Fachpublikation

Einwanderungsgesellschaft als Gestaltungsaufgabe

Thema

Bildung und Qualifizierung von Geflüchteten in einer Einwanderungsgesellschaft

Herausgeberschaft

Heinrich-Böll-Stiftung/Institut der deutschen Wirtschaft Köln

Autoren/Autorinnen

Inge Kloepfer

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2016

Stiftungsengagement

Heinrich-Böll-Stiftung

Literaturangabe

Heinrich-Böll-Stiftung/Institut der deutschen Wirtschaft Köln: Einwanderungsgesellschaft als Gestaltungsaufgabe. Roundtable „Zukunftswerkstatt Deutschland“. Ein Bericht von Inge Kloepfer. Berlin 2016.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

2015 kamen eine Million geflüchtete Menschen nach Deutschland, was mit einer neuen Qualität der Zuwanderung verbunden war. Auf einem Fachgespräch der Heinrich-Böll-Stiftung wurde die Frage erörtert, welche Herausforderungen damit im Hinblick auf Bildung und Qualifizierung verbunden sind und wie diese bewältigt werden können.

Das Fachgespräch war Teil einer gemeinsam vom Institut der deutschen Wirtschaft und der Heinrich-Böll-Stiftung verantworteten Reihe „Zukunftswerkstatt Deutschland“, die sich mit gesellschaftlichen und ökonomischen Zukunftsfragen befasst. Teil 1 des Fachgesprächs widmete sich Fragen der Bildung und Qualifizierung in der Einwanderungsgesellschaft, Teil 2 stellte Schritte auf dem Weg zu einem Einwanderungsgesetz dar.

Wichtige Ergebnisse

Ausgangspunkt ist, dass Deutschland zu einer Einwanderungsgesellschaft geworden ist und nun vor einer gewaltigen Bildungs- und Qualifizierungsaufgabe steht. Um hier Fortschritte zu erreichen, sollte sich die Wirtschaft stärker als bisher engagieren. Zudem brauche es ein neues Einwanderungsgesetz. Vonseiten der Wirtschaft wurde deutlich gemacht, dass Flüchtlings- und Arbeitsmigration nicht vermengt werden dürfe: Flüchtlinge kämen nicht nach Deutschland, um die Probleme dieses Landes zu lösen, etwa mit Blick auf die demografische Entwicklung und den Fachkräftemangel. Gleichwohl bestünden Integrationsmöglichkeiten in Deutschland vor allem über den Arbeitsmarkt.

In einem Impulsvortrag wurde die Thematik näher erläutert: Angesichts der vielen jungen Menschen mit Fluchterfahrung, die 2015 und 2016 nach Deutschland gekommen sind (knapp 75 Prozent sind jünger als 30 Jahre), wird ein enormer Beschulungs- und Qualifizierungsbedarf gesehen. Ein hoher Anteil der Geflüchteten hat nur eine mittlere Schulbildung oder überhaupt keine formale Schulbildung. Hinzu kommen Schwierigkeiten bei der Anerkennung von Qualifikationen. Bisher haben unter den Geflüchteten Helfertätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt ein starkes Gewicht, wohingegen der Anteil der Spezialistinnen und Spezialisten bzw. Expertinnen und Experten gering ist. Die Geflüchteten stoßen auf dem Arbeitsmarkt auf Anforderungsprofile, die häufig nicht zu ihren Kompetenzen und Qualifikationen passen.

Viele Unternehmen vertreten die Auffassung, dass die Geflüchteten nur wenig bei der Deckung des vorhandenen Personalbedarf helfen können, sondern überwiegend bei „einfacher Arbeit“ einzusetzen sind. Diese Einschätzung ändert sich jedoch meist, wenn die Unternehmen konkrete Erfahrungen mit Geflüchteten machen. Insgesamt wurde die Arbeitsmarktintegration als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gekennzeichnet, an der Gesetzgeber und Unternehmen, staatliche Einrichtungen und die Gesellschaft gleichermaßen mitwirken müssen. Wichtig sei auch die Erkenntnis, dass der Prozess der Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt viel Zeit braucht (etwa fünf bis sechs Jahre).

Als Hürden bei der Einstellung von Beschäftigten mit Fluchthintergrund wurden vonseiten der Wirtschaft benannt: unzureichende Deutschkenntnisse und mangelnde Qualifikationen der Bewerberinnen und Bewerber, Unsicherheit der Arbeitgeber über die mögliche Beschäftigungsdauer und der bürokratische Aufwand.

Appelliert wurde, die Integration von Geflüchteten als Chance zu verstehen: Angesichts des demografischen Wandels und einer schrumpfenden Bevölkerung in Deutschland sei die Zuwanderung eine große Chance. Nach Berechnungen des Instituts für Ar­beits- und Berufsforschung (IAB) fehlen in Deutschland bis 2030 sechs Millionen Arbeitskräfte. Um den prognostizierten Bedarf an Arbeitskräften zu decken, bräuchte es einen Zuwanderungsüberschuss von jährlich 500.000 Menschen. Hier könnten qualifizierte Zugewanderte einen wichtigen Beitrag leisten.

Ein wesentliches Ergebnis der Diskussion war, dass die Wirtschaft angesichts des Bildungs- und Qualifikationsniveaus der Geflüchteten aus Kriegs- und Krisenländern vor allem den Weg der beruflichen Bildung empfiehlt. Aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse könnten viele der Bewerberinnen und Bewerber derzeit nicht in Betriebe vermittelt werden. Gefordert wurden in diesem Kontext verschiedene Maßnahmen, vor allem

  • eine stärkere Verbindung zwischen dem Schulsystem und dem beruflichen Ausbildungssystem,
  • die Möglichkeit des Gelderwerbs für Geflüchtete während der beruflichen Qualifizierung,
  • den Aufbau von Strukturen, in denen Geflüchtete schnellstmöglich Deutschkenntnisse erwerben können, um ausbildungsfähig zu werden,
  • das Etablieren von Mechanismen der Qualitätssicherung und Evaluation bei Maßnahmen zur sprachlichen Qualifizierung,
  • eine flexiblere Handhabung der Anerkennungspraxis von Kompetenzen Geflüchteter seitens der Sozialpartner in Deutschland,
  • das Schaffen von Möglichkeiten für Unternehmen, Erfahrungen mit der Beschäftigung von Geflüchteten zu machen,
  • die Beseitigung der bürokratischen Hürden zum Arbeitsmarkt (vor allem Vorrangprüfung) und der Rechtsunsicherheiten bei der Beschäftigung von Geflüchteten,
  • das Auflegen eines Gesamtprogramms für die Qualifizierung von Geflüchteten, in dem die zahlreichen Maßnahmen ineinandergreifen.