Handlungsempfehlungen

Digitales Lernen. Möglichkeiten und Grenzen einer Digitalisierung im Bildungsbereich

Thema

Chancen und Grenzen der Digitalisierung an Schulen

Herausgeberschaft

Konrad-Adenauer-Stiftung

Autoren/Autorinnen

Klaus Zierer

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2017

Stiftungsengagement

Konrad-Adenauer-Stiftung

Literaturangabe

Klaus Zierer: Digitales Lernen. Möglichkeiten und Grenzen einer Digitalisierung im Bildungsbereich. Analysen & Argumente, Februar 2017. Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung 2017.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Angesichts der zunehmenden Digitalisierung der Gesellschaft ist der digitale Wandel im Bildungssystem eine zentrale Aufgabe. Studien haben gezeigt, dass das alleinige Ausstatten der Schulen mit der notwendigen technologischen Infrastruktur nicht ausreicht, um durch digitale Medien positive Effekte auf die Lernenden zu erzielen.

Im Mittelpunkt des Beitrags stehen zwei Fragen:

  • Warum hat Digitalisierung bisher noch keinen größeren (positiven) Einfluss auf die schulischen Leistungen der Lernenden?
  • Was ist notwendig, um digitales Lernen an Schulen erfolgreich umzusetzen?

Mit diesen Fragen beschäftigte sich Prof. Dr. Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg, im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung in seinem Beitrag, der auch Handlungsempfehlungen enthält. Dabei werden auch die Ergebnisse der neueren Bildungsforschung (z.B. John Hattie, Pam A. Mueller/Daniel M. Oppenheimer) einbezogen.

Wichtige Ergebnisse

Potenziale der Digitalisierung besser nutzen

Der Autor stellt fest, dass Digitalisierung für eine zukunftsfähige Schule wichtig ist. Bisher würden neue Medien aber in erster Linie als Ersatz für traditionelle Medien genutzt – und somit vor allem als Informationsträger: So wird etwa der Computer zum Lexikonersatz, das Tablet zum Arbeitsblattersatz und das Smartboard zum Tafelersatz. Lehrpersonen müsse es aber gelingen, die neuen Medien auch zur Informationsverarbeitung zu nutzen. Dann seien positivere Effekte auf das Lernen zu erwarten.

Um den Mehrwert der Digitalisierung im Vergleich zu traditionellen Medien ausschöpfen zu können, wären systematische Lehrerfort- und Lehrerweiterbildungen notwendig. Dort müsste vermittelt werden, worin der Nutzen der Digitalisierung zu sehen ist und wie digitale Medien gewinnbringend in Lehr-Lern-Prozessen eingesetzt werden können.

Allerdings seien nicht allein die Lehrpersonen dafür verantwortlich, dass Digitalisierung bisher (noch) nicht die erhofften Effekte erzielen konnte. Auch die Programme, die bei der Digitalisierung der Klassenzimmer eingesetzt werden, seien oft mangelhaft: Optisch und akustisch würden sie nicht selten zu einer Überlastung des Arbeitsgedächtnisses der Schülerinnen und Schüler führen. Dies führe dazu, dass Kinder und Jugendliche den Großteil ihrer kognitiven Leistungen damit verschwenden, die Reize zu sortieren und zu selektieren, ohne dabei etwas zu lernen.

Deutlich werde, dass die Technik allein und für sich genommen das Lernen nicht revolutionieren werde: Technik brauche immer den Menschen, um wirken zu können. Für gelingende Bildung sei somit nicht das Medium, sondern die Interaktion zwischen Menschen entscheidend. Es komme darauf an, was Lehrpersonen mit der Technik machen.

Erfolgreiches digitales Lernen hänge somit nicht nur von moderner Technik ab, sondern vor allem von den Lehrpersonen, die die neuen technischen Möglichkeiten in Lehr- und Lernkonzepte integrieren. Entscheidend seien dabei die Haltung und Kompetenzen der Lehrpersonen.

In „Kenne deinen Einfluss!“ (Hattie/Zierer 2016) wurden zehn Haltungen von Lehrpersonen definiert, die darüber entscheiden, ob pädagogische Handlungen erfolgreich sind oder nicht. Diese Haltungen werden im Beitrag kurz dargestellt und anschließend in den Kontext der Digitalisierung übertragen, um die Potenziale für die Schule aufzuzeigen:

1. Erfolgreiche Lehrpersonen reden über das Lernen und nicht über das Lehren. Ihre pädagogischen und didaktischen Überlegungen beginnen und enden beim Lernenden.

Digitalisierung im Unterricht basiere darauf, das Vorwissen und die Vorerfahrungen der Lernenden zu erheben und jene digitalen Verfahren einzusetzen, die darauf aufbauend am besten dazu passen.

