Fachpublikation

MIKA – Musik im Kita-Alltag

Thema

Musikalische Bildung in der Kita

Herausgeberschaft

Bertelsmann Stiftung

Autoren/Autorinnen

Marina Stratmann/Johannes Beck-Neckermann

Erscheinungsort

Gütersloh

Erscheinungsjahr

2017

Stiftungsengagement

Bertelsmann Stiftung

Literaturangabe

Marina Stratmann/Johannes Beck-Neckermann: MIKA – Musik im Kita-Alltag. Konzept über Voraussetzungen, Grundlagen und praktische Ausgestaltung von MIKA – Musik im Kita-Alltag. Hrsg. v. Bertelsmann Stiftung. In Zusammenarbeit mit Peter Ausländer/Catrin Mawick/Andrea Mayer/Ivonne Prante/Petra Stamer-Brandt/Anke von Hollen/Dr. Ute Welscher. 3. ergänzte Auflage. Gütersloh 2017.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Die Bertelsmann Stiftung setzt sich seit 2009 dafür ein, einen partizipativen, chancengerechten Ansatz musikalischer Bildung sowohl für die Kinder als auch für die Mitarbeitenden in Kindertageseinrichtungen zu befördern. Auf der Basis des Vorgängerprojektes „Kita macht Musik“ und in Kooperation mit zahlreichen Institutionen und Experten aus Wissenschaft und Praxis sowie Akteuren der musikpädagogischen Fachwelt, des Verbandswesens, der Aus- und Weiterbildung, der Musiktherapie und von Kita-Trägern hat sich MIKA („Musik im Kita-Alltag“) entwickelt. Das Konzept ist in einer interdisziplinären Zusammenarbeit und in engem Austausch mit der Kita-Praxis entstanden und basiert auf neueren pädagogischen Ansätzen. Es soll allen, die sich der qualitativen Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen widmen, einen Überblick über Grundgedanken, Ziele und die Praxis von MIKA geben.

Mit MIKA sollen sich interessierte Kindertagesstätten zu einem Ort (weiter-)entwickeln können, an dem Kinder unabhängig von ihrer Herkunft und ihren Fähigkeiten einen situations- und entwicklungsgerechten Zugang zu Musik im Alltag erleben und dabei in ihren Selbstbildungs- und Entwicklungsprozessen unterstützt werden.

MIKA arbeitet auf der Grundlage eines offenen, an den Ressourcen der Kinder und des pädagogischen Fachpersonals orientierten Musikbegriffs: Demnach werden die vielseitigen Klänge und Geräusche, die der Kita-Alltag bietet, zum Bestandteil gemeinsamen und individuellen Musizierens. Damit soll deutlich werden, dass Musik auch jenseits spezieller Angebote im Kita-Alltag immer präsent ist. Solche Momente sollen entdeckt und für das Miteinander im Alltag erlebbar gemacht werden.

Im Mittelpunkt des MIKA-Ansatzes steht das Ziel, eine pädagogische Haltung zu verankern, die Fachkräften in Kitas ermöglichen soll, die von Geburt an vorhandene Freude der Kinder an musikalischen Ausdrucksformen zu stärken.

Musikalische Bildung in Kindertageseinrichtungen

Die Autorinnen und Autoren weisen darauf hin, dass musikalische Grunderfahrungen von Kindern in allen Einrichtungen des Elementarbereichs theoretisch eine hohe Bedeutung haben. In der Praxis stelle sich das aber sehr unterschiedlich dar. So gebe es auf der einen Seite ausgewiesene Musik-Kitas mit musikalisch gut qualifiziertem Personal, das auf ein vielfältiges Angebot sowohl für Kinder und teilweise sogar für Eltern Wert legt, auf der anderen Seite seien in der Mehrheit der Kitas nur einzelne pädagogische Fachkräfte vorhanden, die vermeintliche Kompetenz und das „Zutrauen“ haben, mit Kindern zu singen und zu musizieren.

Insbesondere für Erzieherinnen ohne eigenen biografischen Zugang zur Musik sei die pädagogische Arbeit mit Musik eine große Herausforderung. Die irrtümliche Vorstellung, dass nur „begabte“ oder ausgebildete Fachkräfte mit den Kindern „richtig“ musikalisch arbeiten können, führe letztlich dazu, dass ein Großteil der Kinder im Kita-Alltag nicht oder nur wenig mit Musik in Berührung kommt.

