Handreichung

Digital Streetwork – Pädagogische Interventionen im Web 2.0

Thema

Präventionsarbeit gegen Rechts im Internet

Herausgeberschaft

Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.)

Autoren/Autorinnen

Christina Dinar/Cornelia Heyken

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2017

Stiftungsengagement

Amadeu Antonio Stiftung, Freudenberg Stiftung

Literaturangabe

Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.): Digital Streetwork – Pädagogische Interventionen im Web 2.0. Berlin 2017.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass das Internet und die sozialen Medien wie Facebook, Instagram, Twitter, WhatsApp wesentliche Bestandteile der Lebenswelten von Jugendlichen sowie Orte ihrer Sozialisation und Identitätsbildung sind: Hier verbringen sie täglich viel Zeit, pflegen soziale Kontakte, tauschen sich mit anderen aus und informieren sich, werden aber auch selbst aktiv, sei es in Gruppen(-diskussionen), Chats oder mit privaten Nachrichten. In den sozialen Medien entwickeln junge Menschen auch politische Meinungen und teilen sie mit Gleichaltrigen.

Die Autorinnen weisen darauf hin, dass das Internet und die sozialen Medien deshalb für die politische Bildung und die soziale Arbeit mit einem lebensweltorientierten Ansatz ganz zentral sind, um Jugendliche zu erreichen. Soziale Arbeit könne auch als Demokratiearbeit verstanden werden, die einen präventiven Umgang mit Abwertung und Diskriminierung sowie eine Stärkung von Werten wie Pluralität und Gleichwertigkeit der Menschen einschließt. Eine wesentliche Aufgabe der demokratiebildenden Arbeit sei es, die Debattenkultur von Jugendlichen in einem demokratiefördernden Sinne zu begleiten. Dabei müssten Jugendliche nicht nur befähigt, sondern auch stärker in die Medienbildungsarbeit einbezogen werden.

Rechtsextremismus und Rechtspopulismus seien im Netz schon länger und auch erfolgreich aktiv, etwa durch Versuche, mit Desinformation und Hass-Kampagnen Einfluss auf Wahlen zu nehmen. Die dadurch erzeugten Stimmungen hätten dann auch Auswirkungen auf das analoge Leben. Zunehmend zeige sich eine subtile Einflussnahme der Neuen Rechten. So könne zum Beispiel auf Internetseiten zu Umwelt- und Tierschutz-Themen, die zunächst harmlos erscheinen, unterschwellig eine rechtsextreme Ideologie verbreitet werden.

Ein wichtiges Ziel müsse deshalb sein, bei der Prävention von Rechtsextremismus besser auf die Lebenswirklichkeiten von Jugendlichen einzugehen und vor allem den digitalen Raum einzubeziehen, etwa in jugendkulturellen Projekten der schulischen und außerschulischen Jugendarbeit. Projekte in der analogen Welt sollten dabei mit digitalen Projekten verbunden werden. Hier setzt auch das Format digital Streetwork des Projektes debate// an: Die Prävention von Hate Speech im Netz ist als digitale Ergänzung zu einer Praxis der analogen Präventionsarbeit gegen rechts konzipiert, die in Zeiten von Hetze und Hass im Netz insbesondere durch rechtspopulistische Bewegungen stark an Bedeutung zugenommen hat.

Die vorliegende Broschüre bietet Information über mögliche Ansprachen von Jugendlichen im Netz für Akteure in der Sozialen Arbeit, pädagogische Fachkräfte oder andere Interessierte, die im Web 2.0 in diesem Sinne aktiv werden möchten.

Das Projekt debate//für digitale demokratische Kultur ist ein Projekt der Amadeu Antonio Stiftung, die sich für die Stärkung einer digitalen demokratischen Debattenkultur einsetzt. Ziel ist es, präventiv gegen menschenfeindliche Inhalte im Web 2.0 vorzugehen,

  • indem das Klima in Online-Debatten zu einem positiven, zivilen und respektvollen Austausch hin verändert wird,
  • indem junge Menschen dazu befähigt und ermutigt werden, demokratische Debattenkultur online umzusetzen – statt sie zu ignorieren und zu stillen Mitlesenden zu werden.

