Studie mit Handlungsempfehlungen

Nachschulische Bildung 2030. Trends und Entwicklungsszenarien

Thema

Entwicklung der nachschulischen Bildung

Herausgeberschaft

Bertelsmann Stiftung

Autoren/Autorinnen

Lars Ties/Clemens Wieland/Naemi Härle, Susanne Heinzelmann/Claudia Münch/Marcel Faaß/Markus Hoch

Erscheinungsort

Gütersloh

Erscheinungsjahr

2015

Stiftungsengagement

Bertelsmann Stiftung

Literaturangabe

Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Nachschulische Bildung 2030. Trends und Entwicklungsszenarien. Gütersloh 2015.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Hintergrund der Studie sind die Veränderungen auf dem deutschen Ausbildungsmarkt: 2013 gab es erstmals mehr Studienanfängerinnen und -anfänger als junge Menschen, die eine Ausbildung im dualen System begonnen haben (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014). 1999 waren es noch mehr als doppelt so viele junge Menschen, die – im Vergleich zum Studium – eine duale Ausbildung aufnahmen. Diese Entwicklung hat eine Diskussion über die nachschulische Bildung und das künftige Verhältnis von beruflicher und akademischer Bildung in Deutschland ausgelöst. Auf der einen Seite wird angesichts wachsender Qualifikationsanforderungen auf dem Arbeitsmarkt eine weiter ansteigende Akademikerquote positiv gesehen, auf der anderen Seite besteht die Befürchtung, dass nicht genügend beruflich Qualifizierte für die Wirtschaft zur Verfügung stehen.

Welche künftige Entwicklung ist zu erwarten? Ziel der Studie ist es, einen Korridor aufzuzeigen, innerhalb dessen sich die nachschulische Bildungslandschaft entwickeln würde, wenn sich die – in den letzten zehn bis 20 Jahren zu beobachtenden – Trends weiter fortsetzen. Dafür werden neben einer Fortschreibung der bislang erkennbaren Trends bis 2030 („Basisszenario“) zwei alternative Entwicklungen mit abweichenden Annahmen berechnet („Alternativszenarien 1 und 2“).

Grundlage für die quantitativen Berechnungen der Szenarien bildet eine aus öffentlichen Statistiken zusammengestellte Datenbasis. Aus den verschiedenen Szenarien werden schließlich Erfordernisse für die Arbeits- und Bildungspolitik in den nächsten Jahren abgeleitet.

Die Autoren der Studie sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bertelsmann Stiftung sowie der Prognos AG – Europäisches Zentrum für Wirtschaftsforschung und Strategieberatung. Prognos entwickelte und quantifizierte die dargestellten Szenarien.

Wichtige Ergebnisse

Ergebnisse der Szenarienanalyse

Szenario 1: Der Trend zu akademischen Bildungsabschlüssen setzt sich weiter fort.

Hier wird davon ausgegangen, dass die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger dauerhaft höher ist als die Zahl der Menschen, die eine duale Ausbildung beginnen werden. Der Abstand wird sich bis 2030 eher noch vergrößern. Dahinter stehen drei Entwicklungen:

  • Durch den demografischen Wandel wird es insgesamt weniger junge Menschen geben, die eine Berufsausbildung oder ein Studium aufnehmen können.
  • Die demografische Entwicklung wirkt sich negativ auf die Anfängerzahlen in allen Bereichen der nachschulischen Bildung aus. Im Hochschulbereich wird der Rückgang jedoch durch andere Entwicklungen kompensiert (mehr Studienberechtigte mit hoher Studierneigung, wachsende Zahl von Studierenden aus dem Ausland). In der beruflichen Bildung gibt es diese Kompensationsmechanismen nicht.
  • Immer mehr Jugendliche eines Jahrgangs erwerben eine Studienberechtigung. Die Studienberechtigtenquote wächst bereits seit Jahrzehnten kontinuierlich: Zwischen 1993 und 2013 ist dieser Anteil von 33 Prozent auf über 57 Prozent gestiegen.

Die steigende Studienberechtigtenquote in Kombination mit einer relativ stabilen Übergangsquote ins Studium führt zu mehr Studierenden und weniger jungen Menschen in einer beruflichen Ausbildung.

Szenario 2: Junge Menschen wünschen sich sowohl einen Praxisbezug in der Ausbildung als auch höheren Bildungsabschluss.