Schon lange würden Kitas deshalb auch mit Anbietern von außen kooperieren, indem externe Musikfachkräfte in die Kitas kommen, um zeitlich begrenzt mit den Kindern musikalisch zu arbeiten. Diese oft eher strukturierten, an Vermittlung orientierten musikalischen Situationen weisen aus Sicht der Autorinnen und Autoren vor allem für die musikpädagogische Arbeit mit den Jüngsten unterschiedliche Problemlagen auf, da es für Kinder in der frühen Kindheit einer Erfahrungs- und Lernumgebung bedürfe, die Gelegenheiten schafft, Erfahrungen unmittelbar und „aus erster Hand“ zu machen; die nicht vorgibt, was und wie erfahren und gelernt wird, sondern einen im höchsten Maße offenen Raum schafft, selbst zu entdecken, zu erforschen und zu gestalten. Derartige unmittelbare bzw. „unvermittelte“ Erfahrungen setzten erst Lernprozesse in der frühen Kindheit in Gang. Die externen musikpädagogischen Angebote in der Kita-Praxis könnten aufgrund ihrer zeitlichen Begrenzung, ihrer Organisationsstruktur und der Rahmenbedingungen derartige förderliche Lernumgebungen nur schwer herstellen und deshalb nur begrenzt dazu beitragen, den Alltag der Kinder mit Musik zu durchdringen. Darüber hinaus seien die externen Angebote in vielen Fällen noch nicht ausreichend in die Gesamtkonzeption der Kita eingebunden. Eine gute Abstimmung der Musikpädagogen / Musiker mit den Erzieherinnen und Erziehern der Kitas sei jedoch sowohl im Hinblick auf die Inhalte als auch auf die Struktur des Angebots notwendig. Viele externe Anbieter, vor allem Musikschulen, hätten die Problemlagen inzwischen erkannt und sich auf den Weg gemacht, ihre Angebote entsprechend anzupassen, doch gebe es bei anderen Akteuren noch deutlichen Entwicklungsbedarf.

Zusammenfassend werden folgende Ziele von MIKA verfolgt :

  • umfassende Stärkung der musikalischen Aktivitäten in Kitas, um die individuelle Musikalität von Kindern zu unterstützen und damit deren Entwicklungs- und Bildungsprozesse optimal begleiten zu können,
  • Unterstützung und Entfaltung der musikalischen Kompetenz der pädagogischen Fachkräfte in den Kitas,
  • Förderung einer musikalischen Bildungsarbeit, die allen Kindern ermöglicht, unabhängig von ihrer individuellen Disposition einen chancengerechten, partizipativen, alters- und situationsgerechten Zugang zu Musik zu bekommen,
  • Unterstützung der Kitas auf ihrem Weg zu einer „lernenden Organisation“,
  • Vernetzung der Arbeitsfelder Kita und Musikpädagogik mit dem Ziel einer fachlich ineinandergreifenden, optimal abgestimmten Kooperation sowie gegenseitiger Anerkennung und Wertschätzung der jeweiligen fachlichen Expertise.

Wichtige Ergebnisse

Kennzeichen von MIKA

MIKA setzt eine neugierige und forschende Haltung der pädagogischen Fachkräfte voraus: Diese sollten Mut zu Neuem haben, Unsicherheit und „Unperfektes“ wertschätzen, in kreativen Prozessen denken und Entwicklungschancen bei sich selbst und bei den Kindern entdecken können. Die pädagogischen Fachkräfte sollten sich zusammen mit den Kindern auf den Weg machen und Lernprozesse gemeinsam gestalten. Bei MIKA steht nicht die musikalische Expertise und Intention der pädagogischen Fachkraft im Vordergrund. Vielmehr soll sich das musikalische Handeln an den Interessen, den Vorerfahrungen sowie an der kulturellen und sozialen Herkunft des Kindes orientieren und dort stattfinden, wo das Kind spontan Situationen im Kita-Alltag zum Musizieren nutzt. Damit soll die musikalische Aktivität unterschiedliche Bildungsbereiche streifen und sie miteinander verbinden. Die pädagogische Fachkraft sollte dem Kind als Gestaltungspartner zur Verfügung stehen, indem sie die Impulse der Kinder aufgreift und selbst Impulse in das gemeinsame Musizieren einbringt.