Insbesondere dort, wo die virtuelle Öffentlichkeit bereits durch toxische, menschenfeindliche Narrative und Stimmungen besetzt worden sind, sei eine Beteiligung aller demokratischen Kräfte, die auf Demokratie, Menschenrechte und einen diskriminierungsfreien Diskurs setzen, besonders wichtig.

Ein wichtiges Projektanliegen besteht darin, junge Menschen zu erreichen, die rechte Affinitäten aufweisen und sich zu geschlossenen Weltbildern hingezogen fühlen. Diese Gruppe soll wieder für die Demokratie zurückgewonnen werden, indem einer weiteren Verfestigung rechtsaffiner Einstellungen entgegengewirkt und eine Distanzierung von entsprechenden Tendenzen gefördert wird, zum Beispiel indem sie mit dem menschenverachtenden Charakter ihrer Einstellung konfrontiert werden. Vor allem aber sollen sie dabei unterstützt werden, sich selbst zu reflektieren und ihre Bedürfnisse zu erkennen.

Ein weiteres Ziel des Projekts ist es, junge Menschen zu empowern, die sich bereits gegen rechte Affinitäten im Netz einsetzen und Hate Speech nicht unwidersprochen stehen lassen. Damit soll dazu beigetragen werden, eine demokratische Debattenkultur im digitalen Raum zu etablieren und Menschen dazu zu befähigen, antidemokratische Haltungen zu erkennen und diesen mit kommunikativen Mitteln im Web zu begegnen. Das Netz soll als relevanter lebensweltlicher Raum für Jugendliche für demokratiestärkende Maßnahmen genutzt werden.

Unterstützt wurde das Projekt debate//für digitale demokratische Kultur und die vorliegende Publikation durch das Programm „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und die Freudenberg Stiftung. Das Geleitwort verfasste Prof. Dr. Beate Küpper, Professorin für Soziale Arbeit in Gruppen und Konfliktsituationen (Fachbereich Sozialwesen an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach) und Vorsitzende des Stiftungsrats der Amadeu Antonio Stiftung. Das Projekt und seine Ansätze der digitalen Streetwork wurden vom Media Uselab durch Prof. Dr. Julie Woletz wissenschaftlich begleitet und ausgewertet.

Wichtige Ergebnisse

Ergebnisse aus der Forschung

Die Autorinnen verweisen auf die Ergebnisse von Studien, nach denen wichtige Bezugspersonen bei Meinungsbildungsprozessen und bei der Umsetzung von Einstellungen in Verhalten eine große Bedeutung haben bzw. die eigenen Meinungen entscheidend prägen. Für Jugendliche seien es neben den Eltern, Großeltern, Lehrkräften, Trainerinnen und Trainer im Sportverein etc. vor allem Peers und etwas ältere, junge Mentorinnen und Mentoren, die zum Beispiel Jugendfreizeitgruppen anleiten. In den sozialen Medien können solche wichtigen Bezugspersonen als „Freundesgruppe“ und Influencer auftreten.

Einen großen Einfluss habe im Netz die Herausbildung einer wertschätzenden Kommunikationskultur und die Vermittlung von nicht-rassistischen Normen auch in den sozialen Medien, da diese wichtige Standards setzen, an denen sich junge Menschen im Netz orientieren können.

Aus Studien ist auch bekannt, dass beim zivilcouragierten Verhalten in der analogen Welt die direkte Ansprache von sogenannten Bystandern sehr wichtig ist. „Bystander“ sind in der Regel viele Personen, die im Hintergrund bleiben, sich eher passiv verhalten und unsicher sind, wie sie einen Vorfall bewerten oder sich verhalten sollen und deshalb in Konfliktsituationen nicht eingreifen, sondern eher versuchen, Störungen zu ignorieren. Sie beobachten bei einem Vorfall aber das Verhalten der anderen, um sich ein Bild von der Sache zu machen – und beeinflussen mit ihrem Nicht-Verhalten wiederum andere Bystander. Zivilcourage- und Anti-Mobbing-Trainings sprechen daher ganz gezielt auch Bystander als primäre Zielgruppe von Counter Speech in den sozialen Netzwerken an.

