Studie

Demokratiebildung an Schulen – Analyse lehrerbezogener Einflussgrößen

Thema

Einfluss von Lehrkräften auf die Demokratiebildung an Schulen

Herausgeberschaft

Bertelsmann Stiftung

Autoren/Autorinnen

Helmut Schneider/Markus Gerold

Erscheinungsort

Gütersloh

Erscheinungsjahr

2018

Stiftungsengagement

Bertelsmann Stiftung

Literaturangabe

Helmut Schneider/Markus Gerold: Demokratiebildung an Schulen. Analyse lehrerbezogener Einflussgrößen. Hrsg. v. Bertelsmann Stiftung. Gütersloh 2018.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Hintergrund ist, dass demokratische Gesellschaften auf der ganzen Welt immer stärker unter Druck geraten: Veränderungen in der Arbeitswelt durch Globalisierung und Digitalisierung, eine zunehmend diverser werdende Gesellschaft und ungleiche gesellschaftliche Teilhabechancen führten zu einer Verunsicherung großer Teile der Bevölkerung und zu einem Vertrauensverlust in die Problemlösungskompetenz der demokratischen Staatsform. Auch das Erstarken populistischer und rechtsextremer Kräfte gehöre dazu. Diese Tendenzen zeigten sich in allen Demokratien in Nordamerika und Westeuropa, auch in Deutschland.

Angesichts dessen ist die Politik nach Auffassung der Bertelsmann Stiftung auf vielfältige Weise herausgefordert. Die Bildungsinstitutionen hätten nun die Aufgabe, junge Menschen zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, einer reflektierten Urteilsbildung sowie einer verantwortlichen Mitgestaltung des Gemeinwesens zu befähigen: Demokratie müsse gelernt werden. Dazu bedürfe es vielfältiger Möglichkeiten der Demokratiebildung.

Eine besondere Verantwortung komme dabei der schulischen Bildung zu, da Schulen die einzigen Institutionen sind, die alle Kinder und Jugendlichen erreichen. Gute Schulen seien Orte der Demokratie, an denen demokratische Werte wie Respekt, Solidarität und Gleichheit sowie die Anerkennung der Menschen- und Kinderrechte die Schul- und Unterrichtskultur prägen. Hier sollten Schülerinnen und Schüler den konstruktiven Umgang mit unterschiedlichen Interessenlagen lernen und Wege finden, Konflikte friedlich und durch demokratische Verfahren zu lösen. In demokratischen Schulen könnten sich Schülerinnen und Schüler für ihre Anliegen und nach ihren Neigungen engagieren, sich beteiligen und mitbestimmen, und sie hätten dort auch die Möglichkeit, sich mit übergeordneten gesellschaftspolitischen Fragen in lokaler, nationaler und globaler Perspektive auseinanderzusetzen. Demokratiebildung beschränke sich dabei nicht auf Wissensvermittlung, sondern schaffe demokratische Erfahrungsräume. Lehrerinnen und Lehrer hätten eine Schlüsselrolle auf dem Weg zu einer demokratischen Schule. Doch fehlten bisher noch gesicherte empirische Erkenntnisse darüber, wie sie diese Rolle ausfüllen.

Die Bertelsmann Stiftung hat deshalb im Rahmen des Projektes „jungbewegt – Für Engagement und Demokratie.“ die Studie „Demokratiebildung an Schulen“ initiiert. Die wissenschaftliche Federführung hatte Prof. Dr. Dr. Helmut Schneider vom Berliner Institut für Gesellschaftsforschung an der Steinbeis-Hochschule Berlin. Gemeinsam mit seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Markus Gerold konzipierte er eine bundesweite Untersuchung als Onlinebefragung, führte sie durch und wertete die Daten aus. Dabei wurden im November/Dezember 2017 1.216 Lehrkräfte an öffentlichen und privaten weiterführenden Schulen in Deutschland befragt.

Mit der Publikation wird eine quantitative Studie zum Stellenwert der Demokratiebildung aus Lehrerperspektive vorgelegt. Übergreifendes Ziel ist es, den Entwicklungsstand der Demokratiebildung an weiterführenden Schulen zu analysieren und zu erklären, welche Faktoren Lehrkräfte darin bestärken, Demokratiebildung Raum und Zeit innerhalb und außerhalb des Klassenraums zu geben.

Die Entwicklung neuer Qualifizierungsangebote in der Lehrerbildung werden als Aufgabe der Landespolitik, Universitäten bzw. pädagogischen Hochschulen, Studienseminare und Landesinstituten der Lehrerbildung gesehen. Aber auch zivilgesellschaftliche Akteure können hier wixchtige Beiträge leisten. Über 60 Organisationen, darunter auch die Bertelsmann Stiftung, haben sich im Bündnis „Bildung für eine demokratische Gesellschaft“ (https://buendnis.degede.de/) zusammengefunden, um das Thema Demokratiebildung zu stärken. Zudem wurde im Rahmen des Projektes „jungbewegt“ in Zusammenarbeit mit einem Netzwerk von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter Leitung von Prof. Dr. Dirk Lange (Institut für Didaktik der Demokratie an der Leibniz Universität Hannover) das digitale Qualifizierungsangebot „Citizenship Education – Demokratiebildung an Schulen“ entwickelt, das unter www.oncampus.de/mooc/citizenedu kostenlos abrufbar ist.

