Expertise

Demokratisierung der Wissenschaft

Thema

Partizipative und nachhaltigkeitsorientierte Forschung

Herausgeberschaft

Stiftung Mitarbeit Bonn/Vereinigung Deutscher Wissenschaftler

Autoren/Autorinnen

Stella Veciana/Claudia Neubauer

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2016

Stiftungsengagement

Stiftung Mitarbeit

Literaturangabe

Stella Veciana/Claudia Neubauer: Demokratisierung der Wissenschaft – Anforderungen an eine nachhaltigkeitsorientierte partizipative Forschung. Mit Förderung und Unterstützung durch das Bundesumweltamt. Die Studie entstand in Kooperation mit der Zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende. Hrsg. v. Stiftung Mitarbeit Bonn/Vereinigung Deutscher Wissenschaftler. Berlin 2016.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass die globalen Probleme des 21. Jahrhunderts – zum Beispiel Klimawandel, Ressourcenknappheit, Armut ud Verteilungsungerechtigkeit – Auswirkungen einer wachstumsorientierten Wirtschafts- und Lebensmodells sind, die die planetaren Grenzen sprengen. Die Autorinnen betonen, dass dadurch zunehmend die Möglichkeit eines friedlichen und menschenwürdigen Zusammenlebens der Menschen gefährdet wird. Wenn sich die Gesellschaft für einen Wandel in Richtung Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und lebendige Demokratie entscheiden sollte, müsse sie sich von einem konsumorientierten Lebensstil verabschieden, althergebrachte Pfade verlassen und neue Regeln und Formen des Wirtschaftens und Zusammenlebens finden. Es müsse ein umfassender globaler Transformationsprozess organisiert werden, der den Menschen ein Mehr an Sinn, Perspektiven und Menschlichkeit bringen würde.

Auf politischer Ebene ließe sich ein solcher Transformationsprozess nur mit mehr Transparenz, Bürgerbeteiligung, Pluralität und direkter Demokratie gestalten. Auf ökonomischer Ebene wäre es notwendig, sich von einer Wirtschaftsform lösen, die vorrangig an Wachstum und kurzfristigen Gewinnen ausgerichtet ist – hin zu einer Ökonomie, die von einer Orientierung am Gemeinwohl bestimmt ist und in deren Mittelpunkt neue Formen der Kooperation stehen müssten.

Auch die Wissenschaft sei aufgerufen, ihr Selbstverständnis kritisch zu reflektieren und neu zu definieren. An der Schnittstelle von Demokratie und Nachhaltigkeit stehe Forschung vor der Herausforderung, Form und Inhalt zukünftiger wissenschaftlicher Arbeit neu zu bestimmen. Dazu gehören aus Sicht der Autorinnen neue Formen der Kooperation mit der Zivilgesellschaft, die Koproduktion von Wissen, die Partizipation von Entscheidungsprozessen, eine transformative und transdisziplinäre Forschung für Gemeinwohl, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit, die Entwicklung sozial-robusten Wissens und der Aushandlungsprozess von Interessen verschiedener sozialer Gruppen.   

Die Autorinnen verdeutlichen ihr Verständnis von Nachhaltigkeit: „Nachhaltigkeit heißt nicht zuvorderst Verzicht. Nachhaltigkeit heißt vor allem, Werte anders zu setzen und in neue Richtungen zu gehen.“

In der vorliegenden Studie werden transdisziplinäre und partizipative Transformationsforschungsprojekte und -programme vorgestellt. Anschließend werden vier konkrete Praxisbeispiele anhand eines Analysegitters (Ausgangslage, Schlüsselakteure, Etappen der Umsetzung, genutztes Wissen, Transformationsansatz, gesellschaftliche Wirkung) diskutiert. Die Studie schließt mit einem Katalog von Handlungsempfehlungen, die darauf zielen, transdisziplinäre und partizipative Forschung zu Nachhaltigkeit zu verbreiten und anzuerkennen.

Verfasst wurde die Publikation von Dr. Stella Veciana (Gründerin und Leiterin der Research Arts Platform“ und Mitgestalterin der Initiative „Zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende“ in Berlin) und Dr. Claudia Neubauer (Mitbegründerin und ehemalige Leiterin der Fondation Sciences Citoyennes, Programmverantwortliche der Schweizer Stiftung Fondation Charles Léopold Mayer pour le progrès de l’homme). Die Veröffentlichung wurde vom Umweltbundesamt und dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) unterstützt und entstand in Kooperation mit dem Projekt „Zivilgesellschaftliche Partizipation Forschungswende Nachhaltigkeit“.

Wichtige Ergebnisse

Die Autorinnen legen der Studie vier Thesen zugrunde. Daraus leiten sie jeweils Empfehlungen und ein Fazit ab.  

1. These:

Das Interesse von zivilgesellschaftlichen Organisationen an Forschungspolitik sei im Laufe der letzten zehn Jahre gestiegen, doch fehle grundsätzlich ein gemeinsames Verständnis zur Rolle der Forschung für die Transformation der Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit. In zivilgesellschaftlichen Organisationen gebe es kaum Referentinnen und Referenten für Forschung und nur wenig personelle und materielle Ressourcen, um diese Thematik zu behandeln.