Daten zur Internetnutzung junger Menschen (2015):

  • 77,6 Prozent der Deutschen sind online, fast alle unter 30-Jährigen (98,2 Prozent).
  • Auch bei der Nutzung des mobilen Internets sind die jungen Menschen unter 30 Jahren am aktivsten (etwa 85 Prozent).
  • Bis zu zwei Stunden täglich beschäftigen sich 14- bis 29-Jährige mit Kommunikation im Internet, also über Facebook, WhatsApp oder Social Media-Angebote, mit dem Chatten oder dem Schreiben und Lesen von E-Mails.
  • Das Smartphone steht bei den Jugendlichen auf Platz 1. Sie gehen überwiegend mit ihrem Smartphone online und nutzen dabei auch mobile Seiten. Im Alltag der Jugendlichen spielen klassische Websites eher eine geringe Rolle, wichtiger sind mobile Plattformen, Apps und Kommunikationstools. Auf Plattformen finden sie dann sowohl journalistische Inhalte von professionellen Medienanbietern, wie Verlags- und TV-Unternehmen, als auch kommerzielle Angebote von Handel und Industrie.
  • Hauptsächlich informieren sich Jugendliche über Themen, die sie selbst betreffen. An zweiter Stelle wollen sie sich möglichst schnell über das Weltgeschehen informieren.
  • Allgemein verwendet eine Mehrheit von 68 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer Social Media-Plattformen wie zum Beispiel Facebook als Informationsquelle für politische Themen. Auch wenn die Nutzung des größten Sozialen Netzwerks Facebook in Deutschland durch Jugendliche eher abnimmt, so bleibt die Informationsbeschaffung darüber weiterhin relevant, insbesondere für die über 18-Jährigen (Ergebnisse der JIM-Studie „Jugend, Information, (Multi-)Media“ 2017).

Politisches Interesse und Engagement junger Menschen

Die Autorinnen weisen darauf hin, dass in der SINUS-Jugendstudie u18 von 2012 deutlich wird, dass ein Teil der Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren den etablierten politischen Betrieb leidenschaftslos verfolgt und sich nicht von explizit politischen Themen angesprochen fühlt. Viele Jugendliche hätten aber durchaus eine politische Agenda. Sie äußerten vor allem die Bereitschaft, sich für das soziale Umfeld einzusetzen, den Wunsch, ihren Lebensraum zu gestalten, sowie den Wunsch, sich für ihre Probleme und Sehnsüchte sowie gegen Ungerechtigkeit in der Gesellschaft zu engagieren. Jugendliche aus prekären Verhältnissen zeigten sich dabei in Hinsicht auf ihre Zukunftsperspektiven unzufriedener und nähmen soziale Ungerechtigkeit in hohem Maße wahr, bezeichneten sich aber dennoch als besonders unpolitisch.

Jugendliche würden – je nach sozialer Lage und Wertorientierung – unterschiedliche Lösungsstrategien für die Herausforderungen in ihrem Leben entwickeln. Ihre Positionierung zu bestimmten Themen werde aber auch in erheblichem Maß durch soziale Abgrenzung von anderen Jugendlichen bestimmt.

Hier können nach Auffassung der Autorinnen Rechtsextreme und andere Menschenfeinde mit ihrer Propaganda ansetzen und vermeintlich einfache Lösungen anbieten: Da sich Jugendliche auch durch soziale Abgrenzung von anderen Jugendlichen abgrenzen, würden sozial benachteiligte Jugendliche von Jugendlichen aus der gesellschaftlichen Mitte oft an den Rand gedrückt.

Rolle des Internets

Vor allem Soziale Online-Netzwerke seien dabei der ideale Ort, um junge Menschen, die in ihrem Demokratieverständnis noch nicht gefestigt sind – unabhängig von Bildungsstand, Herkunft oder politischer Überzeugung – für sich zu gewinnen. Die Hemmschwelle, Kontakt aufzunehmen, sei im Netz vergleichsweise niedriger, etwa weil man in der Interaktion anonym bleiben kann. Auf der Suche nach Überzeugungen und Weltsicht könnten rassistische, antisemitische und demokratiefeindliche Positionen, die in politische oder unpolitische Diskussionen einfließen, als normale und legitime Meinungsäußerungen wahrgenommen werden und eine bisher unausgereifte Positionierung bestätigen, festigen oder verändern.

