Studie mit Handlungsempfehlungen

Kompetenzen in der digitalen Welt. Konzepte und Entwicklungsperspektiven

Thema

Vermittlung digitaler Kompetenzen an Schulen

Herausgeberschaft

Friedrich-Ebert-Stiftung

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2017

Stiftungsengagement

Friedrich-Ebert-Stiftung

Literaturangabe

Birgit Eickelmann: Kompetenzen in der digitalen Welt. Konzepte und Entwicklungsperspektiven. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung 2017.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Durch die digitale Entwicklung verändert sich das Lernen und Lehren grundlegend. Für Schulen ergibt sich daraus die Aufgabe, Kindern und Jugendlichen Kompetenzen zu vermitteln, die in einer digital geprägten Welt notwendig sind. Wie kann dieser neue Bildungsauftrag vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen in Deutschland umgesetzt werden, insbesondere angesichts der 2016 verabschiedeten KMK-Strategie „Bildung in einer digitalen Welt“?

Im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung hat Prof. Dr. Birgit Eickelmann (Professur für Schulpädagogik an der Universität Paderborn) den aktuellen Stand der Umsetzung an deutschen Schulen bei der Vermittlung digitaler Kompetenzen untersucht. Sie analysiert die unterschiedlichen Entwicklungen in den Bundesländern und die KMK-Strategie und benennt Herausforderungen. Für die Schulpraxis besonders relevant sind die dargestellten Best-Practice-Beispiele von Schulen, etwa Lernplattformen, Open Educational Resources, digitale Schulbücher und sichere Bildungsclouds. Eickelmann arbeitet Erfolgsfaktoren bei der Kompetenzvermittlung heraus und formuliert Handlungsempfehlungen an Bildungspolitik und Bildungsadministration, Schulen und Schulleitungen.

Wichtige Ergebnisse

Hintergrund: Die ICILS-Studie 2013

Die Befunde der international vergleichenden Schulleistungsstudie ICILS 2013 (International Computer and Information Literacy Study) haben für Deutschland erhebliche Entwicklungsbedarfe aufgezeigt: Deutlich wurde, dass keineswegs alle Kinder und Jugendlichen als sogenannte Digital Natives über die in der digitalen Welt erforderlichen Kompetenzen verfügen, wie fälschlicherweise oft angenommen wird. Die Studie zeigte, dass 30 Prozent der Jugendlichen in Deutschland noch nicht einmal über grundlegende Fähigkeiten im Umgang mit neuen Technologien und digitalen Informationen verfügen und sich eine digitale Spaltung abzeichnet. Auch in diesem Bereich bestimmt in Deutschland somit die soziale Herkunft den Bildungserfolg. Die digitalen Kompetenzen von Jugendlichen aus sozial benachteiligten Lagen weichen deutlich nach unten ab. In Deutschland bleibt es somit eine zentrale Aufgabe, auch bei den digitalen Kompetenzen Bildungsgerechtigkeit herzustellen und gesellschaftliche Teilhabe in einer digitalen Welt für alle sicherzustellen.

Chancen und Herausforderungen digitaler Medien

Ausgangspunkt der Studie ist, dass mit dem Einsatz digitaler Medien auch neue Möglichkeiten für die Umsetzung von Inklusion und den Umgang mit Heterogenität verbunden sind, da dadurch Lernen nach eigenem Bedarf und Tempo gestaltet werden kann. Fachliches Lernen könne beispielsweise durch interaktive Materialien oder Lernvideos individuell angepasst und unterstützt werden. Kooperatives Lernen wiederum werde durch gemeinsame Zugänge und neue Kommunikationsmöglichkeiten erleichtert.

Allerdings sei die Nutzung digitaler Medien zur Veränderung von Lehr- und Lernprozessen sowie die Vermittlung von digitalen Kompetenzen in Deutschland noch deutlich ausbaufähig. Ziel sollte eine chancengerechte Kompetenzförderung sein, die verschiedene Dimensionen im Blick hat. Sie sollte

  • sozial bedingte Bildungsdisparitäten abbauen,
  • die Stärken der Mädchen zur Geltung bringen und die Jungen besser fördern sowie
  • die leistungsstarken Kinder und Jugendlichen angemessen berücksichtigen.

