung festgestellt wurde,
  • Vorgaben zu nötigen Fortbildungsinhalten machen,
  • Beschwerden dokumentieren.

7. Förderung von Lehrkräften sowie Erzieherinnen und Erziehern of Colour

Notwendig sei, dass mehr Lehrkräfte sowie Erzieherinnen und Erzieher aus Betroffenengruppen im Schuldienst tätig sind. So sollte z.B. der Anteil von Pädagoginnen und Pädagogen of Color im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil stehen. Unerlässlich sei die Einführung der „Affirmative Action“ wie in den USA bzw. die Umsetzung positiver Maßnahmen (AGG). In diesem Zusammenhang müssten auch die Zugangskriterien zu den Arbeitsstellen in Schulen und Kitas verändert werden bzw. Bewerberinnen und Bewerber der marginalisierten Gruppen bei gleichen Voraussetzungen bevorzugt eingestellt werden. People of Color zu sein, sollte als neues Kriterium bei der Einstellung positiv bewertet werden. Zudem sollten Lehrkräfte und Erzieherinnen und Erzieher auch Diversity-Kompetenzen nachweisen und im Ausland erworbene Abschlüsse besser anerkannt werden. Begleitend sollten politische Kampagnen zur Gewinnung dieser Zielgruppen ausgebaut werden. Das würde auch bedeuten, in Kitas und Schulen die notwendige Zahl an Arbeitsplätzen zu schaffen.

8. Schülervertretung

An allen Schulen sollten regelmäßig Fortbildungen für Schülervertretungen durchgeführt werden, damit die Schülerinnen und Schüler ihre schulgesetzlich verbrieften Mitbestimmungsrechte kennen und in Anspruch nehmen können. Bundesweit bieten freie Träger derartige Fortbildungen an, aber auch erfahrene Schülervertretungen könnten hier bei der praktischen Arbeit unterstützen. Die Pädagoginnen und Pädagogen jeder Schule sollten die Mitbestimmungsrechte der Schülerinnen und Schüler kennen und sie zur Ausübung ihrer Rechte ermutigen. Wesentlich für positive Demokratieerfahrungen seien Erfolgserlebnisse und Selbstwirksamkeit der Schülerinnen und Schüler. Zusätzlich sollte für die Schülervertretung ein eigener Raum im Schulgebäude zur Verfügung stehen, der jederzeit für Zusammenkünfte und gegenseitige Stärkung genutzt werden kann.

9. Zusammenarbeit zwischen Schule und Eltern

Nach Ansicht der Kommission wäre es wichtig, den Eltern die Mitbestimmungsrechte und -wege in ihrer Schule in wichtigen Herkunftssprachen (mündlich wie schriftlich) und auf unterschiedlichen Wegen zugänglich zu machen. Mehrsprachige schriftliche Informationen sollten von den zuständigen Schulbehörden angeboten werden. Für die Verteilung dieser Informationen sowie mündliche (bei Bedarf gedolmetschte) Beratung sei die jeweilige Schule in der Verantwortung. Um die Zusammenarbeit mit Eltern mit verschiedenen Migrationsbiografien zu unterstützen, sei die Einbindung von örtlichen Migrantenselbstorganisationen (MSO) empfehlenswert. Deren Angebote zur Fortbildung und Stärkung von Eltern für die Mitarbeit in Elternvertretungen sollten ausgebaut und finanziert werden. Insbesondere Eltern of Color, Eltern mit Kindern mit Behinderungen sowie Eltern von Geflüchteten und sozial benachteiligten Familien sollten durch die Schulleitung und die Pädagoginnen und Pädagogen unterstützt und ermutigt werden, sich einzubringen und aus ihrer Sicht nötige Veränderungen einzufordern. Wichtig sei der Dialog zwischen den Eltern und den pädagogischen Fachkräften der Schule über die Gestaltung ihrer Zusammenarbeit. Erst im Austausch über die jeweiligen Sichtweisen und verschiedenen Bedürfnisse könne deutlich werden, was alle Beteiligten (Eltern und Pädagoginnen und Pädagogen) für eine gewinnbringende Zusammenarbeit brauchen. Dabei gehe es einerseits um den Umgang miteinander, aber auch um Zugänge und Informationskanäle sowie Inhalte und Organisation von Begegnungen und gemeinsamen Aktivitäten. Hier hätten sich professionell begleitete Dialog- und Aushandlungsprozesse bewährt, bei denen es z.B. um die gemeinsame Gestaltung der Elternabende oder verbindliche Vereinbarungen zwischen Schule und Eltern geht. Die Zusammenarbeit mit Eltern müsse von Seiten der Schule in jedem Fall diskriminierungssensibel gestaltet werden. Für eine diskriminierungskritische Reflexion ihres schulischen Handelns sollten sich Schulen professionelle Unterstützung in Form von Fortbildung und Beratung holen.