 

Wichtige Ergebnisse

Spezifisches Konzept zur Messung der Demokratiebildung an Schulen

Basis des Messmodells sind vier zentrale Säulen erfolgreicher schulischer Demokratiebildung:

  • die im Schulalltag erlebte und gelebte Unterrichtskultur,
  • die im Unterricht gelehrten Themen,
  • die vermittelten Kompetenzen,
  • die Teilnahme an Formaten der Demokratiebildung.

Diese Dimensionen werden zu einem Index verdichtet, der als Ausdruck der Intensität schulischer Demokratiebildung verstanden wird.

Die Charakteristika der Lehrkräfte wurden anhand des Dreiklangs „Wollen, Können, Dürfen“ (von Rosenstiel, Molt und Rüttinger 2005) ermittelt.

  • Die Dimension des Wollens wurde mit zwei Variablen erfasst: dem Berufsverständnis und dem Profil der Entscheidungsfindung: Verstehen sich die Befragten eher als Pädagogen bzw. Pädagoginnen oder eher als Fachwissenschaftlerin bzw. Fachwissenschaftler? Weist die Lehrkraft eher eine Neigung zu demokratischen oder autoritären Entscheidungsfindungsstrukturen auf?
  • Auch die Dimension des Könnens wurde durch zwei Variablen erfasst: Wo stehen die Befragten in Bezug auf ihre Selbstwirksamkeitserfahrungen? Wo sehen sie ihre Kompetenzen als Lehrkraft? Zusätzlich wurden Fragen zum Stellenwert der Demokratiebildung in der Aus- und Fortbildung sowie in der jeweiligen Schule der Lehrkraft entwickelt.
  • Die Dimension des Dürfens drückt den wahrgenommenen Handlungsspielraum der Lehrkräfte aus. Dabei wurde das Verhältnis der Lehrkräfte untereinander sowie der Lehrkräfte zur Schulleitung erhoben. Darüber hinaus wurden der subjektive berufsbezogene Zeitdruck sowie wahrgenommene regulatorische Barrieren erfasst.

Die Messkonzepte wurden im ständigen Dialog mit Expertinnen und Experten der Bertelsmann Stiftung sowie mit Praktikerinnen und Praktikern aus der schulischen Demokratiebildung entwickelt.

Folgende Ergebnisse werden als zentral benannt:

  • Aus den Antworten der Lehrkräfte gehe hervor, dass das Ausmaß schulischer Demokratiebildung ganz überwiegend als mäßig einzustufen ist. Lediglich bei 3,4 Prozent der Befragten zeige sich eine hohe Intensität schulischer Demokratiebildung.
  • Die Unterrichtskultur der Lehrkräfte stütze zwar demokratische Bildungsprozesse, doch kämen Themen und insbesondere Formate der Demokratiebildung eher weniger zum Einsatz. Zudem würden den Schülerinnen und Schülern demokratische Kompetenzen nur eingeschränkt vermittelt. Dabei zeigten sich Altersunterschiede: Die Intensität schulischer Demokratiebildung sei bei Lehrkräften, die älter als 43 Jahre sind, höher als bei ihren jüngeren Kolleginnen und Kollegen. Auch bei den befragten Lehrkräften aus ostdeutschen Bundesländern hat die Demokratiebildung eine größere Bedeutung als bei der westdeutschen Vergleichsgruppe.
  • Das Ausmaß schulischer Demokratiebildung nimmt offenbar zu, wenn folgende Punkte gegeben sind:

1. wenn Lehrkräfte über die für Demokratiebildung relevanten Kompetenzen verfügen,

2. wenn Demokratiebildung an der jeweiligen Schule einen hohen Stellenwert genießt, etwa durch eine strukturelle Verankerung im Leitbild der Schule,

3. wenn der Stellenwert von Demokratiebildung in der Aus- und Fortbildung der jeweiligen Lehrkraft hoch war bzw. ist,

4. wenn Lehrkräfte ihr Verhalten als selbstwirksam empfinden.

Fazit

Um die Intensität schulischer Demokratiebildung zu steigern, sollte nach Ansicht der Autoren der Stellenwert der Demokratiebildung in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften erhöht werden. Zudem sei in der Aus- und Fortbildung ein besonderes Augenmerk auf demokratiebildungsrelevante Kompetenzen zu legen, wie zum Beispiel Konfliktmanagement, Förderung prosozialen Verhaltens und Umgang mit Meinungsführenden unter den Schülerinnen und Schülern. Schließlich gelte es, Demokratiebildung zu einem sichtbaren Bestandteil des Schulalltags zu machen.