Studie mit Handlungsempfehlungen

Inklusionsorientierte Lehrerbildung

Thema

Inklusionsorientierte Lehrerbildung in Ländern und Hochschulen

Herausgeberschaft

Bertelsmann Stiftung/CHE Centrum für Hochschulentwicklung/Deutsche Telekom Stiftung/Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft

Erscheinungsort

Gütersloh

Erscheinungsjahr

2015

Stiftungsengagement

Bertelsmann Stiftung, Deutsche Telekom Stiftung, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft

Literaturangabe

Bertelsmann Stiftung/CHE Centrum für Hochschulentwicklung/Deutsche Telekom Stiftung/Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (Hrsg.): Inklusionsorientierte Lehrerbildung – vom Schlagwort zur Realität?! Eine Sonderpublikation aus dem Projekt „Monitor Lehrerbildung“. Gütersloh 2015.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass Deutschland von einem inklusiven Bildungssystem noch weit entfernt ist, obwohl seit 2009 die Verpflichtung besteht, die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen umzusetzen. Der Inklusionsanteil liegt in Deutschland im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern unter dem Durchschnitt, gleichzeitig steigt die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf. Diese Situation stellt Schulen und Lehrkräfte vor besondere Herausforderungen. Damit Inklusion in der Praxis gelingen kann, muss die Lehrerbildung auf die Erfordernisse inklusiver Schulpraxis neu gestaltet und reformiert werden.

Der Monitor Lehrerbildung ist ein gemeinsames Projekt der Bertelsmann Stiftung, des CHE Centrum für Hochschulentwicklung, der Deutsche Telekom Stiftung und des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft.

Das Online-Angebot www.monitor-lehrerbildung.de bietet Daten und Fakten zur ersten Phase der Lehrerbildung in Deutschland an (Merkmale von Ländern und Hochschulen). Um ausgewählte Themen näher zu beleuchten, Ergebnisse einzuordnen und Handlungsempfehlungen zu geben, werden neben dem Online-Angebot Sonderpublikationen veröffentlicht.

Eine Sonderpublikation ist dem Thema „Inklusionsorientierte Lehrerbildung“ gewidmet. Hier werden die Ergebnisse einer Befragung dargestellt: Alle 16 Bundesländer und 65 Hochschulen gaben im Herbst 2014 Auskunft, welches Verständnis sie von Inklusion haben und inwieweit das Thema Umgang mit Vielfalt und Inklusion in der Lehrerbildung bereits verankert und umgesetzt ist.

Wichtige Ergebnisse

Die Befragung der Länder und Hochschulen erbrachte folgende Ergebnisse:

  • Es besteht eine unterschiedliche Regelungstiefe der Länder in Bezug auf verpflichtende Lehrveranstaltungen zum Thema Inklusion für Studierende aller Lehramtstypen und im Hinblick auf Inklusion als Querschnittthema im gesamten Curriculum.
  • Hochschulen haben tendenziell ein „weites“ Inklusionsverständnis, das sämtliche Heterogenitätsdimensionen umfasst (nicht nur Behinderungen); in vielen Hochschulen ist Inklusion als Querschnittthema bereits implementiert oder geplant.
  • Die meisten Studierenden können praktische Erfahrungen in inklusiven Settings sammeln, etwa in Praktika an inklusiv arbeitenden Schulen.
  • Hochschulen sind unterschiedlich weit darin, Studierende in der Lehrerbildung auf Inklusion vorzubereiten, beispielsweise durch verpflichtende Veranstaltungen zu Inklusion für alle Lehramtstypen.
  • Das Hochschulpersonal erhält teilweise Unterstützung, sich weiterzubilden, um Kompetenzen zu erweitern und Studierende (besser) auf die Herausforderungen in inklusiv arbeitenden Schulen vorbereiten zu können.

Folgende Herausforderungen wurden deutlich:

  • Es zeigt sich eine uneineinheitliche Verwendung des Inklusionsbegriffs (verschiedene Definitionslogiken und Zählweisen).
  • Deutlich wird auch eine mangelnde Rollenklärung von Lehrkräften in inklusiven Settings.
  • Es findet keine Thematisierung von Inklusion im gesamten Lehramtsstudium statt (also nicht nur in Bezug auf pädagogische und didaktische Basisqualifikationen, sondern auch in ihren Auswirkungen auf Fachwissenschaften und Fachdidaktiken).
  • Viele Lehrkräfte äußern ablehnende Haltungen gegenüber Inklusion.
  • Es werden häufig nur isolierte Maßnahmen in verschiedenen Phasen der Lehrerbildung durchgeführt.