10. Demokratische Schulkultur

Eine demokratische und diskriminierungssensible Schulkultur zeichnet sich nach Auffassung der Kommission dadurch aus, dass es vielfältige Räume und Gelegenheiten für Begegnungen, gegenseitiges Kennenlernen, Dialog und Vertrauensaufbau zwischen allen schulischen Akteuren gibt. Nur in einer vertrauensvollen Atmosphäre sei es möglich, Diskriminierungserfahrungen im Schulkontext offen anzusprechen und gemeinsam konstruktive Lösungen zu entwickeln.

Über die gesetzlich geregelte Gremienarbeit hinaus gebe es eine ganze Reihe an Möglichkeiten, nicht formalisierte Partizipationsstrukturen aufzubauen, die allen schulischen Gruppen (Schülerinnen und Schüler, Pädagogen und Pädagoginnen, Eltern) dazu verhelfen, miteinander ins Gespräch zu kommen, ihre Interessen zu formulieren und die demokratische Entwicklung der Schule voranzubringen. Ein Beispiel hierfür seien sogenannte Aushandlungsprozesse im Zuge „Demokratischer Schulentwicklung“ – ein Ansatz, der im BLK-Programm „Demokratie lernen und leben“ entwickelt wurde und an mehreren Schulen umgesetzt wird. Bei diesen Veränderungsprozessen, an denen möglichst alle schulischen Akteure teilhaben sollen, könne es um Teilbereiche des schulischen Lebens gehen (z.B. Kommunikation und Zusammenarbeit) oder auch um die Entwicklung des gesamten Schulprogramms einschließlich der Formulierung von Zielen und dazugehörigen Maßnahmen. „Demokratische Schulentwicklung“ in diesem Sinne benötige professionelle externe Begleitung, die kreative und zielgruppengerechte Methoden für die Gestaltung von Dialog- und Aushandlungsprozessen bereitstellt, für einen diskriminierungssensiblen Umgang sorgt und darauf achtet, dass alle Beteiligten respektvoll und auf Augenhöhe miteinander kommunizieren können. Die Finanzierung von externen Profis müsse durch die Schulverwaltungen gewährleistet sein.

11. Schulleitung und Steuerung

Um eine nicht-diskriminierende, demokratische Schulkultur aufzubauen und langfristig zu etablieren, bedürfe es einer eindeutigen Positionierung und Prioritätensetzung der Schulleitung. Werden Antidiskriminierung und Demokratieentwicklung als Querschnittsaufgabe von Schule konsequent verfolgt, müssten nötige Grundhaltungen und Vorgehensweisen (u.a. Sensibilität gegenüber diskriminierenden Strukturen) zentrales Thema von Qualifizierungsmaßnahmen für Schulleitungen durch Fortbildungsinstitute sein. Individuelle Beratung und Coaching von Schulleitungen und Steuergruppen durch professionelle Schulentwicklungsberaterinnen und -berater hätten sich sehr bewährt und sollten in allen Schulen zum Standard gehören, d.h. sie müssten auch im Fortbildungsbudget jeder Schule vorgesehen sein. Fragen der Partizipation und diskriminierungskritische Reflexion müssten ebenfalls dazugehören.

