Handlungsempfehlungen

Handlungsempfehlungen an Bildungspolitik und Bildungsverwaltung

Thema

Schulentwicklung im digitalen Wandel

Herausgeberschaft

Deutsche Telekom Stiftung, Bertelsmann Stiftung, Dieter Schwarz Stiftung, Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, Robert Bosch Stiftung, Siemens Stiftung

Autoren/Autorinnen

Schulen der Werkstatt schulentwicklung.digital

Erscheinungsjahr

2017

Stiftungsengagement

Deutsche Telekom Stiftung, Bertelsmann Stiftung, Dieter Schwarz Stiftung, Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, Robert Bosch Stiftung, Siemens Stiftung, Stiftung Mercator

Literaturangabe

Schulen der Werkstatt schulentwicklung.digital: Handlungsempfehlungen an Bildungspolitik und Bildungsverwaltung. Ein Projekt des Forum Bildung Digitalisierung. 2017.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Im deutschen Bildungssystem zeigt sich die Entwicklung, dass die Schülerzahlen ansteigen, die Lerngruppen zunehmend heterogener werden und mehr Lernzeit im Ganztag stattfindet. Die Schulen stehen dadurch vor neuen organisatorischen und pädagogischen Herausforderungen.

Digitale Technologien könnten dabei helfen, diese Herausforderungen zu bewältigen und darüber hinaus das Bildungssystem besser zu machen und mehr Teilhabe und Chancengerechtigkeit zu fördern – diese Auffassung vertritt das Forum Bildung Digitalisierung, eine Initiative verschiedener Stiftungen (Deutsche Telekom Stiftung, Bertelsmann Stiftung, Dieter Schwarz Stiftung, Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, Robert Bosch Stiftung, Siemens Stiftung), die durch die Stiftung Mercator gefördert wird. Der Fokus der Aktivitäten liegt gegenwärtig auf der schulischen Bildung, andere Bildungsbereiche sollen später hinzukommen. Auf der Website sind weiterführende Informationen zu den Aktivitäten der Initiative sowie Orientierungswissen zur digitalen Bildung zu finden.

Das Forum Bildung Digitalisierung hat im Rahmen der Werkstatt schulentwicklung.digital ein Jahr lang mit Schulen zusammengearbeitet, die einen Wandel der Schul- und Lernkultur hin zum Einsatz digitaler Medien begonnen haben und dies bereits auf der Ebene ihres Schulprogramms verankert haben. Im Jahr 2017 trafen sich die Werkstattschulen mit Bildungsexpertinnen und -experten vier Mal, tauschten sich über die Entwicklungsfelder digitaler Schulentwicklung aus und arbeiteten die Bedingungen für den zielführenden Einsatz digitaler Medien im Unterricht heraus. Dazu sammelten die Schulen eigene Einschätzungen und Fragen und bündelten erste Erfahrungen, um die relevanten Themen für die weitere Zusammenarbeit festzulegen. Dabei wurden auch Rückmeldungen an Politik, Verwaltung und Gesellschaft gegeben und Bedingungen aufgezeigt, wie digitale Lehre in den Schulalltag integriert und nutzbringend eingesetzt werden kann.

Die Ergebnisse der Zusammenarbeit aus der Werkstatt schulentwicklung.digital wurden am 23. und 24. November 2017 in Berlin im Rahmen der Konferenz Bildung Digitalisierung 2017 vorgestellt. Hier trafen sich über 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Schulen, Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Bildungsanbietern, um mit und von den 38 Werkstattschulen des Forum Bildung Digitalisierung zu lernen. Die Werkstattschulen haben individuelle Strategien auf dem Weg ins digitale Zeitalter verfolgt und ein Jahr lang über Gelingensbedingungen, gute Praxis und eine mögliche Standardisierung verschiedener Ansätze im Netzwerk diskutiert. Im Ergebnis dieses Prozesses sind konkrete Handlungsempfehlungen an Bildungspolitik und Bildungsverwaltung entstanden. 

Die Werkstatt schulentwicklung.digital wurde wissenschaftlich begleitet und war zunächst auf das Jahr 2017 beschränkt. Eine Verlängerung und Verstetigung der Zusammenarbeit mit den beteiligten Schulen wird jedoch angestrebt. Die beteiligten Schulen haben durch das Forum Bildung Digitalisierung keine direkte finanzielle Förderung erhalten. Ziel der Werkstatt war es, im Peer-Austausch mit anderen Schulen sowie unterstützt durch Expertinnen und Experten an gemeinsam identifizierten Entwicklungsbedarfen zu arbeiten, die Ergebnisse zu dokumentieren und aufzubereiten und anderen Schulen als Case Studies zur Verfügung zu stellen.

