Handbuch

Dorfgespräch. Ein Beitrag zur Demokratieentwicklung im ländlichen Raum

Thema

Wertedialoge als Beitrag zur Demokratieentwicklung

Herausgeberschaft

Stiftung Mitarbeit

Erscheinungsort

Bonn

Erscheinungsjahr

2019

Stiftungsengagement

Stiftung Mitarbeit

Literaturangabe

Florian Wenzel/Christian Boeser-Schnebel: Dorfgespräch. Ein Beitrag zur Demokratieentwicklung im ländlichen Raum. Mit einer thematischen Einführung von Wolf Schmidt. Hrsg. v. Stiftung Mitarbeit (= Arbeitshilfen für Selbsthilfe- und Bürgerinitiativen Nr. 53). Bonn: Stiftung Mitarbeit 2019.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Die Publikation stellt das Konzept des „Dorfgesprächs“ vor, das in den Jahren 2017 bis 2019 im Rahmen eines Modellprojekts der Bundeszentrale für politische Bildung im ländlichen Raum in Oberbayern und in drei unterschiedlichen Kommunen erprobt und evaluiert wurde. Das Dorf wird dabei zum Ausgangspunkt, um die Gesamtheit der Gesellschaft in einem öffentlichen Dialog- und Begegnungsraum abzubilden. Mit Hilfe der Dorfgespräche sollen neue Orte und Wege der Kommunikation eröffnet werden, die einen intensiven Austausch aller Beteiligten ermöglichen: zwischen alteingesessenen Bürgerinnen und Bürgern und Neuzugezogenen, zwischen Vereinsverantwortlichen, Kreisen der Nacbarschaftshilfe und Geflüchteten, zwischen engagierten Einzelpersonen aller Altersgruppen sowie weiteren ortsansässigen Interessierten.   

Auslöser und Ausgangspunkt des Projekts waren die Diskussionen um die „Spaltung der Gesellschaft“, die sich seit dem Sommer 2015 in der Auseinandersetzung um Flucht, Zuwanderung und Integration manifestiert haben. Nach Ansicht der Autoren werden in den kontroversen gesellschaftlichen Debatten zu diesem Thema auch folgende grundsätzliche Fragen angesprochen:

  • Wie gehen wir als Gesellschaft, als dörfliche Gemeinschaft oder als Individuen mit Menschen um, die sich nicht in eigene Denk- und Handlungsschemata einordnen lassen?
  • Welche Wertvorstellungen und sinngebenden Haltungen liegen dem zugrunde, was wir befürworten oder ablehnen?
  • Wer sind „Wir“ überhaupt? Definieren wir uns in Abgrenzung zu anderen oder ist „Wir“ ein integrativer Begriff, der auch Vielfalt und Spannungen einschließt?

Mit diesen Fragestellungen sollen die Dorfgespräche nicht nur ein Beteiligungsformat sein, sondern sie verfolgen vor allem einen politischen und demokratierelevanten Anspruch: den Erhalt einer offenen Gesellschaft, die aktiv und produktiv mit Vielfalt umgehen kann.  

Die Autoren haben das Konzept auf Fachkonferenzen, in Netzwerken, in Auseinandersetzung mit wissenschaftlicher Fachliteratur und im Dialog mit anderen Projekten in ländlichen Räumen abgeglichen und sind zu dem Schluss gekommen, dass dieser Ansatz auch in anderen ländlichen Regionen und Stadtquartieren gewinnbringend eingesetzt werden kann.   

Das vorliegende Handbuch bündelt praxis- und handlungsorientiert die bisherigen Projekterfahrungen in einem Überblick und richtet sich insbesondere an kommunale Verantwortungstragende, Projektverantwortliche und engagierte Bürgerinnen und Bürger, die vor Ort aktiv Veränderungsprozesse anstoßen möchten. Die Publikation enthält eine Einführung in die konzeptionellen Hintergründe von Wertedialogen als Beitrag zur Demokratieentwicklung im ländlichen Raum, praxiserprobte Hinweise zum Planungsprozess und zur methodischen Gestaltung eines entsprechenden Projekts.