Über die Sensibilisierung für und einen weiten Blick auf die Welt der Klänge und Töne soll MIKA die pädagogischen Fachkräfte in den Einrichtungen darin unterstützen, sich ihrer eigenen musikalischen Talente bewusst zu werden, die eigenen Kompetenzen zu kennen, ein weiterführendes gestalterisches Bewusstsein zu entwickeln und selbstbewusst den musikalischen Herausforderungen zu begegnen.

MIKA soll – über die individuellen Entwicklungschancen hinaus – aber auch Veränderungsprozesse auf allen Ebenen des Systems Kita anstoßen. Ausgangspunkt ist, dass erst durch den Einbezug aller am System Kita beteiligten Akteure eine nachhaltige und Bildungsbereich übergreifende Verankerung von Musik im Alltag erfolgen kann. Geprägt durch diese systemische Sichtweise wurde daher eine Unterstützungsstruktur entwickelt, die Kitas und die darin arbeitenden Pädagogen und Pädagoginnen bei der Umsetzung von MIKA begleitet, z.B. durch Netzwerke pädagogischer Fachkräfte und eine Vernetzung der Praxis mit der (hoch-)schulischen Ausbildung.

Die Leitgedanken von MIKA

Musikverständnis:

  • Basis ist ein offener Musikbegriff, der unterschiedlich gefüllt werden kann: Es findet keine pädagogische Bewertung musikalischer Ausdrucksformen statt, sondern es werden vielfältige musikalische Anknüpfungspunkte für pädagogische Fachkräfte bei der Arbeit mit Kindern geschaffen.
  • Es wird auf zwei Wurzeln musikalischer Praxis Bezug genommen. Zum einen werden die Kinder beim schöpferischen Erfinden und Gestalten ihrer eigenen musikalischen Werke begleitet. Dabei kann jedes Kind seinen persönlichen musikalischen Ausdruck und seien individuelle Musikalität entwickeln. Zum anderen erhalten die Kinder die Gelegenheit, sich in „überlieferte Musik“ einzubetten, an ihr teilzuhaben und sie sich zu eigen zu machen. Das tradierte musikalische Kulturgut wird somit nicht im engeren Sinne „gelehrt“.
  • Im Mittelpunkt stehen die Lernwege der Kinder. Musikalische Praxis kann unmittelbar in mathematische Experimente oder Bewegungserfahrungen oder Sprachgestaltung etc. übergehen.
  • Musikalischer Ausdruck und Musikerfahrungen sind geprägt von Alltagsnähe und Lebensweltorientierung, dem Erleben von Selbstwirksamkeit, der Wertschätzung von (kultureller) Vielfalt und Unterschiedlichkeit, Inklusion, Partizipation, Dialog und Kompetenzorientierung.

Bild vom Kind:

  • Grundgedanke ist, dass alle Kinder von Geburt an musikalisch aktiv sind und musikalische Klangwelten erforschen möchten.
  • Das Kind sollte die Möglichkeit haben, seine (musikalischen) Bildungsprozesse aktiv mitzugestalten, seine Ideen und Empfindungen zum Ausdruck zu bringen und sich selbst als Schöpfer oder Schöpferin von Musik zu erfahren.
  • Bildung wird als Aneignungsprozess verstanden, mit dem sich das Kind ein Bild von der Welt macht, sie verantwortlich mitgestaltet und sich dadurch als selbstwirksam erlebt (Hamburger Bildungsempfehlungen 2012). Über das Spiel mit Musik können Kinder Kontakt zu ihrer Lebenswelt herstellen und erleben.
  • Es wird davon ausgegangen, dass die Möglichkeit zur Selbstbildung die Arbeit des Kindes an seiner eigenen Bestimmung unterstützt.