Ein großer Teil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen sei bereits mit Hass-Posts oder unseriösen Medien in Sozialen Online-Netzwerken konfrontiert worden. Insbesondere rechte Parteien und Nichtregierungsorganisationen wie die Identitäre Bewegung seien sehr gut auf Facebook organisiert und nutzten teilweise auch eine sehr zielgruppenspezifische Ansprache für Jugendliche. Die damit verbundenen antidemokratischen und menschenfeindlichen Inhalte würden viele Jugendliche nicht erkennen, andere teilten bereits ausländerfeindliche, antisemitische und rechtsextreme Einstellungen.

Bei einem Vergleich der politischen Parteien (2016) zeigt sich, dass die Partei AFD die höchste Anzahl an Likes auf ihrer Facebook-Fanseiten erreicht (301.000), während andere Parteien deutlich weniger erhalten, zum Beispiel Die Linke (158.000), CDU (121.000), SPD (117.000), Die Grünen (127.000).

Jugend(sozial)arbeit off- und online

Künftig sollte nach Ansicht der Autorinnen stärker berücksichtigt werden, dass die Sozialen Online-Netzwerke nicht nur Lebenswelt, sondern ein Sozialraum von jungen Menschen sind. Dementsprechend sollten sie auch als Arbeitsfeld der Jugend(sozial)arbeit begriffen werden.

Für eine Übertragung von der Offline- in die Online-Arbeit (Digital Streetwork) kämen vorerst vor allem vier Teilbereiche der Sozialen Arbeit in Frage:

  • Mobile Jugendarbeit/Streetwork,
  • Einzelfallhilfe,
  • Offene Jugendarbeit,
  • Jugendsozialarbeit an Schulen.

Digital Streetwork wird dabei so verstanden, dass anerkannte Träger der freien Jugendhilfe Jugend(sozial)arbeit im Netz praktisch tätig werden. Der Fokus im Projekt debate//für demokratische digitale kultur richtet sich explizit auf rechtsaffine junge Menschen, mit denen über Soziale Online-Netzwerke eine Form von Gespräch bzw. Zusammenarbeit erreicht werden soll. Das Projekt will sich klar von einer Arbeit mit Jugendlichen abgrenzen, die bereits ein gefestigtes rechtsextremes Weltbild haben, da diese andere Ansätze Sozialer Arbeit erfordern.

Der Digital Streetwork-Ansatz legt einen Begriff von Prävention zugrunde, der vorbeugende Maßnahmen zur Vermeidung unerwünschter Ereignisse oder Entwicklungen bezeichnet. Zu unterscheiden ist zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Prävention:

  • Die primäre Prävention hat zum Ziel, die demokratische Orientierung und ein Weltbild von der Vielfalt und Gleichheit aller Menschen zu stärken.
  • Sekundäre Prävention wendet sich an rechtsextrem orientierte und gefährdete Jugendliche, also junge Menschen, die erste Berührungen mit und Orientierungen hin zum Rechtsextremismus zeigen.
  • Die tertiäre Prävention richtet sich an Menschen mit einem bereits geschlossenen rechtsextremen Weltbild.

Das Projekt konzentriert sich somit auf die Bereiche der primären und sekundären Prävention. Dabei wird ein lebensweltorientierter Ansatz der Sozialen Arbeit verfolgt: Jugendliche werden an den Orten aufgesucht, wo sie sich freiwillig und gern aufhalten, und dort wird auch mit ihnen gearbeitet. Dieses Prinzip wird für eine präventive Arbeit als unverzichtbar erachtet. Das Konzept der Digital Streetwork sieht vor, rechtsaffines Auftreten von Jugendlichen auf Facebook, das sich durch Kommentare und/oder das Teilen eines Posts mit menschenfeindlichem Inhalt zeigt, im Netz „aufzusuchen“ und darauf gezielt zu reagieren.

Pädagogischer Counter Speech

Counter Speech ist ein Ansatz der Gegenrede zu antidemokratischen und menschenverachtenden Inhalten im Netz. Sie wird angewendet, um hasserfüllte Inhalte nicht unwidersprochen im öffentlichen Raum stehenzulassen und stille Mitlesende zu aktivieren. Als Mittel der pädagogischen Interaktion, um Hate Speech zu begegnen, bieten sich zwei Formen der Counter Speech an, die Intervention und das Debunking (dt. Entlarven).