Die Publikation wurde herausgegeben von der Stiftung Mitarbeit, die bereits seit 1963 das Ziel verfolgt, die Demokratieentwicklung von unten zu fördern und bürgerschaftliches Engagement sowie Selbsthilfeaktivitäten in unterschiedlichen Handlungsfeldern zu unterstützen. Menschen sollen dazu ermutigt werden, Eigeninitiative zu entwickeln und sich an der Lösung von Gemeinschaftsaufgaben zu beteiligen. Der Fokus liegt auf der Förderung der Selbstbestimmungskompetenz der Betroffenen, den Teilhaberechten von Schwächeren und der Stärkung der demokratischen Mitverantwortung, unter anderem durch Publikationen, Fachtagungen, Projekte, Beratungsangebote und Förderangeboten. Mit dem Internetportal Wegweiser Bürgergesellschaft informiert die Stiftung Interessierte über Möglichkeiten des Engagements in der Bürgergesellschaft und bietet zahlreiche Praxishilfen und Unterstützungsmöglichkeiten an. Gegründet wurde die Stiftung von Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Grundausrichtung ist parteipolitische Unabhängigkeit.

Verfasst wurde die Publikation von Florian Wenzel (Moderator und Prozessbegleiter im Bereich des Demokratie-Lernens) und Dr. Christian Boeser-Schnebel (Akademischer Oberrat am Lehrstuhl für Pädagogik mit Schwerpunkt Erwachsenen- und Weiterbildung der Universität Augsburg), die das Projekt „Dorfgespräch“ auch initiiert und umgesetzt haben. Die thematische Einführung schrieb Dr. Wolf Schmidt (Stifter und Vorsitzender des Stiftungsrates der Mecklenburger AnStiftung). Wissenschaftlich begleitet wurde das Projekt durch Susanne Ulrich und Silvia Simbeck vom Centrum für angewandte Politikforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Lucia Häringer und Johannes Wessel-Bothe im Rahmen eines studentischen Projekts an der Universität Augsburg. Die Publikation wurde von der Stiftung Mitarbeit unterstützt und durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gefördert.

Wichtige Ergebnisse

Einführung: Stadt-Land-Unterschiede

In der Einführung werden Kennzeichen und Entwicklungen ländlicher Räume in Deutschland komprimiert dargestellt, um zum besseren Verständnis ländlicher Milieus beizutragen.

Je nach Berechnungsmethode werden 30 Prozent bis mehr als 50 Prozent der Bevölkerung dem ländlichen Raum zugeordnet, und 70 bis 90 Prozent der Staatsfläche. Zum ländlichen Raum werden mehr als nur Dörfer (zwischen 50 bis mehrere Tausend Einwohnerinnen und Einwohner) gezählt.

Der Autor stellt fest, dass ein großer Teil der Menschen in Deutschland in ländlichen Räumen lebt, die herrschenden Sichtweisen aber überwiegend aus der urbanen Welt kämen. In den letzten Jahren sei deutlich geworden, dass in vielen Ländern Bürgerinnen und Bürger in ländlichen Gebieten bisher sicher geglaubte politische Kulturen infragestellen: In (abgehängten) ländlichen Gebieten

  • fänden sich in den USA hohe Anteile an Trump-Wählerinnen und Wählern,
  • sei im Vereinigten Königreich die Zustimmung zum Brexit überdurchschnittlich stark,
  • hätten die Proteste der „Gelbwesten“ in Frankreich eine wichtige Ursache (Aufstand der Landbevölkerung gegen Pariser Establishment)
  • seien die AFD-Ergebnisse in Deutschland relativ hoch. 

Zwischen Stadt und Land würden in den letzten Jahren neue Bruchlinien sichtbar werden, die zu einer Verrohung der politischen Kultur führen.

In der Bundesrepublik sei der urbane Politik-Diskurs schon seit Langem durch eine gewisse Überheblichkeit und Ablehnung gegenüber dem Ländlichen gekennzeichnet (z.B. Klischees wie „Stammtisch-Denken“, ländliche Gebiete als Hort der sozialen Kontrolle und Bevormundung, mangelnde Bildung und Informiertheit, unreflektierte Traditionsverhaftung). Die Vorstellung einer ländlichen Rückständigkeit sei vorherrschend gewesen und die parteipolitische Heimat der Landbevölkerung wurde der konservativen CDU/CSU zugeordnet.

