Studie

Digitalisierung braucht Zivilgesellschaft

Thema

Zusammenhang von Digitalisierung und Zivilgesellschaft

Herausgeberschaft

Bertelsmann Stiftung/PHINEO/Robert Bosch Stiftung/Stiftung Neue Verantwortung

Autoren/Autorinnen

Wiebke Rasmussen

Erscheinungsort

Gütersloh/Berlin/Stuttgart

Erscheinungsjahr

2019

Stiftungsengagement

Bertelsmann Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stiftung Neue Verantwortung

Literaturangabe

Bertelsmann Stiftung/PHINEO/ Robert Bosch Stiftung/Stiftung Neue Verantwortung (Hrsg.): Digitalisierung braucht Zivilgesellschaft. Gütersloh/Berlin/Stuttgart 2019.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass die Digitalisierung im Alltag der meisten gemeinnützigen Organisationen angekommen ist. Die Autorin erläutert, dass der digitale Wandel einen erheblichen Veränderungsdruck bei Abläufen, Strukturen und inhaltlichen Angeboten erzeugt. Der Umgang mit den damit verbundenen Herausforderungen werde eine Daueraufgabe bleiben, weil durch Digitalisierung ständig Neues entstehe, auf das reagiert werden müsse. In diesem Prozess habe die formalisierte Zivilgesellschaft aber auch die Möglichkeit, mit ihren Stiftungen, Vereinen und Wohlfahrtsorganisationen selbst den digitalen Wandel mitzugestalten.

Der vorliegende Report „Digitalisierung braucht Zivilgesellschaft“ ist ein Gemeinschaftsprojekt der Stiftung Neue Verantwortung, der Bertelsmann Stiftung, der Robert Bosch und PHINEO, die sich als „Partner in digitaler Mission“ verstehen. Zielgruppe sind insbesondere zivilgesellschaftliche Organisationen, die am Anfang der Auseinandersetzung mit dem Thema stehen, aber auch alle Interessierten, die besser verstehen wollen, wie Digitalisierung die Zivilgesellschaft bewegt und verändert.

Ziele des Reports:

  • Digitalisierung soll als vielschichtiger Veränderungsprozess für den Dritten Sektor eingeordnet und als Begriff geschärft werden. Dazu werden unterschiedliche digitale Herausforderungen innerhalb der zivilgesellschaftlichen Organisationen identifiziert und Begrifflichkeiten abgegrenzt. Dadurch soll ein gemeinsames Verständnis der organisationsinternen und gesellschaftlichen Herausforderungen durch Digitalisierung möglich werden.
  • Es soll deutlich werden, dass Digitalisierung eine wichtige Gestaltungsaufgabe der Zivilgesellschaft ist. Dabei werden digitale Gestaltungsfelder für gemeinnützige Organisationen benannt, um Engagierten und Fördernden Orientierung zu geben. Andere Interessierte können sich davon inspirieren lassen, wie Digitalisierung zur gemeinnützigen Aufgabe werden kann.
  • Es werden Beispiele beschrieben, wie Nonprofits auf nationaler und internationaler Ebene ihre digitale Gestaltungsaufgabe mit Leben füllen. So werden bereits digital-engagierte Akteurinnen und Akteure in der Zivilgesellschaft und ihre Angebote in den digitalen Gestaltungsfeldern sichtbar, was anderen ein Vorbild sein könnte. Auch wird auf Engagementlücken hingewiesen.
  • Es werden Stolpersteine identifiziert, auf die gemeinnützige Organisationen des Dritten Sektors stoßen können, wenn sie sich mit Digitalisierung auseinandersetzen und ihre digitale Gestaltungsaufgabe wahrnehmen möchten.
  • Auch Lösungsansätze werden diskutiert: Wie können Barrieren durch gezielte Kooperation und Unterstützung durch digital-sensibilisierte Förderinnen und Förderer überwunden werden?

