Fachpublikation

Heraus aus dem Labyrinth. Jungen Neuzugewanderten in Europa den Weg zur Berufsbildung erleichtern

Thema

Zugänge zur beruflichen Bildung für Geflüchtete in Europa

Herausgeberschaft

Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Intgeration und Migration (Hg.)

Autoren/Autorinnen

Lena Rother/Mohini Lokhande/Simon Morris-Lange

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2020

Stiftungsengagement

Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (Initiative der Stiftung Mercator, VolkswagenStiftung, Bertelsmann Stiftung, Freudenberg Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stifterverband und Vodafone Stiftung Deutschland), Stiftung Mercator

Literaturangabe

Lena Rother/Mohini Lokhande/Simon Morris-Lange: Heraus aus dem Labyrinth. Jungen Neuzugewanderten in Europa den Weg zur Berufsbildung erleichtern. Hg. v. Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Berlin 2020.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass seit dem Jahr 2014 mehr als fünf Millionen Jugendliche und junge Erwachsene in die Europäische Union geflüchtet, zugewandert oder innerhalb des Staatenverbunds gewandert sind. Es kann davon ausgegangen werden, dass berufliche Bildung die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessert, die gesellschaftliche Integration der jungen Menschen fördert und zur Fachkräftesicherung beiträgt.

Die vorliegende Studie des Forschungsbereichs beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) identifiziert am Beispiel von vier EU-Mitgliedstaaten (Deutschland, Österreich, Slowenien und Spanien) die Strukturen und Praktiken, die den Zugang von neuzugewanderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu beruflicher Bildung erleichtern und damit ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen können. Ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Bildungsintegration auf kommunaler Ebene sowie den dort tätigen Mitarbeiter*innen in Behörden, Bildungsstätten, Beratungsstellen und weiteren Einrichtungen. Die Studie wurde von der Stiftung Mercator gefördert.

Ziel der Studie ist es, durch einen vertiefenden Blick auf ausgewählte EU-Mitgliedstaaten Lehren für die Gestaltung von Bildungszugängen für Neuzugewanderte innerhalb der Europäischen Union zu ziehen.

Die Untersuchung stützt sich primär auf die qualitative Inhaltsanalyse zweier Datenquellen: einschlägige Regularien (z.B. nationale, regionale und kommunale Gesetzestexte, Verordnungen und behördliche Anwendungshinweise) sowie 122 halbstrukturierte Expert*inneninterviews in den acht untersuchten Kommunen. Die Interviews wurden zwischen Juli und Dezember 2019 mit Zugewanderten sowie dem Personal lokaler Behörden, Bildungsstätten, zivilgesellschaftlichen und weiteren Einrichtungen durchgeführt. Die Neuzugewanderten waren zur Zeit der Befragung bzw. in zwei Fällen zum Zeitpunkt der Zuwanderung zwischen 16 und 25 Jahre alt. Stichprobenziehung, Interviews und Auswertung erfolgten in Kooperation mit den Projektpartner*innen an den Universitäten Ljubljana, Wien und der Autonomen Universität Barcelona. Nach einer ersten Interviewrunde wurden die Netzwerke der Interviewten genutzt, um weitere Gespräche zu organisieren (sog. Schneeball-Sampling). Die Methode der vorliegenden Studie ist somit qualitativ ausgerichtet (keine repräsentative Stichprobe auf der Basis von statistischen, in Fragebögen erhobenen Daten).

Wichtige Ergebnisse

Wichtige Ergebnisse

Die Autor*innen fassen die wichtigsten Ergebnisse in fünf Punkten zusammen:

  • Berufliche Bildung eröffne jungen Neuzugewanderten die Chance auf eine qualifizierte Beschäftigung in der Europäischen Union (EU) und fördere gesellschaftliche Teilhabe.
  • Für viele junge Neuzugewanderte gleiche der Zugang zu beruflicher Bildung allerdings einem Labyrinth. Die Wege der Ausbildungswilligen würden länger werden, wenn sie aufgrund ihres Aufenthaltsstatus, ihres Alters oder fehlender anerkannter Zertifikate aus den Regelangeboten fallen oder zum Beispiel Sprachkenntnisse und notwendige finanzielle Mittel fehlen.
  • Mitarbeiter*innen in den Kommunen – beispielsweise in Beratungsstellen, Bildungsstätten und Behörden – verfügten jedoch über Spielraum, den Zugang zu beruflicher Bildung zu gestalten und die Neuzugewanderten dadurch gesellschaftlich zu integrieren. Vorbereitungs- und Ausbildungsstrukturen sollten gezielt an den Bedarf der Jugendlichen und jungen Erwachsenen angepasst und zudem flexibilisiert werden.
  • Junge Zugewanderte sollten engmaschig und kontinuierlich beraten und lokale Gatekeeper durch multiprofessionelle Bildungsnetzwerke und verlässliche Finanzierung nachhaltig unterstützt werden.

Die Autor*innen beschreiben auch Handlungsansätze, wie die Ausbildungschancen für junge Neuzugewanderte in Europa verbessert werden könnten:

1. Ausbildungsstrukturen fit machen für den „Normalfall Vielfalt“

  • Ausbildungsmodelle flexibilisieren
  • Beratung und ausbildungsbildungsvorbereitendes Angebot ausbauen und verbessern und Mitwirkende fortbilden
  • Zusätzliche Gelder bedarfsorientiert verteilen

2. Multiprofessionelle Bildungsnetzwerke nachhaltig gestalten

  • Relevante Partnerorganisationen beteiligen
  • Gemeinsame Ziele festlegen und verbindliche Strukturen schaffen
  • Koordinationsverantwortliche („Kümmerer“) benennen
  • Kontakt zu überregionalen Ebenen pflegen

Ausblick

Wanderungsbewegungen innerhalb der Europäischen Union werden nach Ansicht der Autor*innen auch künftig Realität auf dem „Migrationskontinent Europa“ sein. Für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Integration zukünftiger Zugewanderten stelle die berufliche Bildung eine große Chance dar. Diese sollte von den Mitgliedstaaten mit Gestaltungswillen künftig stärker genutzt werden. Ansätze dafür seien in allen untersuchten vier EU-Ländern vorhanden und könnten gezielt ausgebaut werden. Die Berufsbildung sei dabei ein wichtiges Glied in der gesamten Bildungskette, deren Durchlässigkeit ein zentrales Ziel sein sollte. Die jungen Neuzugewanderten sollten die Möglichkeit erhalten, ihre Bildungsziele entsprechend ihren Fähigkeiten und ihren Ambitionen bis ins Hochschulstudium und darüber hinaus zu verfolgen.

Die EU-weite Forschung zur Durchlässigkeit im Bildungssystem zeige, dass einige EU-Länder bereits viel unternommen haben, um schulische, berufliche und akademische Bildungsgänge miteinander zu verbinden (CEDEFOP 2012). Hier sollten andere Staaten nachziehen.

Zukünftig brauche es zudem nicht nur Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Bildungsetappen in einem Mitgliedstaat, sondern auch mehr Durchlässigkeit in der beruflichen Bildung zwischen den EU-Mitgliedstaaten, ausgehend von den in der Praxis beobachteten Bildungswegen von Zugewanderten. Bisherige Vorhaben in diese Richtung wie der Kopenhagen-Prozess oder die Entwicklung vergleichbarer Bewertungssysteme (z.B. European Credit System for VET) sollten weiterverfolgt und mit konkreten Implementierungsvorhaben hinterlegt werden. Vorbild hierfür könnte die europäische Vereinheitlichung und damit verstärkte Durchlässigkeit der studiengangbezogenen Strukturen im Rahmen der EU-weiten Bologna-Reformen sein. Auszubildende könnten so in Zukunft einfacher zwischen den nationalen Berufsbildungssystemen wechseln. Auf diese Weise würden die jungen Neuzugewanderten auch eine echte Chance erhalten, einen für sie passenden und letztendlich erfolgreichen Bildungsweg einzuschlagen; und auf diese Weise könnte auch ihre wirtschaftliche und gesellschaftliche Integration im Einwanderungsland gelingen.