Mit der deutschen Vereinigung 1990 sind nach Ansicht des Autors neue Verwerfungen der politischen Kulturen entstanden. Die ländlichen Gebiete hätten stark an Gewicht zugenommen und die CDU habe ihr Selbstverständnis immer mehr in Richtung einer „modernen Großstadt-Partei“ entwickelt. Mittlerweile bestehe die Gefahr, dass sich das Meinungsklima zwischen zwei Lagern polarisiert (z.B. „Rassisten“ vs. "Volksverräter"). Die Konfliktlinien würden zwar nicht deckungsgleich zwischen Stadt und Land verlaufen, doch seien die Anhänger einer offenen, bunten, diversen Gesellschaft eher in urbanen Milieus zu finden, und die eines heimat- und identitätsbezogenen Konservativismus eher in ländlichen Gebieten. Ein deutlicher Konflikt zeige sich zwischen Globalisierungsanhängern, die sich häufiger in der Stadt finden, und Globalisierungsskeptikern, die häufiger auf dem Land leben. Ein wichtiger Grund für die Fremdheit zwischen Menschen auf dem Land und in der Stadt liege in den unterschiedlichen Diskursen und Diskursregeln, die auf andere Wertorientierungen und soziale Verhältnisse zurückzuführen sind.

Merkmale der ländlichen Räume in Deutschland

Bei der deutschen Vereinigung 1990 waren die ländlichen Räume in der DDR viel stärker agrarisch geprägt als im Westen (in der DDR waren 11 Prozent der Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig, in Westdeutschland nur 4 Prozent). Im Westen gab es viele Privatbauern, während für die Landwirtschaft der DDR Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) und Volkseigene Güter (VEG) strukturbestimmend waren. Der Autor macht darauf aufmerksam, dass diese nicht nur die dominanten Arbeitgeber, sondern auch Träger von Daseinsvorsorge, Kulturangeboten und Erholung waren. Mit der Marktöffnung und Reprivatisierung seien diese Strukturen zusammengebrochen und der überwiegende Anteil an Arbeitsplätzen vernichtet worden. Im Westen habe sich der Strukturwandel in der Landwirtschaft dagegen über viele Jahrzehnte hingezogen, was eine Ausdifferenzierung – auch in der Sozialstruktur – mit sich brachte. Beim abrupten Zusammenbruch der gesamten Sozial- und Wirtschaftsstruktur im Osten hätten die meisten Menschen dort nur wenig Erwerbsalternativen und finanzielle Ressourcen gehabt. Ein Teil der Infrastruktur (Bahnstationen,  Post, Schule, Kultureinrichtungen, Krankenhäuser, Gerichte) sei in relativ kurzer Zeit abgewickelt worden. Im Unterschied dazu hätten Straßenbau, Ver- und Entsorgungssysteme und Einkaufszentren einen großen Aufschwung erlebt.

Der Autor weist darauf hin, dass "ländliche“ Räume heute nicht mehr mit agrarisch geprägten Räumen gleichzusetzen sind: Im Jahr 2017 waren von 44,3 Mio. Erwerbstätigen in Deutschland nur noch 1,4 Prozent in Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft tätig. Damit einher ging eine dramatische Veränderung der Betriebsgrößen: weg von kleinen Bauernhöfen hin zu landwirtschaftlichen Unternehmen, die Großproduktion betreiben. Somit lebe zwar ein großer Teil der Bevölkerung im ländlichen Raum, doch sei dort der Anteil der landwirtschaftlich Tätigen gering.

Ländlicher Raum heiße auch nicht automatisch strukturschwacher Raum: Einige wohlhabende Gemeinden in Deutschland liegen im ländlichen Raum, z.B. dank Industrieansiedlungen (die hohe Steuereinnahmen mit sich bringen), guten Böden, einer starken Handwerkstradition oder Tourismus. Strukturschwache Räume seien durch Abwanderung, Wertverlust der Immobilien, Überschuldung der Gemeinden, mangelnde Erwerbs- und Qualifikationsmöglichkeiten und eine schlechte Infrastruktur (ÖPNV, Mobilfunk, Internet) gekennzeichnet. Hinzu käme noch der suburbane ländliche Räume außerhalb der Städte, die vorwiegend landwirtschaftlich genutzt werden, aber auch Rentner- und Pendler-Siedlungen sein können.

Nach der deutschen Vereinigung seien auch die gesellschaftlichen Organisationen der DDR und die Parteien größtenteils zusammengebrochen. Gegenwärtig sei die Präsenz der Parteien auf dem Land in Ostdeutschland deutlich schwächer als im Westen. Viele Menschen reagierten mit einem „Rückzug ins Private.“ Während die Ablösung der DDR-Bezirke durch die Bundesländer noch erwünscht gewesen sei, hätten die nachfolgenden Gemeinde- und Gebietsreformen historische Räume, lokale Identitäten und Beziehungsgeflechte in Unordnung gebracht. Auch seien neue Funktionsträger aus dem Westen hinzugekommen, die mit den Mentalitäten und Bedingungen vor Ort zunächst nicht vertraut gewesen seien und dabei nicht selten ein höheres Gehalt als die Einheimischen erhielten. Im Ergebnis unterscheide sich der ländliche Raum der fünf ostdeutschen Flächenländer in vielen Punkten deutlich von den westdeutschen ländlichen Regionen.