Empfehlungen an die Forschungsförderung u.a.:

  • Bereitstellung von Kontaktstellen und Ausbildung von Vermittlerinnen und Vermittlern, die Praxis mit Forschung verbinden können
  • Bereitstellung von materiellen Ressourcen für zivilgesellschaftliche Organisationen in transdisziplinären Forschungsprojekten und -programmen
  • Förderung von Austausch
  • Schaffung von spezifischen Orten (z.B. zur informellen Vernetzung für engagierte Akteure)
  • Förderung von Strukturen der gemeinsamen Nutzung
  • Unbürokratische, persönliche, transparente Verwaltungs- und direkte Kommunikationswege
  • Interne Anstellungen von Akteuren der zivilgesellschaftlichen Organisationen 

Fazit:

Für das Zustandekommen und die Beständigkeit transdisziplinärer und partizipativer Forschung bedürfe es erstens einer strukturellen Transformation auf Verwaltungsebene, zweitens Diskussionen zwischen Akteuren aus Wissenschaft, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Politik sowie drittens einer Auseinandersetzung der zivilgesellschaftlichen Organisationen mit ihrer Rolle beim Aufbau einer nachhaltigen Gesellschaft.

2. These:

Die Forschungspolitik berücksichtige nicht in ausreichendem Maße die inhaltlichen, strukturellen und finanziellen Bedürfnisse von zivilgesellschaftlichen Organisationen und marginalisierten Gruppen für ihre solide Mitwirkung an einer Forschung für die Transformation zur Nachhaltigkeit.

Empfehlungen an die Forschungsförderung u.a.:

  • verstärkte Förderung der Entwicklung von intentionalen Gemeinschaften
  • Auflösung der Spannung zwischen Projektförderung, Langfristigkeit und prekären Arbeitsverhältnissen
  • Ausschreibung von transdisziplinären Forschungsprojekten und -programmen, die bestimmte Kriterien berücksichtigen (z.B. in Bezug auf Flexibilität, Innovation, Unterstützung marginalisierter Gruppen)
  • Verbesserung der Zugänglichkeit zu wissenschaftlichen Publikationen

Fazit:

Für eine solide Teilnahme der zivilgesellschaftliche Organisationen an transdisziplinären Forschungsprojekten bedürfe es der Einführung und Erweiterung von Forschungsprogrammen, die sich an den Bedürfnissen von zivilgesellschaftlichen Organisationen orientieren. Zivilgesellschaftliche Organisationen bräuchten sowohl Capacity building und individuelle Unterstützung als auch institutionalisierte Strukturen, um ihre Bedürfnisse und Anliegen mit der Politik verhandeln zu können. Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten ihre eigenen Bedürfnisse zur Teilnahme an der transdisziplinären Forschung und Wissenschaftspolitik analysieren und einfordern. Soziale, kulturelle, ökonomische und politische Aspekte sollten gemeinsam betrachtet werden.

3. These:

Es existiere ein sehr großer, ungenutzter Raum für Forschung für Nachhaltigkeit und Gemeinwohl, der ausgefüllt werden müsse, damit auch künftige Generationen die Chance auf ein würdevolles Leben haben.

Empfehlungen an die Forschungsförderung u.a.:

  • Maßnahmen, damit sich öffentliche Forschungsinstitutionen aktiv und offen mit partizipativer Forschung auseinandersetzen
  • Maßnahmen, die darauf hinwirken, dass lokal selbsttragende und nachhaltige Wertschöpfungskreisläufe auf den kompetitiven Arbeitsmarkt übertragbar werden
  • Plattformen zur Bewusstseinsbildung und zur Aktivierung des Transformationswillens aller Akteure aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik
  • Schaffung von langfristigen Strukturen

Fazit:

Die Frage nach Forschung für Nachhaltigkeit und Gemeinwohl stelle auch die Systemfrage: Welches Gesellschaftsmodell soll erreicht werden und mit welchen Mitteln? Grundlegende Veränderungen würden umfangreiche rechtliche Veränderungen marktwirtschaftlicher Instrumente und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen erforderlich machen. In der Forschungspolitik müssten Top-down-Ansätze mit Bottom-up-Ansätzen verbunden werden. Forschungspolitik und andere Politikbereiche sollten sich vermehrt für die Ökonomie der Ökonomie der partizipativen Forschung interessieren.

4. These:

Zivilgesellschaftliche Organisationen seien nicht genug in Forschungsprojekte in den verschiedenen Bereichen öffentlicher Politik einbezogen, um eine sozial-ökologische Transformation aktiv voranzutreiben.

Empfehlungen an die Forschungsförderung u.a.:

  • Stadtplanung/Stadtentwicklung sollte mehr auf lokale und dezentrale Prozesse ausgerichtet sein und mehr lokale Projekte mit partizipativen Forschungsansätzen fördern
  • es sollten aktiv Hochschulen und Forschungsinstitutionen in lokale und transformative Prozesse einbezogen werden
  • Landplanung sollte das Wissen und Know-how von verschiedenen Akteuren zur Erhaltung biologischer Vielfalt und Landschaften berücksichtigen
  • Gesundheitspolitik sollte materielle und organisatorische Rahmenbedingungen schaffen, um partizipative, interdisziplinäre und interprofessionelle Ansätze in der Gesundheitsforschung stärker zu unterstützen

Fazit:

Zivilgesellschaftliche Organisationen bräuchten Möglichkeiten und Strukturen, um sich in die ökologische Transformation in verschiedenen Bereichen der gesellschaftlichen Gestaltung einbringen zu können. Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten auch in eine integrierte sozial-ökologische Raumplanung strukturell eingebunden werden.

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