Betont wird, dass im Fokus des Reports nicht die Technik, sondern der Mensch stehen soll, da die sozialen Auswirkungen der Digitalisierung immens sind. Nur wenn sich zivilgesellschaftliche Akteure und Akteurinnen mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung auseinandersetzen, könnten sie die damit verbundenen Möglichkeiten für das Gemeinwohl nutzen und die digitale Zukunft aktiv mitgestalten. Das Digitale in den Dienst der Gesellschaft zu stellen sei ein großer Gestaltungsauftrag der Gegenwart. Wichtiges Ziel müsse es sein, jenseits der ökonomischen Perspektive das Potenzial der Digitalisierung für mehr bürgerschaftliches Engagement, für die Überwindung sozialer Benachteiligungen und für größeren gesellschaftlichen Zusammenhalt auszuschöpfen. Dafür brauche es dringend die Stimmen der Zivilgesellschaft („Digitalisierung braucht Zivilgesellschaft“). Der Dritte Sektor müsse eine Strategie für das digitale Zeitalter entwerfen.

Folgende Fragen stehen im Mittelpunkt:

  • Was machen die jungen Pioniere der digitalen Zivilgesellschaft?
  • Wie gehen etablierte Organisationen mit dem digitalen Wandel um?
  • Wie lassen sich die digitalen Handlungsfelder strukturieren?
  • Was brauchen die verschiedenen Akteurinnen und Akteure der Zivilgesellschaft, um auf allen relevanten Ebenen digital handlungsfähig zu sein? 

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, wurde eine qualitativ-explorative Analyse mit unterschiedlichen Schwerpunkten durchgeführt, in denen Gruppen der Zivilgesellschaft im Hinblick auf ihren Digitalisierungsgrad beleuchtet werden. In erster Linie ging es darum, den aktuellen Beitrag zivilgesellschaftlicher Organisationen zum digitalen Wandel zu untersuchen und Praxisbeispiele sichtbar zu machen. Die Zivilgesellschaft könnte von inspirierenden Praxisbeispielen erfolgreicher Digitalisierung in anderen Nonprofit-Organisationen sehr profitieren. Es handelt sich um einen Methodenmix aus Desktoprecherche, Expertenfeedback und Zielgruppeninterviews. Im Ergebnis werden Beispiele digitaler Praxis aus der Zivilgesellschaft dargestellt, die einen Eindruck der unterschiedlichen digitalen Herausforderungen, Gestaltungsfelder und Ansätze vermitteln sollen.

Wichtige Ergebnisse

Wichtige Erkenntnisse

Digitalisierung kann als Sammelbegriff bezeichnet werden, der je nach Kontext sehr unterschiedliche Dinge bedeuten kann. Im Report werden digitale Herausforderungen in organisationsinterne und gesellschaftliche Herausforderungen unterschieden.

Organisationsinterne Herausforderungen: „Digitalisierung nutzen“ und „Digitalisierung gestalten“

Stiftungen, Vereine und Nonprofits aus traditionellen Engagementfeldern wie Bildung, Soziales und Umwelt sind auf verschiedenen Ebenen mit Digitalisierung befasst. Sie können „Digitalisierung nutzen“. Das bedeutet, dass Digitalisierung als Mittel zum Zweck betrachtet wird und digitale Lösungen und Tools dazu eingesetzt werden, dass Organisationen ihre Aufgaben von Kommunikation bis Skalierung besser erfüllen können. „Digitalisierung gestalten“ steht dagegen für die inhaltliche (Neu-)Ausrichtung von Projekten und Programmen der Organisationen auf die digitalisierte Welt. Der Report fokussiert auf die Ebene „Digitalisierung gestalten“.

Gesellschaftliche Herausforderungen: Angebot einer Systematik der digitalen Gestaltungsfelder der Zivilgesellschaft

Die Herausforderung „Digitalisierung gestalten“ ist vielschichtig. Der Report bietet eine Systematik, die die Gestaltungsaufgabe Digitalisierung für die Zivilgesellschaft auf fünf Felder herunterbricht, in denen Handlungsbedarf und bereits erste Angebote von gemeinnützigen Initiativen bestehen.

Fünf digitale Gestaltungsfelder:

1. Zugang zu Netz und Technik schaffen

2. Digitale Kompetenzen vermitteln

3. Datenbasierte Innovation für die Gesellschaft ermöglichen

4. Schutz der Persönlichkeit im digitalen Raum gewährleisten

5. Digitale Zukunft durch Vision und Position voranbringen

Der Report benennt auch die Herausforderungen, denen Akteurinnen und Akteure in diesen digitalen Gestaltungsfeldern begegnen, und wo sich erkennbar Lücken im zivilgesellschaftlichen Engagement zeigen.