In ländlichen Gebieten seien die Familien- und Geschlechterverhältnisse meist anders als in urbanen Lebenswelten: Auf dem Land werden durchschnittlich mehr Kinder geboren (starkes Stadt-Land-Gefälle bei den Geburtenzahlen), es leben dort weniger Alleinerziehende als in Städten, und der männliche Bevölkerungsanteil ist deutlich höher als in der Stadt, da mehr junge Frauen aus Ausbildungsgründen in Städte abwandern.

Die Kirchenbindung sei in ländlichen Gebieten in Westdeutschland höher als in Städten, während sich in Ostdeutschland hier keine deutlichen Unterschiede abzeichnen. Auch in Bezug auf Bildung zeigten sich Unterschiede zur großstädtischen Bevölkerung: In Gemeinden unter 5.000 Einwohnerinnen und Einwohnern haben mehr über 65-Jährige keinen beruflichen Bildungsabschluss und weniger Erwachsene einen akademischen Grad, aber häufiger eine Berufsausbildung im dualen System. Dramatische Diskrepanzen zeigten sich zwischen kleinen Gemeinden und Großstädten bei den Menschen ohne Bildungsabschluss in der Altersgruppe zwischen 30 und 65 Jahren (auf dem Land ca. 10 Prozent, in der Großstadt ca. 20 Prozent). In Großstädten lebten somit nicht generell mehr gebildete Menschen als in ländlichen Gemeinden, sondern die Extreme seien sehr hoch und die gering Gebildeten seien in der Großtadt stärker vertreten. In der ländlichen Gesellschaft zeigten die Gebildeten etwas mehr Aktivität als in der städtischen: Mit Ausnahme der über 65-Jährigen seien alle Alters- und Bildungsgruppen sowie beide Geschlechter auf dem Land häufiger freiwillig engagiert als in der Stadt.

In den letzten Jahrzehnten sei eine „neue Ländlichkeit“ entstanden. Allerdings hätten viele Menschen auf dem Land noch bäuerliche Familientraditionen (mit entsprechenden Kenntnissen und Fähigkeiten) und seien mental von den Solidarstrukturen des ländlichen Lebens geprägt, die durch gegenseitige Unterstützung gekennzeichnet sind (z.B. Freiwillige Feuerwehr). Auf dem Land würden oft Räume sozialer Verbindlichkeit entstehen, die sich von der Anonymität großstädtischer Vielfalt bzw. sozialer Beliebigkeit unterscheiden. Ländliche Gebiete seien oft durch das Empfinden eines größeren sozialen Zusammenhalts gekennzeichnet, unter anderem aufgrund einer größeren Homogenität und Übersichtlichkeit, die auch zu einer stärkeren Regelbefolgung führt. Das Zusammenleben auf dem Land stehe im Kontrast zur Diversität und Anonymität sowie zu den sichtbaren sozialen Gegensätzen in der Großstadt.

Die Stadt könne als Ort der Gegensätze, der großen Versprechen, des Neuen, der Selbstverwirklichung und der Hoffnung auf sozialen Aufstieg begriffen werden. Viele Menschen wanderten aus ländlichen Gebieten ab und gingen in Städte, um zu studieren oder zu arbeiten.

Andererseits gelte das Landleben in Umfragen oft als sehr attraktiv (Naturnähe, gesündere Lebensweise, glücklicheres Leben etc.). Gleichzeitig erlebten die Menschen auf dem Land, dass für ihre Lebensqualität wichtige Strukturen durch politische Entscheidungen negativ beeinflusst werden (fehlende Infrastruktur für Mobilität, schlechte Gesundheitsversorgung durch zu wenig Ärztinnen und Ärzte, lange Schulwege für die Kinder, großflächiger Ausbau von Windenergie mit Belastungen für Mensch und Natur, unzureichende Versorgung mit Mobilfunk und schnellem Internet). Hinzu komme ein „Abbau lokaler Demokratie von oben“: In über 20.000 Dörfer wurden durch sog. Gebietsreformen Gemeinderat und Bürgermeister abgeschafft, was 300.000 Kommunalpolitikerinnen und -politiker das Ehrenamt gekostet habe. Das (Nicht-)Handeln des Staates – von Bund und Ländern – trage so zu einer gereizten Stimmung und Resignation in ländlichen Gebieten bei. Die Dörfer und Landgemeinden erhielten zu wenig Anerkennung, zu wenig finanzielle Unterstützung und gestalterische Freiräume, sie fühlten sich zunehmend gegängelt und entmündigt.