D. Bildungsinhalte

1. Ausbildung von Pädagogen und Pädagoginnen

Die Kommission betont, dass die Inhalte der Ausbildung von Pädagogen und Pädagoginnen, insbesondere im Rahmen des Lehramtsstudiums, dringend an die Anforderungen an eine diskriminierungssensible und demokratische Schulpraxis angepasst werden müssen. Antidiskriminierung und Demokratieförderung müssten als Querschnittsthemen in die Ausbildung aller Pädagoginnen und Pädagogen integriert werden. Dazu bedürfe es entsprechender Entscheidungen durch die Bildungsministerien. Den für die Ausbildung von Pädagoginnen und Pädagogen zuständigen Hochschulen und Instituten wird empfohlen, für Konzeption und Umsetzung entsprechender Bildungsbausteine Expertinnen und Experten aus der Antidiskriminierungsarbeit, Rechtsextremismusbekämpfung und Demokratieentwicklung (aus Wissenschaft und Praxis) zurate zu ziehen. Die Beschäftigung mit demokratischen Werten und den Menschenrechten sowie der Vielzahl an Diskriminierungsformen und deren Auswirkungen sollte nicht auf theoretisches Wissen beschränkt bleiben. Vielmehr komme es darüber hinaus auf den persönlichen Entwicklungsprozess jedes Einzelnen an, den kritischen Blick auf Macht- und Dominanzverhältnisse im Bildungssystem zu richten und die eigene (privilegierte) Position zu reflektieren. Das Entwickeln pädagogischer und vor allem sozialer Kompetenzen müsse einen weitaus höheren Anteil an den Ausbildungsinhalten ausmachen, angelehnt an den Anteil in skandinavischen Ländern (75 Prozent). Insbesondere Dialogfähigkeit, respektvolle und empathische Beziehungsgestaltung sowie Selbstreflexion und die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen seien grundlegende Fähigkeiten, die Pädagoginnen und Pädagogen für eine erfolgreiche Arbeit in der Schule benötigen.

2. Lehr, Lernmethoden und -materialien

Lehr- und Lernmethoden, die dazu geeignet sind, demokratisches Bewusstsein und diskriminierungssensibles Miteinander in einer Schule zu fördern, müssten fester Bestandteil der Ausbildung von Pädagoginnen und Pädagogen sein. Ebenso müssten Methoden zum Umgang mit Heterogenität bzw. Vielfalt zum Repertoire aller pädagogischer Fachkräfte gehören. Um die berufsbegleitende Weiterbildung in diesem Themenfeld zu gewährleisten, müssten die Schulleitungen dafür sorgen, dass ihre Kollegien Zugang zu Erfolgsmodellen, Materialien, Hospitationen und Fortbildungen haben. Das Zeit- und Finanzbudget für Fortbildungen des schulischen Personals müsse durch Bildungsministerien und Verwaltungen entsprechend angehoben werden.

3. Schulcurriculum

Das Curriculum an deutschen Schulen müsse die Diversität der Gesellschaft sowohl in Inhalt als auch in Abbildungen widerspiegeln. Hierzu gehörten Inhalte und Aufbereitung von Lehr- und Lernmaterialien, in der sich die Schülerinnen und Schüler in ihrer Pluralität wiederfinden können. Alle Materialien müssten daher auf ihre Tauglichkeit, insbesondere in Hinblick auf die Reproduktion rassistischer bzw. anderer diskriminierender Stereotype hin überprüft und im Zweifelsfall ausgetauscht werden. Hier liege es nahe, dass diese Überprüfung durch eine heterogen zusammengesetzte Gruppe aus Pädagoginnen und Pädagogen, Eltern und Schülerinnen und Schüler vorgenommen wird, unterstützt durch externe Expertinnen und Experten. Auf Bundesebene sollte ein Maßnahmenkatalog für Schulbücher erarbeitet werden, der für die Bildungseinrichtungen aller Länder verbindliche Richtlinien enthält.

4. Neue Unterrichtsfächer

Themen wie die Universellen Menschenrechte, die Kinderrechtskonvention, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das deutsche Asylrecht und die Migrations-/Einwanderungspolitik sowie aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen müssten Lerninhalte und Diskussionsstoff in Schule sein. Diese Inhalte könnten entweder in bereits bestehende Fächer integriert werden oder aber Stoff für ein eigenes Fach werden. Schulen sollten selbst entscheiden, Thementage oder Themenwochen im Sinne fächerübergreifenden Lernens zu organisieren, externe Expertinnen und Experten einzuladen oder Diskussionsrunden zu veranstalten. Hier seien die Schulen in der Verantwortung, entsprechende Schwerpunkte zu setzen, und gemeinsam mit möglichst vielen Schulbeteiligten für die jeweilige Schule passende Formen der Auseinandersetzung und des gemeinsamen Lernens zu entwickeln.

Wesentlich ist aus Sicht der Kommission, dass derart zentrale Themen immer wieder einen Platz in der Schulgemeinschaft finden, dass Schule als Teil der Gesellschaft sich mit gesellschaftlichen Fragestellungen und Herausforderungen auseinandersetzt und Schülerinnen und Schüler sowie Pädagoginnen und Pädagogen und Eltern ermöglicht wird, sich eine Meinung zu bilden, sich zu positionieren und gemeinsam im Sinne gesellschaftlichen Engagements aktiv zu werden.