 

 

Wichtige Ergebnisse

Handlungsempfehlungen an Bildungspolitik und Bildungsverwaltung der Schulen der Werkstatt schulentwicklung.digital

In der Präambel wird festgestellt, dass alle Schulen den Auftrag haben, Kinder und Jugendliche auf das Leben in einer Gesellschaft im digitalen Wandel vorzubereiten. Diesen Anspruch versuchten die Werkstattschulen in ihrer Arbeit unter sehr unterschiedlichen Umständen umzusetzen. Ihre Erfahrungen könnten für andere Schulen lehrreich sein – insbesondere, um Hindernisse zu erkennen und zu beseitigen. Damit der digitale Wandel in Schulen gelingen kann, müssten auch die Rahmenbedingungen angepasst werden. Nur dann könne die Digitalisierung als Motor für Schulentwicklung und insbesondere Unterrichtsentwicklung wirken. Im KMK-Strategiepapier „Bildung in der digitalen Welt“ seien zahlreiche wichtige Aspekte benannt. Diese Vorhaben sollten rasch umgesetzt werden. Doch müssten Bildungsverwaltung und Bildungspolitik darüber hinaus weitere Maßnahmen ergreifen.

Die Werkstattschulen formulieren Handlungsempfehlungen, die Schulen im digitalen Wandel unterstützen sollen und vier zentrale Bereiche betreffen.

1. Pädagogische Eigenverantwortlichkeit stärken

Lernen mit und über digitale Medien fächerübergreifend implementieren:

  • Die Werkstattschulen weisen darauf hin, dass die pädagogische Eigenverantwortlichkeit der Schule sowohl das Lernen mit digitalen Medien als auch das Lernen über digitale Medien umfasst.
  • Lernen finde zunehmend und überwiegend in heterogenen Gruppen statt, in denen Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen zusammen lernen. Diese Vielfalt verlange vielseitige Lehr- und Lernansätze, ein hohes Maß an individualisierten Lernwegen sowie gut geplante Lernumgebungen. Digitale Medien seien ein wichtiges Hilfsmittel, um diese Lernprozesse zu gestalten und zu ermöglichen.
  • Die Medienbildung sollte in allen Fächern integriert werden. Ein dynamisches und kompaktes schulisches Medienkonzept könnte hilfreich sein, um allen Aktivitäten einer Schule im Bereich der Digitalisierung eine gemeinsame Richtung zu geben. Dieses Konzept müsse von der gesamten Schulgemeinschaft getragen sowie seitens der Schulleitung aktiv unterstützt und befördert werden.

Dauerhafte und kontinuierliche Schulentwicklungsprozesse unterstützen:

  • Betont wird, dass der digitale Wandel dauerhafte und kontinuierliche Schulentwicklungsprozesse braucht. Dafür müssten zusätzliche zeitliche und personelle Ressourcen zur Verfügung gestellt und insbesondere Schulleitungs- und Schulentwicklungsteams unterstützt und gestärkt werden. Die zum Teil sehr unterschiedlichen und dynamischen Aktivitäten im Feld der Digitalisierung (Auswahl, Entwicklung und Wartung der technischen Ausstattung, Auswahl und Implementierung von Software, technischer Support, pädagogisch-didaktische Beratung, Weiterentwicklung der schulinternen Curricula, Entwicklung von passenden Fortbildungsangeboten etc.) müssten von mindestens einer – überwiegend dafür freigestellten – Person an der Schule koordiniert und pädagogisch verantwortet werden. Diese Person sollte Teil der Schulleitung sein. Weiterhin benötige die Schulleitung eine klare Zuständigkeit sowie mehr zeitliche und personelle Ressourcen und mehr Flexibilität bei der Personalentwicklung.

Kooperation und Vernetzung ermöglichen:

  • Notwendig sei die kooperative Zusammenarbeit innerhalb einer Schule sowie die – auch bundeslandübergreifende – Vernetzung zwischen Schulen auf verschiedenen Ebenen. Horizontale und vertikale Vernetzungen seien daher durch zeitliche, personelle und finanzielle Ressourcen zu fördern.
  • Es sollten explizite Zeitfenster und Deputate eingerichtet werden, insbesondere für eine nachhaltige Etablierung von Teamstrukturen im Kollegium, dem Austausch mit unterschiedlichen Akteuren und der Etablierung einer Feedbackkultur innerhalb der Schule. Lernmaterialien sollten als offene Bildungsmaterialien (Open Educational Resources, OER) auf geeigneten Plattformen geteilt und gemeinsam weiterentwickelt werden können.