Studiengänge mit einem erhöhten Praxisbezug und einem stärker berufsvorbereitenden Charakter, wie beispielsweise das Studium an Fachhochschulen oder duale Studiengänge, verzeichnen in allen drei Szenarien die einzigen absoluten Zuwächse an Anfängerinnen und Anfängern bis 2030. Fachhochschulen zeigen bereits seit 20 Jahren einen Wachstumstrend, der durch mehrere Faktoren zu erklären ist:

  • An Fachhochschulen werden mehr praxis- und anwendungsorientierte Studiengänge angeboten als an Universitäten. Zudem sind die Zugangsvoraussetzungen für ein Studium an einer Fachhochschule geringer (Fachhochschulreife im Vergleich zum Abitur). Diese Umstände machen ein Fachhochschulstudium für junge Menschen attraktiver.
  • Fachhochschulen haben ihre Kapazitäten im Vergleich zu Universitäten stark ausgebaut: Zwischen 1995 und 2012 wurden 81 Fachhochschulen neu gegründet, davon 72 in privater Trägerschaft, im gleichen Zeitraum nur 18 Universitäten.
  • Fachhochschulen sind flexibler und kostengünstiger in der Gestaltung von Studiengängen. Sie können diese entweder inhaltlich an einem spezifischen Bedarf vonseiten der Unternehmen ausrichten oder in der Organisation an die Wünsche und Bedürfnisse bestimmter Gruppen von Studierenden anpassen (duale Studiengänge, Teilzeit- und berufsbegleitende Studiengänge).

Szenario 3: Innerhalb des beruflichen Bereichs ist vor allem die duale Ausbildung rückläufig.

Innerhalb des beruflichen Bereichs kommt es ebenfalls zu Verschiebungen, denn die Anfängerzahlen in dualen Ausbildungen gehen in allen drei Szenarien stärker zurück als in vollzeitschulischen Ausbildungen.

In den schulischen Ausbildungen fällt der Rückgang geringer aus, weil die Gruppe der Erziehungs-, Gesundheits- und Sozialberufe den größten Anteil an Anfängerinnen und Anfängern stellt und die Ausbildungszahlen in diesen Berufen schnell anwachsen. Aller Voraussicht nach wird es auch in Zukunft einen wachsenden Bedarf in den Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialberufen geben. Unklar ist jedoch, inwieweit sich diese Ausbildungen akademisieren und in Zukunft als Studiengang angeboten werden. In einigen Berufen existieren schulische Ausbildung und Studiengang bereits nebeneinander. Offen ist, ob und inwieweit in diesen Berufen Ausbildungsabsolventinnen und -absolventen von jungen Menschen mit einem abgeschlossenen Studium auf dem Arbeitsmarkt verdrängt werden.

Herausforderungen für die Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik:

Die Autorinnen und Autoren der Studie arbeiten einen gemeinsamen Trend der drei Szenarien heraus: Das nachschulische Bildungssystem in Deutschland steht quantitativ und qualitativ vor gravierenden Veränderungen, die Ausdruck eines (nicht aufhaltbaren) Strebens nach akademischen Bildungsabschlüssen sind.

Diese Veränderungen bringen demnach zwei zentrale Herausforderungen mit sich:

  • Die versäulten Strukturen des nachschulischen Bildungssystems mit seiner traditionell starken Trennung von beruflicher und akademischer Bildung erschweren individuelle Bildungswege und Wechsel zwischen beiden Bildungsbereichen. Diese Strukturen müssen an die neue Realität einer zunehmenden Verbindung von beruflicher und akademischer Bildung angepasst werden.
  • Prognosen zum zukünftigen Fachkräftebedarf der deutschen Wirtschaft gehen davon aus, dass durch die stark abnehmenden Anfängerzahlen in der beruflichen Ausbildung nicht mehr so viele beruflich Qualifizierte wie nötig in den Arbeitsmarkt eintreten, sodass sich eine immer größer werdende Lücke an Fachkräften auf mittlerem Qualifikationsniveau ergibt. Davon werden voraussichtlich das Handwerk und einfache Dienstleistungsberufe besonders stark betroffen sein.

Handlungsempfehlungen

Nach Ansicht der Autorinnen und Autoren müssen Berufsbildung und Hochschulbildung gemeinsam als ein System nachschulischer Bildung in den Blick genommen werden. Die Bemühungen sollten in folgenden Bereichen intensiviert werden:

  • Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung verbessern,
  • neue Modelle verzahnter Bildungsgänge entwickeln,
  • Kooperation zwischen Berufsbildungs- und Hochschulpolitik ausbauen,
  • Vorteile der dualen Ausbildung für berufsqualifizierende Studiengänge nutzen,
  • Zuwanderung in Ausbildung ermöglichen,
  • Ausbildung für neue Zielgruppen öffnen,
  • klare berufliche Karriereperspektiven für Studienabbrecher und -abbrecherinnen bieten.