Fachpublikation

Lehrkräfte dringend gesucht

Thema

Lehrkräftebedarf und -angebot an Grundschulen

Herausgeberschaft

Bertelsmann Stiftung

Autoren/Autorinnen

Klaus Klemm/Dirk Zorn

Erscheinungsort

Gütersloh

Erscheinungsjahr

2018

Stiftungsengagement

Bertelsmann Stiftung

Literaturangabe

Klaus Klemm/Dirk Zorn: Lehrkräfte dringend gesucht. Bedarf und Angebot für die Primarstufe. Gütersloh 2018. DOI 10.11586/2017048

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass die Grundschulen in Deutschland vor großen Herausforderungen stehen: Steigende Geburtenzahlen und Zuwanderung führen zu einem Boom an Schülerinnen und Schülern und die Schülerschaft wird immer vielfältiger – nicht nur durch Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, sondern auch aufgrund der geforderten Inklusion von Förderschülerinnen und -schülern. Studien zeigen, dass viele Grundschulen mit diesen Aufgaben überfordert sind: Sie haben zum Beispiel Probleme, das durchschnittliche Leistungsniveau zu halten, und es besteht die Gefahr, dass Kinder aus benachteiligten Familien den Anschluss zu verlieren.

Vor diesem Hintergrund wäre es sehr wichtig, dass an Grundschulen qualifizierte Lehrkräfte in ausreichender Zahl beschäftigt sind, die für guten Unterricht sorgen und die Kinder individuell fördern können. Nur dann können Grundschulen ihre wichtigen Aufgaben erfüllen und ihren Beitrag zu fairen Bildungschancen leisten.

Allerdings zeigt sich schon heute ein Lehrkräftemangel an Grundschulen, den die Wissenschaftler Prof. i.R. Dr. Klaus Klemm und Dr. Dirk Zorn (Bertelsmann Stiftung) in der vorliegenden Studie untersucht haben: Sie analysieren den Lehrkräftemangel in seiner gegenwärtigen Ausprägung und prognostizieren die zukünftige Entwicklung. Auf dieser Basis haben sie den Bedarf an neu einzustellenden Grundschullehrkräften bis zum Jahr 2030 abgeschätzt und mit der zu erwartenden Zahl regulärer Absolventen und Absolventinnen der lehrerbildenden Hochschulen abgeglichen. Grundlagen ihrer Berechnung bilden die von den beiden Autoren im Juli 2017 vorgelegten Vorausschätzungen zur Entwicklung der Schülerinnen-und Schülerzahlen sowie die im Oktober 2017 veröffentlichte Kalkulation zum qualitätsvollen weiteren Ausbau der Ganztagsschule. Zudem wurde der Ersatzbedarf für aus dem Schuldienst ausscheidende Lehrkräfte berücksichtigt.

Wichtige Ergebnisse

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass der Lehrkräftemangel an Grundschulen, der bereits heute in einigen Bundesländern und Regionen spürbar ist, sich in wenigen Jahren durch einen Schülerboom dramatisch verschärfen wird. Unterschieden werden drei Phasen:

  • die Zeit bis zum Schuljahr 2020/2021,
  • die fünf Schuljahre von 2021/2022 bis 2025/2026, die von besonders großem Lehrkräftemangel geprägt sein werden,
  • die Phase von 2025/26 bis zum Schuljahr 2030/2031, in denen sich die Situation voraussichtlich wieder etwas entspannen wird.

Die Autoren stellen folgende Thesen auf:

1. Aufgrund des altersbedingten Ausscheidens von Grundschullehrkräften ergibt sich ein Ersatzbedarf.

Bis zum Schuljahr 2030/2031 müssten – vor allem aufgrund des altersbedingten Ausscheidens von Grundschullehrkräften – etwa 81.000 Vollzeitstellen an Grundschulen neu besetzt werden. Nur dann könnte der derzeitige Personalstand (Basis Schuljahr 2015/2016) aufrechterhalten werden.

Der Ersatzbedarf sei im Jahresmittel bis zum Schuljahr 2020/2021 am höchsten. Er betrage jährlich etwa 6.400 Vollzeitäquivalente (VZÄ), was ca. 6.800 Personen entspricht. Dann sinke der Bedarf bis einschließlich 2025/2026 auf jährlich etwa 5.000 Stellen (ca. 5.300 Personen) und danach weiter auf etwa 4.700 Stellen (etwa 5.000 Personen) bis zum Ende des Betrachtungszeitraums (Schuljahr 2030/2031).

2. Der Bedarf an Grundschullehrkräften wächst auch aufgrund steigender Zahlen von Schülerinnen und Schülern.

Der erwartete Anstieg der Schülerinnen- und Schülerzahlen in der Primarstufe führt nach den Berechnungen der Autoren vor allem zwischen den Schuljahren 2021/2022 und 2025/2026 zu einem erheblichen zusätzlichen Personalbedarf.

Bis einschließlich 2020/2021 würden im Jahresmittel mehr als 1.300 zusätzliche Lehrkräfte benötigt, um bei steigenden Schülerinnen- und Schülerzahlen eine gleichbleibende Unterrichtsversorgung zu gewährleisten. In den folgenden fünf Jahren steige dieser Zusatzbedarf auf fast 3.800 Personen jährlich an. Ab 2026/2027 bis zum Schuljahr 2030/2031 sinke der Zusatzbedarf sogar leicht, sodass rechnerisch jährlich etwa 630 Lehrkräfte weniger als in der Periode mit den höchsten Schülerinnen- und Schülerzahlen benötigt werden.