Rolle der pädagogischen Fachkräfte:

Die in Kitas arbeitenden Pädagogen und Pädagoginnen werden als Begleiterinnen und Begleiter von Bildungsprozessen verstanden. Dieses Konzept soll sich auch in der pädagogischen Haltung wiederfinden. Die pädagogische Fachkraft

  • begleitet das Kind auf seinen persönlichen Bildungswegen,
  • orientiert sich dabei an den Themen und Interessen des Kindes und schafft den Freiraum, diesen nachgehen zu können,
  • macht sich gemeinsam mit dem Kind in einer forschenden und entdeckenden Haltung auf den Weg und begleitet es beim Explorieren, Entwickeln und Gestalten von eigenen musikalischen Werken,
  • steht dem Kind als stabile und zuverlässige Bezugs- und Ansprechperson zur Verfügung, die Vertrauen und Sicherheit schenkt sowie Kontinuität gewährleistet,
  • gibt dem Kind aktive und wertschätzende Anwesenheit und Aufmerksamkeit, sodass es die notwendige „Resonanz“ erfährt, um seine eigenen Bildungsprozesse zu initiieren,
  • gibt Impulse, gestaltet Räume und stellt anregendes Material zur Verfügung.

Das System Kita:

Es wird deutlich gemacht, dass die Umsetzung von MIKA nur gelingen kann, wenn die gesamte „Organisation Kita“ entwickelt wird. Dafür brauche es Methoden der Organisationsentwicklung und eventuell unterstützende Strukturen wie Fachberatung. Dafür werden in einer systemischen MIKA-Multiplikatorenfortbildung musikalisch vorerfahrene pädagogische Fachkräfte geschult, die den Einrichtungen mit Coaching-Angeboten sowie Angeboten zur Praxisbegleitung und Fortbildungen zur Seite stehen können.

Vernetzung als Schlüssel zur Entwicklung:

Als weitere entscheidende Komponente für die erfolgreiche Umsetzung des MIKA-Konzeptes wird das (musikalische) Selbstverständnis und Selbstvertrauen der Pädagogen und Pädagoginnen bezüglich ihrer eigenen Kompetenzen betrachtet. Beides bedürfe häufig der Stärkung. Deswegen seien Aus-, Fort- und Weiterbildung maßgebliche Hebel zur Stärkung und Erweiterung der Kompetenzen der pädagogischen Fachkräfte. Eine Vernetzung der Aus-, Fort- und Weiterbildungsinstitutionen untereinander und mit der Praxis und den Trägern führe zu einer Erhöhung der Qualität. Eine Vernetzung der verschiedenen Akteure aus dem Feld der musikalischen Bildung, wie z.B. Musikschulen, freischaffende Musikerinnen und Musiker, Musikpädagogen und Musikpädagoginnen, Orchester, Theaterhäuser fördere das gegenseitige Vertrauen und den Austausch von Erfahrungen und Ideen.

Die Handelnden im System Kita und seinem Umfeld bräuchten Netzwerke, in denen sie sich austauschen, beraten und weiterentwickeln können. Dadurch könne eine kritische Reflexion und Weiterentwicklung des MIKA-Ansatzes stattfinden. Die Einbeziehung und Zusammenarbeit mit den Eltern schaffe Transparenz und Akzeptanz und biete so die Chance, dass die Kinder über den Kita-Alltag hinaus auch zu Hause „offene Ohren“ für ihre Musik finden.

Leitlinien für die MIKA-Praxis

1. Drei konzeptionelle Wurzeln:

  • Musikalische Aktivität
  • Inklusives Denken
  • Partizipatives Handeln

2. Aufgaben für MIKA-Praktikerinnen und -Praktiker:

  • Die Momente musikalischer Aktivität identifizieren
  • Das Explorations- und Gestaltungspotenzial einer musikalischen Situation erkennen
  • Erfahrungen erfassen und über den musikalischen Tellerrand hinausschauen
  • Den Kindern Urheberschaft ermöglichen und diese würdigen
  • Sich selbst in Rollenvielfalt üben
  • Im Augenblick handeln

MIKA verfolgt das Ziel, allen Kita-Kindern die Chance zu bieten, sich täglich als musikalisch aktiv zu erleben und eigene musikalische Interessen und Neigungen weiterzuentwickeln.