Die Autorin stellt fest, dass die pädagogischen Potenziale digitaler Medien noch weitgehend ungenutzt bleiben, obwohl ein Großteil der Lehrkräfte durchaus bereit wäre, neue Wege und Chancen digitaler Medien für das Lernen zu erproben. In einzelnen „Leuchtturmschulen“ gelinge das bereits. Einzelne Bundesländer förderten Modell- bzw. Referenzschulen und manche Schulen erprobten auch aus eigenem Antrieb neue Modelle. Dabei seien oftmals besonders engagierte Lehrkräfte und vor allem die Schulleitungen die treibenden Kräfte. Das Bild in den Ländern und Schulen in Deutschland sei aufgrund eines fehlenden Gesamtkonzepts in den letzten Jahren sehr uneinheitlich. Dies habe sich 2016 jedoch geändert, indem die Kultusministerkonferenz ein abgestimmtes Handlungskonzept für die zukünftige Entwicklung der Bildung in Deutschland vorgelegt hat, das den digitalen Wandel im Bildungssystem in den Mittelpunkt stellt.

Einordnung der KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“

Die Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ basiert auf einem Kompetenzmodell mit sechs digitalen Kompetenzbereichen:

  • Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren
  • Kommunizieren und Kooperieren
  • Produzieren und Präsentieren
  • Schützen und sicher Agieren
  • Problemlösen und Handeln
  • Analysieren und Reflektieren

In Bezug auf die Umsetzung werden in der Strategie zwei übergreifende Zielsetzungen formuliert:

1. Die Bundesländer sollen in ihre Lehr- und Rahmenpläne, beginnend mit der Primarstufe, die ausgewiesenen Kompetenzen in allen Fächern integrieren.

2. Bei der Gestaltung digitaler Lernumgebungen ist der Primat des Pädagogischen anzusetzen. Berücksichtigt werden sollten dabei die Möglichkeiten digitaler Medien, den Unterricht im Hinblick auf Individualisierungsmöglichkeiten und eine Stärkung der Eigenverantwortung der Lernenden zu gestalten.

Die Bundesländer müssen nun in den kommenden Jahren die vereinbarten Zielsetzungen umzusetzen und auf die besonderen Situationen und Herausforderungen in den Bundesländern hin anpassen.

Situation in den Bundesländern

Zusammenfassend zeigt sich, dass die meisten Bundesländer bereits vor der Verabschiedung der KMK-Strategie Maßnahmen zur Förderung von Kompetenzen in der digitalen Welt und der Implementierung digitaler Medien in Schulen auf den Weg gebracht haben. Aufgrund der lange Zeit sehr heterogenen Entwicklung in den Bundesländern sei der gegenwärtige Entwicklungsstand auch sehr unterschiedlich.

Die Maßnahmen an Schulen können in sechs Kernbereiche eingeteilt werden:

1. Verbindliche Verankerung in Curricula mit Schwerpunkt auf Medienkompetenz

2. Verbesserung der IT-Infrastruktur und Bereitstellung von Bildungsmedien

3. Unterstützungsstrukturen für Schulen und von Schulentwicklungsmaßnahmen, personelle Unterstützung und Handreichungen für die schulisch-konzeptionelle Arbeit auf Einzelschulebene

4. Unterstützung der Entwicklung und Erprobung von innovativen Konzepten

5. Veränderungen in der Lehrerbildung

6. Einsetzen von Arbeitsgruppen unter Einbeziehung verschiedener an Bildung beteiligter Akteure unter Nutzung wissenschaftlicher Expertise

Digitale Lehr- und Lernmaterialien

In der gemeinsamen Erklärung von Bund und Ländern im Rahmen des DigitalPakts Schule vom Juni 2017 wird explizit darauf hingewiesen, dass die digitalen Möglichkeiten von Schulen nur dann effektiv für die Bildungs- und Erziehungsarbeit genutzt werden können, wenn sowohl die erforderliche technische Ausstattung, als auch leistungsfähige digitale Bildungsumgebungen vorhanden sind. Für einen lernförderlichen und kompetenzorientierten Einsatz digitaler Medien in der Schule seien digitale Lehr- und Lernmaterialien zudem wichtige Unterstützungselemente.