2. Erfolgreiche Lehrpersonen setzen eine Herausforderung und gestalten Lernprozesse weder zu leicht noch zu schwer.

Digitalisierung im Unterricht ziele darauf, mithilfe digitaler Verfahren eine Passung zwischen Vorwissen und Anforderungsniveau herzustellen und Lernen möglichst herausfordernd zu machen.

3. Erfolgreiche Lehrpersonen sehen Lernen als harte Arbeit und setzen vielfältige, regelmäßige und herausfordernde Phasen der Übung.

Digitalisierung im Unterricht sollte demnach Möglichkeiten eröffnen, um über das Lernen miteinander ins Gespräch zu kommen.

4. Erfolgreiche Lehrpersonen sehen Unterricht als Interaktion, die auf Wertschätzung beruht, und investieren in den Aufbau positiver Beziehungen.

Digitalisierung im Unterricht bedeute, neue Medien anzuwenden, um neue Formen der Interaktion, des Gespräches und der Zusammenarbeit in Lehr-Lern-Prozesse zu integrieren.

5. Erfolgreiche Lehrpersonen sehen Unterricht nicht als Einbahnstraße, sondern als Dialog.

Digitalisierung im Unterricht bedeute auch, das gesprochene Wort im Unterricht durch vorausgehenden und nachfolgenden digitalen Austausch in seiner Tiefe und Nachhaltigkeit positiv zu beeinflussen.

6. Erfolgreiche Lehrpersonen informieren Lernende und Eltern über die Sprache der Bildung.

Digitalisierung im Unterricht erfordere, dass Lehrpersonen den Umgang mit neuen Medien kritisch-konstruktiv kommentieren, auf Möglichkeiten, Grenzen und Gefahren hinweisen.

7. Erfolgreiche Lehrpersonen sehen sich als Veränderungsagenten und setzen Methoden nicht um der Methoden willen ein, sondern immer vor dem Hintergrund der Lernsituation.

Digitalisierung im Unterricht heiße auch, in Abwägung der Möglichkeiten und der Bedürfnisse aufseiten der Lernenden neue Medien dann einzusetzen, wenn sie die beste Wahl sind.

8. Erfolgreiche Lehrpersonen geben und fordern Rückmeldung, weil Feedback für sie nicht nur ein wichtiges Instrument ist, sondern eine Grunddimension von Unterricht.

Digitalisierung im Unterricht bedeute, den Mehrwert neuer Medien im Vergleich zu traditionellen Medien zu nutzen und im Kontext von Feedback jene Verfahren in den Unterricht mit aufzunehmen, die sonst aufgrund von Zeitaufwand und fehlender Kompetenz nicht möglich wären.

9. Erfolgreiche Lehrpersonen betrachten Schülerleistungen als wichtige Rückmeldung für ihre Lehre und bringen sowohl den Lernerfolg als auch Fehler im Lernprozess immer in Verbindung mit ihrem Denken und Tun.

Digitalisierung sei auch damit verbunden, Fehler im Lernen mithilfe neuer Medien sichtbar zu machen, um darauf aufbauend in einen intensiven Austausch über Lehr-Lern-Prozesse zu kommen.

10. Erfolgreiche Lehrpersonen arbeiten zusammen.

Digitalisierung im Unterricht schließe ein, dass neue Medien neue Formen des Austausches und der Kooperation zwischen Lehrpersonen initiieren.

Wenn es Lehrpersonen gelinge, mit diesen Haltungen in den Unterricht zu gehen, wären sie auch in der Lage, Digitalisierung sinnvoll in den Unterricht zu integrieren. Das Internet sei ein Medium, das erst durch den Menschen zum Leben erweckt werde. Bei professionellem Einsatz könne digitales Lernen durchaus zu besseren Lernerfolgen führen, indem unter anderem eine individuelle Passung zwischen Vorwissen und Anforderungsniveau hergestellt, neue Formen der Interaktion, des Gespräches und der Zusammenarbeit gefördert, die Nachhaltigkeit des Lernprozesses unterstützt und Lernschwächen schneller erkannt und behoben werden können.

Um digitales Lernen erfolgreich umzusetzen, besteht nach Ansicht des Autors Handlungsbedarf in vier Entwicklungsfeldern:

1. Verbesserung der pädagogischen Expertise

2. Aufbau einer fehlerfreundlichen Lernkultur

3. Förderung des Austauschs und der Kooperation im Lernprozess

4. Stärkere evidenzbasierte Nutzung der Hard- und Software

Digitalisierung sei für eine zukunftsfähige Schule wichtig, aber kein Heilsbringer für alle pädagogischen Herausforderungen. Nicht das Medium sei der Ort der Bildung. Vielmehr bleibe Bildung im Wesentlichen eine Frage der gelingenden Interaktion zwischen Menschen. Technik sei in diese Interaktion sinnvoll zu integrieren und den Menschen unterzuordnen. Der Leitspruch müsse lauten: „Pädagogik vor Technik!“