3. Zudem steigt der Bedarf an Grundschullehrkräften aufgrund des Ausbaus des Ganztagsschulsystems.

Der weitere Ausbau eines Ganztagsschulsystems mit außerunterrichtlicher Beteiligung auch durch Lehrkräfte führe zu einem zusätzlichen Bedarf zwischen 1.400 und knapp 2.100 Personen pro Jahr.

In der Modellrechnung entsteht der höchste Bedarf in der Periode vom Schuljahr 2021/2022 bis 2025/2026 mit etwa 2.100 zusätzlichen Lehrkräften pro Jahr. In der vorangehenden Fünfjahresperiode benötige man jährlich mehr als 1.600 Personen, in der letzten Periode ab dem Schuljahr 2026/2027 etwa 1.400 Lehrkräfte, um ein deutschlandweites und qualitätsvolles Angebot an Ganztagsplätzen für alle Schülerinnen und Schüler der Primarstufe bis zum Schuljahr 2030/2031 zu gewährleisten.

4. Der Einstellungsbedarf an Lehrkräften liegt deutlich über der Zahl der Absolventinnen und Absolventen für das Lehramt.

In Summe liegt der jährliche Einstellungsbedarf an Personen nach Auffassung der Autoren bis zum Schuljahr 2025/2026 erheblich über der derzeitigen Zahl an Absolventen und Absolventinnen für das Lehramt Grundschule.

Optimistisch geschätzt stünden in den nächsten Jahren jährlich maximal etwa 7.000 Absolventinnen und Absolventen mit der Lehrbefähigung für die Grundschule zur Verfügung. Bis einschließlich des Schuljahres 2020/2021 müssten allerdings jährlich fast 9.800 Personen eingestellt werden, davon 8.100 allein zur Gewährleistung der Unterrichtsversorgung. Zwischen den Schuljahren 2021/2022 und 2025/2026 wäre sogar die jährliche Einstellung von knapp 11.200 Personen erforderlich, davon fast 9.100 nur für den Erhalt des Unterrichts.

Erst ab dem Schuljahr 2026/2027 würde sich die Lage deutlich entspannen, da der Gesamtbedarf unter 5.800 Personen sinke (davon weniger als 4.400 zur Unterrichtsversorgung). Beim derzeitigen Niveau der Absolventen und Absolventinnen bestünde hier mit Blick auf die in die Modellrechnung einbezogenen bedarfserzeugenden Aufgaben erstmals keine Deckungslücke mehr.

5. Es sind zusätzlich kurzfristige Maßnahmen unerlässlich, weil auch eine rasche Erhöhung der Studienplätze den Bedarf nicht decken kann.

Auch eine rasche Erhöhung des Kontingents an Studienplätzen für das Lehramt Grundschule kann nach Ansicht der Autoren den akuten Bedarf bis zum Schuljahr 2025/2026 nicht decken. Deshalb seien zusätzlich kurzfristig wirksame Maßnahmen zwingend erforderlich.

Bei einer Gesamtausbildungsdauer von sechs bis sieben Jahren (einschließlich Vorbereitungsdienst) käme eine Ausweitung von Studienplätzen zu spät, um in den Perioden mit der größten Deckungslücke wirksam zu werden. Um die Versorgung mit Lehrkräften sicherzustellen, brauche es deshalb in jedem Fall Maßnahmen, die kurzfristiger wirken. Dazu sollten alle Möglichkeiten identifiziert, bewertet und priorisiert werden.

6. Neben der Einstellung von Quereinsteigerinnen und -einsteigern braucht es Anreize für bereits tätige Lehrkräfte, den Unterrichtsumfang (auf freiwilliger Basis) zu erhöhen.

Es sei notwendig, Quereinsteigerinnen und -einsteiger einzustellen. Wichtig wären dabei allerdings bundeseinheitliche Standards für die Qualifizierung und den Einsatz in Schulen.

Darüber hinaus sollten auf Freiwilligkeit basierende Maßnahmen für bereits tätige Lehrkräfte etabliert werden. Es sollten Anreize geschaffen werden, um den Unterrichtsumfang der Lehrkräfte zu erhöhen und einen (reduzierten) unterrichtlichen Einsatz von ansonsten in den Ruhestand wechselnden Lehrkräften zu unterstützen.

Deshalb sollte geprüft werden, wie die Rahmenbedingungen für Lehrkräfte verbessert werden können, um damit eine Aufstockung des Unterrichtsdeputats bzw. eine frühere Rückkehr aus Beurlaubungen zu fördern. Dies betreffe insbesondere

  • Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie (etwa durch eine bevorzugte Bereitstellung von Krippen-, Kita-, und Ganztagsschulplätzen für die Kinder von Lehrkräften),
  • Arbeitszeitkonten,
  • finanzielle Zuschläge.

Lehrkräften, die eigentlich in den Ruhestand wechseln würden und an einer weiteren Lehrtätigkeit interessiert sind, sollten attraktive finanzielle Möglichkeiten des Hinzuverdienens bei einer reduzierten Fortsetzung ihrer Unterrichtstätigkeit eröffnet werden.