  • Intervention: Die Jugendlichen werden direkt und in der digitalen Umgebung in einer „One-to-One”-Interaktion angesprochen, etwa über Personal Messages (PM). Die pädagogische Methode liegt im persönlichen Gesprächsansatz.
  • Debunking: Auf unterschiedlichen öffentlichen Seiten wird auf abwertende Kommentaren oder Hate Speech mit (Gegen-)Argumentationen reagiert. Hier wird die „One-to-Many“-Interaktion genutzt, die pädagogisch gesehen mithilfe von Aufklärung und Themensensibilisierung wirken kann. Jugendlichen, die sich bereits zu menschenfeindlichen Kommentaren äußern und diese nicht unwidersprochen stehen lassen, sollen dadurch empowert werden. Die „One-to-Many“-Interaktion lehnt sich an die Gegebenheiten der „Halböffentlichkeit“ der Sozialen Online-Netzwerke an, bei der „Freundinnen und Freunde“ auf den sozialen Netzwerken wie Facebook über Äußerungen im öffentlichen Raum infomiert werden.

Digital Streetworker sollten professionell agieren und auch die Grenzen der Jugendlichen immer wahren (kein öffentliches Bloßstellen). Werden dringende Handlungsnotwendigkeiten im Gespräch mit Jugendlichen deutlich, sollte Fachpersonal einbezogen werden. Zudem sollte eine Möglichkeit zur Supervision mitgeplant werden, da bei der Arbeit im Netz mit einem hohen Maß an Hass und menschenverachtenden Inhalten zu rechnen ist.

Pädagogische Fachkräfte und Sozialarbeitende sollten ein professionelles Arbeitsprofil in den sozialen Netzwerken nutzen. Mit Hilfe eines geeigneten Projektprofils könne sehr gut Kontakt zu Jugendlichen hergestellt werden. Bewährt hätten sich Profile, die die ansprechenden Personen auch wirklich repräsentieren. Der Aufbau eines authentischen Profils basiere auf detaillierten Kenntnissen über jugendliches Kommunikationsverhalten im Internet und erfordere die Adaption sowohl von verschiedenen Jugendkulturen als auch der aktuellen Netz-Kultur. Ein Profil sollte die berufliche Funktionen kennzeichnen. Es kann durchaus Persönliches enthalten sein, aber es sollten – aus Selbstschutz – keine privaten Informationen angegeben werden. Das eigene Profil des Nutzers bzw. der Nutzerin im Sozialen Online-Netzwerk ist für die Adressatinnen und Adressaten nach außen sichtbar.

Jede Facebook-Seite (z.B. einer Zeitschrift oder Tageszeitung) habe ein spezifisches Publikum und eine bestimmte Community, die sich anhand von Kategorien wie Alter, Interessen, politische Orientierung, Bildungssozialisation, Geschlecht und sexuelle Orientierung auf den einzelnen Seiten zusammenfindet. Auf diesen Seiten finde ein Austausch über Gemeinsamkeiten und Unterschiede statt, zum Beispiel durch das Teilen von Inhalten. Die Auswahl der Anspracheorte bei Facebook stehe in direktem Zusammenhang mit der intendierten Gruppe der Adressatinnen und Adressaten.

Im Projekt wurden im Rahmen der Digital Streetwork gezielt ausgewählte Personen angesprochen, die aufgrund ihres Beitrags in der Kommentarspalte aufgefallen waren. Die Auswertung habe dann ergeben, dass es empfehlenswert ist, vor jeder Ansprache die Profile anhand der Kategorien „Musik“, „Gruppen“, „Gefällt mir“-Angaben und „Abonniert“ in Augenschein zu nehmen, da hier eine rechte Affinität oft eindeutig erkennbar ist und das weitere Vorgehen darauf abgestimmt werden kann.