Aus Sicht der schulischen Akteure und insbesondere von Lehrpersonen ergeben sich fünf ganz konkrete Bedarfe und Anforderungen an digitale Lehrmaterialien:

1. Zugänglichkeit in Bezug auf grundsätzliche Verfügbarkeit von qualitativ ansprechenden, lehrplankonformen Materialien ohne zusätzliche Kostenhürden;

2. Übersichtlichkeit im Sinne von Strukturen, die das gezielte Auffinden passender Materialien ermöglichen, ohne Zeitverluste und mit guter Orientierung und Vorsortierung oder Sortierbarkeit;

3. Adaptierbarkeit in Bezug auf die Verwendbarkeit und Möglichkeiten der Anpassung für unterschiedliche Lerntypen und Lerngruppen sowie für die unterschiedlichen schulischen Kontexte, insbesondere auch die Unterschiedlichkeit hinsichtlich der IT-Ausstattung;

4. Finanzierbarkeit im Sinne der Klärung von Anschaffungs- und Folgekosten, auch mit schulischen Sachaufwandsträgern;

5. Rechtliche Aspekte vor allem im Hinblick auf Einhaltung von Datenschutz, Persönlichkeitsrechten und Lizenzrechten bei der Nutzung digitaler Lehr- und Lernmaterialien.

Es können fünf Zielsetzungen der Nutzung digitaler Medien an Schulen unterschieden werden:

  • Vermittlung von Fertigkeiten im Umgang mit neuen Technologien,
  • Nutzung digitaler Medien zur Verbesserung des Lernens,
  • Entwicklung und Umsetzung neuer Formen des Unterrichtens mit digitalen Medien,
  • Förderung des Medienkompetenzerwerbs,
  • Erwerb von Kompetenzen in der digitalen Welt.

Die Autorin der Expertise gibt folgende Handlungsempfehlungen:

1. Für Bildungspolitik und Bildungsadministration:

  • Gesamte Bildungskette mitdenken
  • Synergien zu anderen Querschnittsaufgaben schaffen und nutzen
  • Digitale Medien als Bestandteil von Schulqualität sehen
  • Ganztag im Bereich digitale Bildung ausgestalten
  • Bildungsdisparitäten gezielt bearbeiten
  • Digitale Kompetenzen fördern und in Berufsperspektiven umsetzen
  • Konzept der Kompetenzen in der digitalen Welt weiterdenken
  • teaching und teachers matter
  • die Rolle der Schulleitungen erkennen
  • Steuerungswissen durch Evaluationen und praxisorientierte Forschung generieren

2. Für Schulen und Schulleitungen:

  • Digitale Kompetenzen nicht als Add-On verstehen: Die Vermittlung von Kompetenzen in der digitalen Welt könne nur dann gelingen, wenn sie mit pädagogischen Zielen verbunden ist und in das fachliche Lernen integriert wird.
  • Schulische Lernprozesse neu denken: Die Integration digitaler Medien gelinge selten in klassische Unterrichtskonzepte. Kompetenzorientierung sei dann erfolgreich, wenn Lernen und Lernprozesse neu gedacht werden und Schülerorientierung und die Verbindung verschiedener Lernorte und -wege im Kern schulischer Arbeit steht.
  • Verankerung in Konzepten: Ein wichtiger Schritt für Schulen sei, schulische Medienkonzepte zu entwickeln und diese als Instrument der Schulentwicklung zu nutzen.
  • Alle Kolleginnen und Kollegen mitnehmen: In vielen Schulen gehen erste und wichtige Schritte für digitales Lehren und Lernen von einem engagierten Team oder einer Gruppe von Lehrpersonen aus. Nachhaltigkeit werde aber nur dann erreicht, wenn Konzepte entwickelt werden, die darauf basieren, alle Kolleginnen und Kollegen gemäß ihren Vorerfahrungen und Interessen einzubinden.
  • Freiräume für Neues schaffen: Für das Lernen mit digitalen Medien seien Lernwege und Möglichkeiten noch nicht zu Ende gedacht. Auch angesichts der rasanten technologischen Entwicklungen müsse Schule immer auch Raum für Erprobung lassen.
  • Voneinander lernen: Lehrerkooperationen innerhalb einer Schule und die Vernetzung mit anderen Schulen seien wichtige Elemente der Professionalisierung von Lehrkräften und der Schul- und Unterrichtsentwicklung.