2. Neue Wege in der Qualifizierung gehen

Lehrerausbildung verändern:

  • Es wird darauf verwiesen, dass der digitale Wandel die Anforderungen an die Lehrerausbildung verändert. Dies betreffe sowohl das Lernen mit Medien als auch das Lernen über Medien. Die Fachdidaktiken und Fachseminare müssten dabei ebenso einbezogen werden wie die Bildungswissenschaften im Allgemeinen. Die Anforderungen an angehende Lehrkräfte, digitale Medien bewusst im pädagogischen Kontext einzusetzen, müssten verbindlich benannt und erprobt werden, sodass Gelegenheiten geschaffen werden, Medienkompetenz und Medienbildungskompetenz zu entwickeln.

Von punktuellen Fortbildungsangeboten zu kontinuierlicher Qualifizierung kommen:

  • Neben einer konsequenten und verbindlichen Verankerung von Medienbildung in beiden Phasen der Ausbildung sei auch ein Umdenken in der dritten Phase, der Lehrerfortbildung, erforderlich: Notwendig seien weniger punktuelle Fortbildungsangebote und mehr kontinuierliche Qualifizierung im Austausch von Lehrkräften und Schulen. Es müssten bedarfsorientierte Fortbildungskonzepte angeboten werden, die die neue Rolle der Lehrkräfte und der digitalen Medien beachten. Neben überregionalen fachübergreifenden und fachbezogenen Fortbildungen hätten sich bestimmte Formate bewährt, die gefördert werden sollten: regionale und schulinterne Mikrofortbildungen, schuleigene Fortbildungsformate wie beispielsweise Peer-to-Peer-Lernen und die regionale Ausbildung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren an den Schulen.

Wirkung von Fortbildung absichern:

  • Für Aus- und Fortbildung seien dauerhaft ausreichende finanzielle und zeitliche Deputate zur Verfügung zu stellen, die zweckgebunden verwendet werden müssen. Ebenso müsste den Lehrkräften genügend Zeit eingeräumt werden, damit sie das Gelernte erproben, weiterentwickeln und evaluieren können, etwa die Anwendung neuer Unterrichtsmethoden im Hinblick auf die Digitalisierung. Sinnvoll sei zudem eine Begleitung und Evaluation durch externe Expertinnen und Experten, beispielsweise von Hochschulen oder Medienzentren, um die Effekte des digitalen Wandels in der Unterrichtskultur zu untersuchen.

3. Notwendige Ressourcen bereitstellen

Solide und verlässliche IT-Ausstattung kontinuierlich weiterentwickeln:

  • Die Werkstattschulen machen darauf aufmerksam, dass Schulen für ihre IT-Ausstattung eine solide und verlässliche Grundlage brauchen, aber auch eine kontinuierliche Weiterentwicklung. Standardisierungen könnten hilfreich sein, doch sollten individuell sinnvolle und innovative Lösungsansätze weiterhin möglich bleiben. Eine verlässliche IT-Ausstattung müsse kontinuierlich aktualisiert werden und gegenwärtig mindestens folgende Aspekte umfassen: zeitgemäße Breitbandanschlüsse und flächendeckende WLAN-Ausleuchtung des Schulgebäudes und -geländes, Präsentationsmedien in jedem Klassen- und Fachraum, Bereitstellung von mobilen Geräten für die Lernenden und die Lehrenden sowie geeignete schulspezifische Softwarelösungen.
  • Räumliche Ressourcen müssten bedarfsorientiert und flexibel angelegt sein, etwa für adäquate Lernumgebungen in Bezug auf individualisierte Lernwege. Jedes Ausstattungsprogramm, ob von Bundes-, Landes- oder kommunaler Seite, müsse individuelle Lösungsmöglichkeiten unterstützen. Der DigitalPakt zwischen Bund und Ländern könne hilfreich sein, wenn er langfristige Perspektiven eröffnet, sowohl in Bezug auf Wartung als auch auf die nächsten Neuanschaffungen. Wichtig sei in jedem Fall eine enge, vertrauensvolle Kooperation zwischen Schule und Schulträger auf Augenhöhe.