Für das Projekt wurde ein Gesprächsansatz entwickelt, der bedürfnisorientiert-konfrontativ ausgerichtet ist. Mit diesem Ansatz ist es nach Ansicht der Autorinnen möglich, einerseits eine klare Abgrenzung zu einem menschenverachtenden Weltbild zu verdeutlichen und andererseits auf die Motivation der jeweiligen Jugendlichen einzugehen, zum Beispiel auf den Wunsch nach Anerkennung. Die Basis pädagogischen Arbeitens mit auffälligen Jugendlichen sei es, ihnen zuzuhören und sie ernst zu nehmen, und herauszufinden, ob ihr Handeln aus ungestillten Bedürfnissen resultiert – und wenn ja, aus welchen. Auch bei Digital Streetwork scheint dieses Vorgehen sinnvoll, um einen ersten Zugang zu Jugendlichen zu finden. Dabei sollte niemals das Ziel aus dem Fokus geraten: nämlich die einzelnen Jugendlichen mit der eigenen Einstellung zu konfrontieren und ihnen den menschenverachtenden Charakter dieser Einstellung zu verdeutlichen. Die Pädagogin oder der Pädagoge sollte weder akzeptierend noch belehrend oder bekämpfend, sondern im ersten Schritt aufgeschlossen-bedürfnisorientiert agieren, also eine neugierig-neutrale Grundhaltung einnehmen. Ist ein Zugang gefunden und Gesprächsbereitschaft erreicht, kann verunsichernd-konfrontativ weitergearbeitet werden. Dabei sollte nicht vorgegeben werden, was Jugendliche denken sollen, sondern hinterfragt werden, warum die oder der Jugendliche glaubt, dass die eigene Einstellung die richtige ist. Diese glaubhafte Neugier sollte mittels einer wahrnehmungsgesteuerten Fragetechnik umgesetzt werden (z.B. „Warum denkst Du so?“, „Sag mal genauer, was das konkret bedeutet?“).

So könne erreicht werden, dass den Jugendlichen eigene Widersprüche aufgezeigt und Zweifel an der eigenen Auffassung geweckt werden. Es werde demnach eine konfrontative Verunsicherung auf der Basis von Aufgeschlossenheit erprobt. Allerdings könne nicht immer so linear und idealtypisch interveniert werden. Jeder bzw. jede Jugendliche reagiere einzigartig und oftmals anders als erwartet, sodass die Pädagoginnen und Pädagogen entsprechend flexibel, empathisch und sensibel sein sollten. So könne zum Beispiel manchmal auch aus einer Konfrontation heraus ein Zugang hergestellt werden. Außerdem sollten die pädagogischen Fachkräfte versiert in der Arbeit mit auffälligen Jugendlichen sein, also über aktuelle Ereignisse informiert sowie medien- und jugendaffin sein, um Zugang zu den Jugendlichen zu finden und eine Beziehung aufbauen zu können.

Die Haltung des Pädagogen bzw. der Pädagogin am Beginn und im weiteren Gesprächsverlauf sei sehr wichtig. Wichtig ist die Erstansprache, die an die jeweilige Situation angepasst werden sollte.

Ideen für die erste Ansprache:

  • Länge der Ansprache beachten
  • Intention der Ansprache an der richtigen Stelle einbringen
  • Check persönliche Bezugnahme: ja oder nein?
  • positive Konnotation
  • wertschätzende Haltung
  • sich vorstellen
  • nicht moralisieren oder anklagen
  • empathisch nachfragen und/oder Bezug nehmen
  • zu beachten: Betonung und Tonalität fallen weg
  • gute und durchdachte Sätze wählen
  • sprachlich im niedrigschwelligen Bereich bleiben
  • Dialog auf Augenhöhe führen
  • keine akademischen Phrasen oder Fremdwörter verwenden