Viele ländliche Kleinstädte seien vom Strukturwandel der letzten Jahrzehnte in Verbindung mit dem digitalen Wandel eher negativ betroffen gewesen, vor allem, wenn nicht genügend qualifizierte gewerbliche Arbeitsplätze geschaffen werden konnten. Hier kommt nach Auffassung des Autors wieder ein wichtiger Ost-West-Unterschied zum Tragen: Während in Westdeutschland die Gastarbeiter-Immigration in fast allen kleinen Städten angekommen ist und sich über Jahrzehnte entwickelt hat, fielen die Migrantinnen und Migranten in ostdeutschen Kleinstädten als Fremde deutlich auf.

Integration von Zugewanderten

Besonders umstritten sei an vielen ländlichen Orten die Aufnahme von Geflüchteten gewesen, für die es sehr schwierig sei, in den ländlichen Sozialstrukturen Fuß zu fassen. Die Integration von Zugewanderten stehe in ländlichen Regionen vor großen Herausforderungen. Zusätzlich zu den schwierigen Integrationsbedingungen hätten sie die gleichen Probleme wie frühere Bewohnerinnen und Bewohner, die abgewandert sind (z.B. aufgrund fehlender Erwerbsmöglichkeiten).

Der Autor betont, dass der ländliche Raum zwar Gemeinsamkeiten aufweist. Doch sollten Aussagen über Stadt-Land-Relationen immer differenziert werden: „Jedes Dorf ist anders.“ Im dörflichen Leben könnten schon einzelne Personen wie der Bürgermeister oder die Pastorin, eine Schule oder ein paar Engagierte besondere Bedingungen schaffen, die einen ländlichen Raum prägen. Jedes Dorf zeichne sich durch Besonderheiten aus. Im Rahmen der Dorfgespräche wurde auch über Werte des Ländlichen und Städtischen gesprochen, über individuelle Präferenzen und über Wege der Gestaltung von Lebensbedingungen. So könne gegenseitiges Verständnis – auch zwischen Stadt- und Landbewohnenden – wachsen und gegenseitige Fremdheit überwunden werden.

Das Konzept „Dorfgespräch“

1. Das Besondere eines Dorfgesprächs in fünf Punkten:

  • Werte, Beziehungen und Konflikte im Fokus: persönliche Begegnung als Basis, emotionaler und werteorientierter Dialog, Personen statt Institutionen im Mittelpunkt
  • Produktive Irritation bestehender Machtstrukturen: Hinterfragen von örtlichen Hierarchien und Entscheidungswegen sowie eingeübten Denk- und Handlungsmustern, Gespräch als Experiment und offener Prozess
  • Gestaltung eines neuen „Wir“ und Miteinanders
  • Stärkung politischen Bewussteins und demokratischen Handelns vor Ort
  • Einbindung aller durch ein niedrigschwelliges Format

Aus strategischer Sicht ist es aus Sicht der Autoren sinnvoll, für die Dorfgespräche relevante und integrativ wirkende (Schlüssel-)Personen (Stakeholder) im Dorf zu finden, die auch eine Brücke zwischen Bewährtem und Neuem schlagen und vermitteln können. Auch sollte so früh wie möglich mit allen Beteiligten geklärt werden, was mit den erzielten Ergebnissen der Dorfgespräche passiert. Der Ansatz der Dorfgespräche stehe in gewisser Weise dem künstlerischen Gestalten nahe: Er soll Menschen dazu motivieren, ihr kreatives Potenzial zur gemeinsamen Gestaltung ihrer Beziehungen und Belange zu entfalten und gemeinsam zu entdecken, was möglich ist.

2. Bausteine der Umsetzung eines Dorfgesprächs

Der Weg ist ein Kreis: Es werden immer wieder neue Menschen in den Kreis der Beteiligung und Begegnung eingebunden, es wird immer wieder in neue Richtungen geblickt und Neues entdeckt. Der Kreis wird als Symbol für sowohl/als auch und für offen/integrierend verstanden, der auch dem Ungeplanten eine Chance gibt.

Die vier Kriterien für ein erfolgreiches Dorfgespräch-Projekt:

  • Beteiligung
  • Motivation
  • Dialog
  • Verstetigung

Hinzu komme, dass ausreichend zeitliche und finanzielle Ressourcen für die Durchführung eines solchen Projekts vorhanden sein müssen.

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