Support professionalisieren:

  • Der Support von schulischen IT-Infrastrukturen muss nach Ansicht der Werkstattschulen grundlegend professionalisiert werden – sowohl im Hinblick auf das technische Fachpersonal als auch in Bezug auf pädagogisch-didaktische Beratung und administrative Koordination. Die damit verbundenen Zuständigkeiten sollten eindeutig geregelt sein und im Zusammenspiel von Ländern, Schulträgern und den Verantwortlichen an der Schule ineinandergreifen.
  • Auf der Ebene der Schule sollte eine Koordinationsstelle für Digitalisierung im Schulleitungsteam eingerichtet werden. Vor Ort müsse technischer Support durch Fachpersonal gewährleistet sein, beispielsweise durch Medienassistentinnen und Medienassistenten, die für Wartung und Systemadministration verantwortlich sind und das Kollegium unterstützen. Ebenso müssten Lehrkräfte die Möglichkeit einer punktuellen pädagogischen und didaktischen Beratung erhalten, was teilweise durch die für Koordination verantwortliche Person im Schulleitungsteam gewährleistet werden könne. Diese Person müsse einerseits ein angemessenes Stundendeputat erhalten und andererseits Fortbildungs- und Beratungsgelegenheiten wahrnehmen.
  • Neben dieser grundlegenden Support-Struktur an der Schule sollten auch externe Dienstleister einbezogen werden, die einen Überblick über das Gesamtsystem haben und bei größeren Hard- oder Software-Problemen unterstützen können, ggf. die Garantieabwicklung mit dem Hersteller übernehmen und insbesondere bei der Projektierung größerer Umstellungen und Anschaffungen beraten und unterstützen. Als wichtige Voraussetzung wird hier gesehen, dass eine Fachkraft immer dieselbe Schule betreut.

Finanzierung langfristig und verlässlich sichern:

  • Die Werkstattschulen betonen, dass eine kontinuierliche und auskömmliche Finanzierung unverzichtbar ist. Diese müsse durch Bund, Länder und Kommunen langfristig und verlässlich gesichert werden. Dabei gehe es sowohl um die notwendigen Mittel für die IT-Ausstattung und deren regelmäßige Erneuerung als auch um den Support durch Fachpersonal. Aus Sicht der Schulen ist es erst einmal nachrangig, wie die Verantwortung zwischen den unterschiedlichen Ebenen aufgeteilt wird. Gleichzeitig müsse jedoch eine gestärkte Rolle von Schulleitungs- und Schulentwicklungsteams auch mit einer stärkeren eigenständigen Verantwortung bei der Budgetplanung und Budgetbewirtschaftung für Ausstattung, räumliche Gestaltung und Personal einhergehen.

4. Rechtssicherheit schaffen

Bestimmungen an Bedingungen der Digitalisierung anpassen:

  • Schulen, die konsequent Schul- und Unterrichtsentwicklungsprozesse im digitalen Wandel vorantreiben, stoßen derzeit immer wieder an die Grenzen bestehender rechtlicher Schranken. Deshalb müssten Urheberrechts- und Datenschutzbestimmungen, aber auch Vorgaben für schulische Verwaltungsabläufe an die Möglichkeiten und Bedingungen der Digitalisierung angepasst werden. Lehrerinnen und Lehrer bräuchten einen klaren, aber auch praktikablen Rahmen, beispielsweise welche Software sie verwenden, wie sie Lernmaterialien weiterbearbeiten und wie sie mit Schülerinnen und Schülern und deren Eltern kommunizieren können. Ebenso sei es zwingend erforderlich, einen verlässlichen und transparenten Rahmen für Prüfungssituationen zu schaffen – sowohl für Abschlussprüfungen als auch für Lern- und Leistungskontrollen etc. –, der die Digitalisierung dieser Formate einbezieht.

Experimentierklauseln einführen:

Innovative Schulen sollten nach Auffassung der Werkstattschulen durch Experimentierklauseln „Schutzräume” erhalten, um Neues erproben und Schul- und Unterrichtsentwicklung vorantreiben zu können, ohne durch Vorgaben und rechtliche Schranken zu stark eingeschränkt zu werden. So könnten auch in Zukunft immer wieder Schulen vorangehen, Neuland betreten und die Möglichkeiten und Herausforderungen der Digitalisierung erkunden. Das erworbene Wissen und die gelebten Erfahrungen sollten sie dann auch wieder an andere Schulen sowie an Bildungsverwaltung und Bildungspolitik weitergeben.