Nach einer ersten Ansprache könnte sich ein weiterer Gesprächsablauf folgendermaßen gestalten: Der junge Mensch nimmt das Gespräch an oder reagiert mit Skepsis und Ablehnung. Im zweiten Fall sollten in einer folgenden Nachricht weitere Fragen gestellt und versucht werden, den Grund dafür herauszufinden. Auch hier sollte die pädagogische Fachkraft empathisch, aufgeschlossen-bedürfnisorientiert agieren und die Jugendlichen in ihrer Meinung ernst nehmen. Entweder der jeweilige Jugendliche wird doch noch erreicht und entschließt sich zu einer Annahme des Gesprächs, oder es erfolgt eine weitere Ablehnung. Nun könne das Gespräch nach und nach fortgeführt und in die zweite Phase eingestiegen werden: die Konfrontation. Im Gespräch können nun Behauptungen widerlegt oder hinterfragt werden, es können Argumente eingestreut und Fakten sowie seriöse Quellen dazu geliefert werden – allerdings in einem angemessenen Umfang, um die Jugendlichen nicht zu überladen oder abzuschrecken. Auch könnte an dieser Stelle auf vorher explizit oder implizit geäußerte Bedürfnisse des Gegenübers eingegangen werden, oder es könnten eigene Erfahrungen eingebracht werden, um eine Beziehung aufzubauen oder eine Selbstreflexion der Jugendlichen zu erreichen. Im Verlauf des Gesprächs in der Konfrontationsphase könne es immer wieder zu Skepsis oder Ablehnung kommen. Dann sollten wieder vorsichtig Fragen gestellt werden, um herauszufinden, worin die Skepsis oder Ablehnung besteht. Es sei immer zu bedenken, dass der Kontakt sehr flüchtig ist und sich die Gesprächspartnerinnen und -partner in einem virtuellen Gespräch befinden. Die fehlende Anbindung nach außerhalb könne eine Kommunikation erheblich erschweren. Es sei zu empfehlen, nach zweimaligen Ablehnungen, Skepsis oder einseitiger Kommunikation das Gespräch nicht weiter aufrechtzuerhalten.

Debunking – Entlarven falscher Tatsachen

Bei diesem Ansatz werden aufklärende Diskussionsbeiträge geschrieben. Die pädagogische Fachkraft beteiligt sich aktiv in öffentlichen Kommentarspalten, in denen die Person, deren Beitrag im Zentrum steht, direkt angesprochen und verlinkt wird, um für Mitlesende den Diskussionsverlauf bzw. Argument und Gegenargument gegenüberzustellen und zu verdeutlichen. Dabei gehe es darum, sich sprachlich aktiv von einer aus vorwiegend rassistischen und abwertenden Kommentaren bestehenden Diskussion abzuwenden und eine faktenfundierte, sachliche und solidarische Diskussionsform zu etablieren. Eventuell könne daraus auch eine „One-to-One“-Ansprache oder eine Beratung resultieren.

Der pädagogische Ansatz für diese Methode ist die Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit. Sie soll Irritation schaffen und alternative Denkansätze anstoßen. Ausdifferenzierte Beiträge dienten aber nicht nur dazu, Fakten einzubringen und Widerstand sichtbar zu machen, sondern auch die still mitlesende Mehrheit einzubeziehen und dieser gut verständliche Argumente gegen eine rechtsaffine Weltsicht zu vermitteln. Wichtig sei an dieser Stelle, Hasskommentare nicht einfach stehen zu lassen, sondern mit einer klaren, verständlichen und nachvollziehbaren Argumentation dagegen anzugehen. Die Argumentation sollte durch seriöse Quellen (Links, Zeitungsartikel, Literatur etc.) unterlegt werden, auch um den stillen Mitlesenden Alternativen aufzuzeigen. Diese Übernahme des Diskussionsraums biete nicht nur die Möglichkeit, die Postenden zu irritieren und Denkanstöße zu geben, sondern könne auch andere zu aktiver Teilnahme motivieren und noch Unentschlossene mit guten Argumenten zu erreichen. Grundsätzlich sei das Debunking eine einfache Form der aufklärenden Stellungnahme und Irritation, da es ein direktes Feedback aus der Community geben kann – Personen,

die die Argumentation aufgreifen und weiterführen oder den aufklärenden Beitrag liken, um auf diesem Wege ihre Zustimmung mitzuteilen.

Auch sollten Jugendliche, die sich in Kommentarspalten offen gegen Hetze positionieren, positiv gestärkt und unterstützt werden, etwa über Private Messages, Likes für ihre Kommentare, aber auch aktive Zustimmung in der offenen Diskussion. Diese Methode ermögliche es, auch demokratische Wortführende zu stärken und zu ermutigen sowie die still Mitlesenden zu ermutigen, sich ebenfalls zu engagieren. Auch könne dadurch die eigene Community aktiviert und zum Liken und Verstärken demokratischer Kommentare bewegt werden, um nicht den Eindruck zu erzeugen, die Mehrzahl der Kommentierenden und Mitlesenden sei mit der Hetze einverstanden. Auf diesem Wege werde die primäre Präventionsebene bedient und demokratische Alternativkulturen bestärkt.