Handreichung

"Integration-Hub"

Thema

Integrationsförderung von Geflüchteten in Kommunen

Herausgeberschaft

More than Shelters/Robert Bosch Stiftung (Hg.)

Autoren/Autorinnen

Daniel Kerber/Till Mertens/Seira Kerber

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2020

Stiftungsengagement

Robert Bosch Stiftung

Literaturangabe

Daniel Kerber/Till Mertens/Seira Kerber: „Integration-Hub“. Manual. Eine Anleitung zum Aufbau einer integrationsfördernden und -beschleunigenden Institution in Nachbarschaften, Kommunen und dem ländlichen Raum. Hg. v. More than Shelters/Robert Bosch Stiftung. Berlin 2020.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass die Integration von Neuzugewanderten – insbesondere Geflüchteten – aufgrund der gestiegenen Zuwanderung nach Deutschland seit 2015 eine Kernherausforderung für viele Städte und Kommunen darstellt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge definiert als Ziel der Integration, „alle Menschen, die dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland leben, in die Gesellschaft einzubeziehen.“ Viele Institutionen, Verbände, Verwaltungen, soziale Träger und Einzelpersonen seien dabei, an dieser Zielerreichung zu arbeiten, so die Autor*innen der Publikation. Wenn man den „Integrationsweg“ betrachte, zeige sich jedoch, dass er in seiner derzeitigen Form trotz des Engagements vieler Menschen dazu führt, dass Herausforderungen der Integration nicht oder nur unzureichend gelöst werden und sogar neue Probleme entstehen. Zu diesen Herausforderungen gehöre zum Beispiel,

  • dass Geflüchtete in der Regel deutlich länger in Gemeinschaftsunterkünften als vorgesehen bleiben,
  • der Wohnraum für Geflüchtete in großen Kommunen oft nicht ausreicht,
  • die Integration in den Arbeitsmarkt nur unzureichend funktioniert und
  • der Spracherwerb schwieriger ist als geplant.

Darüber hinaus seien auch „größere“ strukturelle Probleme erkennbar: Integration werde bisher vor allem als administrative Eingliederung der Geflüchteten in Regelsysteme organisiert und wichtige Aspekte blieben unberücksichtigt. Die negativen Auswirkungen seien beträchtlich. Die Autoren nennen folgende Schwierigkeiten:

  • Oft werde die soziale und sozialräumliche Integration vernachlässigt.
  • Der administrative Prozess sei mit einem immensen Arbeits- und Zeitaufwand für Geflüchtete verbunden, da es keine zentralisierte Anlaufstelle für ihre Anliegen gibt.
  • Die Koordination oder sogar Kooperation innerhalb der Administration wie auch zwischen Behörden, sozialen Trägern und Ehrenamtlichen sei systemisch selten vorgesehen, wodurch oftmals Doppelstrukturen, ineffiziente Informationswege und Wissenslücken bei verschiedenen Beteiligten entstehen.
  • Der psychosoziale Stress für Geflüchtete – vor allem in der Beengtheit von Massenunterkünften – steige und es entstünden vermehrt Belastungsstörungen und andere psychologische Krankheitsbilder, die Integration erschweren.
  • Die ungelösten Probleme verursachten Folgekosten für das Gesundheitssystem.
  • Frustration entstehe auch bei den Akteurinnen und Akteuren in Verwaltung und im Ehrenamt, die mit den geringen verfügbaren Ressourcen oftmals vergeblich versuchten, solche negativen Effekte abzufedern.

Somit könne festgestellt werden, dass es innerhalb des Integrationssystems spezifische und auch strukturelle Probleme gebe, unter denen Engagierte und Betroffene leiden. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, hat das Team von „More Than Shelters" (MTS) das Projekt „Integration-Hub“ entwickelt, das die Integration von Geflüchteten vorantreiben und dabei auch einen Lösungsansatz für die beschriebenen Probleme bieten soll.