Daraus werden Vorschläge entwickelt, wie Inklusion in der Lehrerbildung umgesetzt werden könnte:

Inklusionsverständnis präzisieren und im Lehramtsstudium implementieren:

Inklusion darf nicht auf die Heterogenitätsdimension der Behinderung reduziert werden, sondern sollte alle individuellen Entwicklungsbedarfe umfassen – von Sprachförderung bis Hochbegabung. Die Erprobung und Umsetzung von Inklusionskonzepten und -maßnahmen sollten auf einem bundesweit einheitlichen Verständnis aufgebaut und entwickelt werden.

Veränderungen pragmatisch und wissenschaftlich begleitet umsetzen:

Der Prozess der Einführung von Inklusion sollte bewusst gestaltet werden, indem pragmatisches Handeln und ein Raum für die Erprobung innovativer Ideen und Ansätze in der Lehrerbildung kombiniert wird. Dies sollte von wissenschaftlicher Forschung begleitet werden, um die Wirkung implementierter Initiativen bewerten und optimieren zu können. Ein solches Verfahren wäre auch im Sinne der Bund-Länder-Vereinbarung über die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“, in der die „Fortentwicklung der Lehrerbildung in Bezug auf die Anforderungen der Heterogenität und Inklusion“ explizit als ein Programmziel benannt ist.

In der Lehrerbildung tätige Personen auf die Vermittlung von Inklusion vorbereiten:

Lehrerbildnerinnen und -bildner (Hochschuldozierende, an Schulen eingesetzte Lehrende) müssen für eine inklusionsorientierte Lehre qualifiziert werden, etwa durch Weiterbildungsmasterstudiengänge. Darüber hinaus sollte in allen Aus-, Weiter- und Fortbildungen sowohl ein breites didaktisches und methodisches Repertoire als auch der Einsatz neuer und alternativer Lehrmethoden vermittelt werden.

Rolle der Lehrkräfte neu interpretieren:

Die Umsetzung eines inklusiven Bildungswesens verändert auch das Berufsbild von Lehrerinnen und Lehrern. Dieser Wandel ist mit neuen Erwartungen und weiteren Kompetenzen des Lehrerberufs verbunden: Die Arbeit in inklusiven Schulen ist stark auf gelingende Teamarbeit zwischen allen pädagogischen Fachkräften sowie eine inklusionsorientierte Schul- und Unterrichtsentwicklung angewiesen, was eine aktualisierte und differenzierte Rollendefinition der beteiligten Akteure erfordert. Eine große Bedeutung hat der Austausch mit anderen Expertinnen und Experten und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams (Regelschul- und Förderschullehrkräfte, weitere schulinterne und -externe Partner wie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Handwerkerinnen und Handwerker).

Praxisbezug stärken:

Praxiserfahrungen in inklusiven Settings während des Studiums können die Fähigkeiten zur Anwendung inklusiver Didaktik, die fachdidaktischen Kompetenzen, aber auch das Entwickeln eigener methodischer Ideen sowie ein professionelles Selbstverständnis befördern. Genügende und ausreichend begleitete Praxiserfahrungen können die Einstellungen gegenüber inklusiver Bildung und Inklusion auch allgemein positiv verändern, was eine der wichtigsten Gelingensbedingungen für Inklusion darstellt. Die hochschulische Lehrerbildung sollte sich somit mit inklusiven Schulen vernetzen, Praxiserfahrungen in inklusiver Umgebung frühzeitig ermöglichen und die Studierenden durch eine gezielte Vor- und Nachbereitung sowie Begleitung unterstützen.

Phasenübergreifendes Gesamtkonzept umsetzen, das alle Akteure einbezieht:

Als Gegenstand der Lehrerbildung sollte das Thema Inklusion umfassend in alle Bereiche integriert werden: Alle Lehramtsstudierenden sollten mit Maßnahmen und Initiativen einer inklusiv orientierten Lehrerbildung vertraut gemacht werden. Entsprechende Ansätze müssten alle drei Phasen der Lehrerbildung umfassen und alle an der Lehrerbildung beteiligten Akteure einbeziehen. Die Angebote und Inhalte sollten aufeinander aufbauen, langfristig angelegt sein, aktiv mitgestaltet werden können und durch einen Wechsel zwischen Input-, Erprobungs- und Reflexionsphasen gekennzeichnet sein.