Festgestellt wird, dass sich über alle Gestaltungsfelder hinweg beispielhaftes Engagement zeige. Allerdings seien die Fragestellungen innerhalb der digitalen Gestaltungsfelder noch nicht als Engagementfelder der Zivilgesellschaft etabliert. Dies treffe umso mehr zu, je weniger diese Gestaltungsfelder eine Schnittmenge zu etablierten gemeinnützigen Aufgaben aufweisen. So ist die Vermittlung digitaler Kompetenzen (Gestaltungsfeld 2) auf den ersten Blick eher anschlussfähig als die Entwicklung eigener datenbasierter Innovation (Gestaltungsfeld 3) oder die zukunftsgerichtete Entwicklung von Gesellschaftskonzepten in der digitalen Welt (Gestaltungsfeld 5).

Zivilgesellschaftliche Organisationen können auch nach ihren Digitalerfahrungen charakterisiert werden: Digitale Spezialisten, Digitale Novizen und Digitale Pioniere.

  • Digitale Spezialisten seien jene Organisationen, die sich aufgrund einer digitalen Herausforderung überhaupt erst begründet haben und in Teilbereichen Expertinnen und Experten der Digitalisierung sind. Dabei handelt es sich häufig um jüngere Initiativen, die den gemeinnützigen Sektor meist mit unbekannten Themen ergänzen und neben klassischen Engagementthemen und etablierten Akteurinnen und Akteuren noch einen Platz finden müssen.
  • Digitale Novizen sind Organisationen, die noch am Anfang der Auseinandersetzung mit dem Thema Digitalisierung stehen. Sie sind in tradierten Engagementfeldern tätig und zum Beispiel über verbandliche Strukturen gut vernetzt. Digitalisierung kommt für sie als neue interne („Digitalisierung nutzen“) und gesellschaftliche Aufgabe („Digitalisierung gestalten“) hinzu. Für sie ist der Austausch mit Digitalen Pionieren interessant, die sich bereits auf den Weg gemacht haben, aber auch mit Digitalen Spezialisten, die spezifische Digitalthemen bearbeiten und eine entsprechende Arbeitskultur pflegen.
  • Digitale Pioniere sind Organisationen, für die Digitalisierung zunächst ein neues Thema bedeutete, die aber bereits erste Meilensteine einer digitalen Transformation ihrer inhaltlichen Arbeit erreicht haben. Sie sind aktuell ein wesentliches Bindeglied zwischen Spezialisten und Novizen, da sie über Kontakte in beide Szenen verfügen und sich mit deren jeweiligen Arbeitsweisen vertraut gemacht haben.

Die Autoren und die Autorin stellen fest, dass sich zwischen diesen Akteursgruppen der Digitalen Zivilgesellschaft Kompetenzgefälle abzeichnen. Eine Spezialisierung in klassischen gemeinnützigen Themen wie Bildung, Umweltschutz und Soziales sei vollkommen selbstverständlich. Digitalisierung betreffe als gesellschaftliche Herausforderung aber sämtliche Organisationen des Dritten Sektors. Mit Blick auf den wünschenswerten Zielzustand, dass die Zivilgesellschaft insgesamt digital-sensibilisiert, kompetent und sprechfähig ist, zeige sich, dass alle drei Gruppen über unterschiedliche Kompetenzen und Expertisen verfügen, die gebündelt zu einer Stärkung der Zivilgesellschaft in Sachen Digitalisierung beitragen können. Verschiedene Formen und Intensitäten von Kooperation und Wissensaustausch zwischen den Akteurinnen und Akteuren könnten sich auch positiv darauf auswirken, dass die Zivilgesellschaft den digitalen Wandel mit anschlussfähigen und relevanten Angeboten begleitet und prägt. Gleichzeitig gelte es, die Förderlandschaft für Digitalisierung als Gestaltungs- und Organisationsentwicklungsaufgabe der Zivilgesellschaft zu sensibilisieren.