Das Projekt "Integration-Hub" für Geflüchtete:

„Das Projekt sieht die Entwicklung und den Aufbau eines Modells für Inkubatoren für selbständig entwickelte und getragene Initiativen von neuzugewanderten Menschen vor. Dabei sollen ortsnah an Massenunterkünften von Geflüchteten Orte aufgebaut werden, in denen soziale, kulturelle, ökonomische und andere selbstorganisierte Initiativen von der Idee bis zur ‚Marktreife‘ begleitet werden. Dafür wird ein zielgruppenspezifisches und bedarfsorientiertes Kurrikulum angeboten, dass insbesondere auch die interkulturellen und psycho-sozialen Herausforderungen der Zielgruppe berücksichtigt werden.“ (More Than Shelters)

Projektphasen:

1. Phase (Planning): In direkten und qualitativen Befragungen werden die Bedarfe und Ideen der Zielgruppe und weiterer Schlüsselakteur*innen ermittelt und in das Projektdesign eingearbeitet (Bedarfsanalyse). Zum anderen werden weitere Initiativen und deren Ansätze untersucht, um Doppelstrukturen zu vermeiden (Ökosystem-Mapping). Aus diesen Formaten entsteht als Abschluss der 1. Phase ein Manual zum Aufbau eines nutzerzentrierten und bedarfsgerechten Inkubators für (Eigen)Initiativen von Neuzugewanderten.

2. Phase (Prototype): Hier ist der Aufbau und der Testbetrieb eines „Integration-Hub“ vorgesehen. Es sollen konkrete Initiativen begleitet, ihr gesamtes „Betriebssystem“ getestet und weiterentwickelt werden. Am Ende dieser Phase soll ein Handbuch mit Anleitungen und Erfahrungsberichten entstehen.

Zwischen Juni und Dezember 2019 wurde die erste Phase des Projektes „Integration-Hub“ durchgeführt. Zum Abschluss der 1. Phase bietet die vorliegende Publikation ein Manual, das aufzeigt, in welcher Form ein nahräumliches Angebot Geflüchtete unterstützen kann, eigene Ideen und Initiativen erfolgreich mit den verantwortlichen Akteuren und Engagierten in der Integrationsarbeit umzusetzen.

Das Projekt „ Integration-Hub“ wird von der Robert Bosch Stiftung gefördert.

Wichtige Ergebnisse

Ziele des "Integration-Hub":

  • Wiedererlangung von Selbstwirksamkeit und Selbstständigkeit der Geflüchteten
  • Stärkung der gesellschaftlichen Teilhabe von Geflüchteten
  • Entwicklung von integrativen und ganzheitlichen Initiativen
  • Mehr Beispiele gelungener Integration
  • Veränderte Sichtweisen auf und Narrative über Geflüchtete

Ein "Integration-Hub" strebt nicht an, einzelne Initiativen selbst zu initiieren oder konkrete Projekte selbst durchzuführen. Vielmehr soll es darum gehen, die Geflüchteten und die Akteurinnen und Akteure aus dem Regelsystem und der Zivilgesellschaft zu ermächtigen, eigene Integrationswege aufzubauen.

Beobachtungen und Erkenntnisse aus Projektphase 1:

1. Resignation versus Ermächtigung und Inkubation

  • Es scheint relevant für die Wirksamkeit des "Integration-Hub" zu sein, passgenaue Maßnahmen der Ermächtigung als „Gegenmittel“ zur erlernten Hilflosigkeit zu definieren.
  • Der "Integration-Hub" kann maximal Verweisberatung an psychiatrische und psychologische sowie psycho-soziale Angebote machen und sollte dafür mit den jeweiligen Angeboten nachhaltig vernetzt sein.
  • Die Gruppe der Geflüchteten, die aktiv Veränderung sucht und sich explorativ dem Sozialraum nähert, ist gut für den "Integration-Hub" zugänglich und sollte deshalb eine der Hauptzielgruppen sein. Auch die  motivierten Geflüchteten, die offen für Weiterentwicklung sind und sich teilweise auch im Sozialraum engagieren, sollte ebenso eine der Hauptzielgruppen bilden. Der "Integration-Hub" sollte zwar auch versuchen, „eingeschüchterte“ oder „zaghafte“ Geflüchtete zu erreichen, sich aber zugleich bewusst machen, dass nicht alle Menschen mit diesem Ansatz erreicht werden können.
  • Da implizite Ressourcen von Geflüchteten von den bestehenden Regelsystemen nicht ausreichend adressieren, sollte der "Integration-Hub" einen Weg bereitstellen, diese zu (re-)aktivieren. Zumeist werden fast ausschließlich formal erworbene Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissen anerkannt. Der "Integration-Hub" könnte hier eine Lücke im Integrationsweg schließen, indem es auch informell erworbene Befähigungen und Begabungen aufgreift und fördert.
  • Der "Integration-Hub" kann und sollte eine Scharnierfunktion zwischen den Akteur*innen der Integrationsarbeit ausüben. Bestimmte Angebote des Hubs sollten die Vernetzung und die Kooperation zwischen den fragmentierten Angeboten fördern. Der Hub könnte somit systemische Wirksamkeit entfalten.
  • Als nicht staatlicher Akteur kann sich der "Integration-Hub" auch an Menschen wenden, deren Aufenthaltsstatus noch nicht geklärt ist. Durch die Öffnung für diese Zielgruppe wird eine wesentliche Angebotslücke geschlossen.
  • Die Angebote des "Integration-Hub" sollten sich an den diversen Lebensläufen und -realitäten der Nutzer*innen orientieren. Verallgemeinernde Zuschreibungen sollten vermieden werden. Die grundlegende Ansprache sollte sich an Bewohner*innen des Sozialraums richten, unter diesen auch diverse Menschen, die in Großunterkünften leben.
  • Es sollten ausreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um direkte, persönliche und nachhaltige Beziehungsarbeit durch den "Integration-Hub" leisten zu können. Es müssten richtige Ansprache- und Verabredungsformate entwickelt werden, die „kulturelle Gewohnheiten“ berücksichtigen.
  • Der "Integration-Hub" sollte Angebote für diverse Sprachniveaus bereitstellen. Ebenso sollte der Einsatz von Sprachmittler*innen vorgesehen werden. Der Hub kann insbesondere ein Ort des „informellen“ Sprachgebrauchs und -erwerbs sein.
  • Der Hub sollte Angebote zu allgemeinem und Spezialwissen bereitstellen. Ein gutes Netzwerk an Partner*innen in den Bereichen Recht, Steuern und Finanzierung sollte aufgebaut werden. Insbesondere für die Finanzierung von Initiativen sollten Mittel (Aktionsfonds) bereitstehen.

2. Isolation versus soziale Anbindung und Gemeinschaft

  • Damit der "Integration-Hub" wirksam Eigenentwicklung und Talent-Inkubation fördern kann, sollte ein besonderer Fokus auf den Aufbau tragender sozialer Netzwerke gelegt werden, die der Isolation geflüchteter Menschen entgegenwirken können.
  • Diese sozialen Beziehungen sollten die Geflüchteten untereinander aufbauen, aber vor allem auch mit anderen Menschen aus dem nahräumlichen Umfeld.
  • Soziale Kontakte können als ein wesentlicher Treiber für die Erfolgschancen von Integration im Allgemeinen betrachtet werden, sind aber auch konkret für die Angebote des Hub von Bedeutung.
  • Der Aufbau sozialer Beziehungen könnte einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Isolation und Integrationshürden nach dem Ankommen zu überwinden.

3. Räumlicher Mangel versus ermächtigende Raumangebote

  • Der "Integration-Hub" sollte diverse räumliche Qualitäten anbieten, die auf die verschiedenen Bedarfe der Geflüchteten eingehen.
  • Der Raum des Hub sollte nicht nur ein Ort des Lernens, sondern auch ein Ort der Begegnung sein.
  • Über den Aufbau eines Ortes der Begegnung und dessen Nutzung als „Heimat“ einer Gemeinschaft könnte der Hub einen Beitrag zum lokalen Wohnungsmarkt und zu übergeordneten Aspekten der Integration leisten.
  • Der "Integration-Hub" sollte als Mischung aus Nachbarschaftszentrum und Inkubator verstanden werden.

Selbstverständnis des "Integration-Hub"

  • Der Hub sollte sich als ein integriertes und entsprechend integrierendes Angebot verstehen.
  • Der Hub sollte für Menschen mit unterschiedlichen Herausforderungsprofilen verschiedene „Zugänge“ bereithalten.