Studie

Politische Bildung in der Schule

Thema

Politische Bildung in der Schule - Unterschiede in den Bundesländern

Herausgeberschaft

Friedrich-Ebert-Stiftung

Autoren/Autorinnen

Valerie Lange

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2018

Stiftungsengagement

Friedrich-Ebert-Stiftung

Literaturangabe

Valerie Lange: Politische Bildung in der Schule – ein Statusbericht. Ergebnisse einer bundesweiten Befragung der Kultusministerien. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung 2018.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass rechtspopulistische und demokratiefeindliche Strömungen in den letzten Jahren in Deutschland an Zustimmung gewonnen haben. Der Einzug der AfD in die Parlamente von Bund und Ländern markiert einen Paradigmenwechsel in der politischen Landschaft. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht wird vor einem Anstieg politisch motivierter Gewalttaten von links und rechts gewarnt. Politische Bildung in der Schule kann nach Ansicht der Autorin als wirksames Mittel gegen demokratiefeindliche Tendenzen eingesetzt werden: Innerhalb und außerhalb des Unterrichts könne sie der „Entwicklung politischer Mündigkeit“ dienen und dazu beitragen, eine gemeinsame, tragfähige demokratische Wertebasis in der Gesellschaft auszubilden.

Für einen Überblick über den Stand der schulischen politischen Bildung in den Bundesländern hat das Netzwerk Bildung der Friedrich-Ebert-Stiftung bei den Kultusministerien 2018 nachgefragt,

  • in welchen Fächern politische Bildung in der Sekundarstufe I Unterrichtsinhalt ist,
  • wie viele Unterrichtsstunden erteilt werden,
  • welche Programme außerunterrichtlicher politischer Bildung es gibt,
  • welche Angebote der Lehrerfortbildung bestehen.

Auf diese Weise wurde der Stellenwert politischer Bildung im Schulalltag ermittelt und danach gefragt, ob sie ihrer großen Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für eine stabile Demokratie gerecht wird. Die Rückmeldungen aus den Ministerien wurden ausgewertet und bilden die Grundlage für die vorliegende Publikation.

Wichtige Ergebnisse

Wichtige Ergebnisse der Umfrage unter Kultusministerien

1. Politische Bildung als Unterrichtsinhalt

In vielen Bundesländern ist politische Bildung kein eigenständiges Unterrichtsfach. Vielmehr werden Inhalte politischer Bildung in Fächern mit unterschiedlicher Fachbezeichnung unterrichtet. Die Inhalte und der Fächerzuschnitt unterscheiden sich ebenfalls in den Bundesländer.

Nur in zwei Ländern wird politische Bildung in allen Schularten und Jahrgangsstufen der Sekundarstufe I als eigenständiges Unterrichtsfach angeboten: in Baden-Württemberg (Gemeinschaftskunde) und Sachsen-Anhalt (Sozialkunde). In den Ländern Bayern, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen ist politische Bildung für einige Schulformen und Jahrgangsstufen der Sekundarstufe I als eigenständiges Unterrichtsfach vorgesehen, für andere als Verbundfach.

In Berlin, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen werden Inhalte der politischen Bildung über alle Schulformen und Jahrgangsstufen hinweg in einem Verbundfach unterschiedlichster Benennung und Kombination mit anderen Schwerpunkten unterrichtet. Die Kultusministerien in Bayern, Brandenburg, Hessen und Thüringen betonen, dass politische Bildung eine fächerübergreifende Aufgabe sei, was zum Teil mit Rahmenkonzepten unterlegt wird (z.B. „Gesamtkonzept für die Politische Bildung an bayerischen Schulen“ 2017). Auch die Kultusministerkonferenz hat in ihrem Beschluss zur „Stärkung der Demokratieerziehung“ (2009) deutlich gemacht, dass politische Bildung eine fächerübergreifende Aufgabe zu verstehen ist.

2. Anzahl der Unterrichtsstunden in politischer Bildung

In allen Bundesländern ist politische Bildung in der Sekundarstufe I Unterrichtsbestandteil. Allerdings kann nicht eindeutig ermittelt werden, wie viele Unterrichtsstunden in politischer Bildung Schülerinnen und Schüler tatsächlich erhalten. In manchen Ländern wird sie sowohl als eigenständiges Fach als auch im Verbund mit anderen Fächern unterrichtet, in manchen Ländern gilt eine Kontingentstundentafel, d.h. das Kultusministerium legt zwar die Gesamtzahl der Jahreswochenstunden

in einem Fächerfeld fest, doch entscheidet die Schule selbst, wie diese Stunden auf die beteiligten Fächer und Schuljahre verteilt werden. Letztlich gilt für alle Bundesländer, dass nur Sollwerte ermittelt werden können – Unterrichtsausfälle oder (durchschnittliche) Fehlzeiten der Schülerinnen und Schüler sind ebenso wenig berücksichtigt wie die individuelle thematische Schwerpunktsetzung der jeweiligen Lehrkraft.

Trotz dieser Einschränkungen weist die Autorin darauf hin, dass die ermittelten Werte aussagekräftig sind. Zum einen ließen sich deutliche Unterschiede in der Anzahl der erteilten Wochenstunden in politischer Bildung zwischen den Bundesländern und zwischen den Schulformen feststellen. Sieben der fünfzehn betrachteten Bundesländer räumten der politischen Bildung an Gymnasien mehr oder genauso viel Zeit ein wie an den weiteren Schulformen. Über alle Schulformen hinweg erhielten Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I in Nordrhein-Westfalen den meisten Unterricht in politischer Bildung, gefolgt von Bayern und Bremen. Im Bundesländervergleich werden den Angaben der Kultusministerien zufolge Inhalte politischer Bildung im Unterricht am wenigsten häufig in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Berlin behandelt.

Im Durchschnitt erhalten Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I die folgende Anzahl von Unterrichtsstunden in politischer Bildung pro Woche:

  • 0,73 Stunden in Schulformen/Bildungsgängen, die bis zum ersten allgemeinbildenden Abschluss führen,
  • 0,66 Stunden in Schulformen/Bildungsgängen, die bis zum Mittleren Abschluss führen,
  • 0,60 Stunden in den integrierten Schulformen, die bis zur Hochschulreife führen (können),
  • 0,78 Stunden an den Gymnasien.

Setzt man die für die politische Bildung eingesetzte Unterrichtszeit in den Jahrgangsstufen 5-10 in Beziehung zur gesamten Unterrichtszeit in der Sekundarstufe I, so erhält man einen Einblick in die Bedeutung politischer Bildung in der Gesamtstundentafel der Sekundarstufe I. Dabei wird deutlich, dass Inhalte politischer Bildung im Unterricht in allen Bundesländern nur eine untergeordnete Rolle spielen; sie machen im Schnitt etwa 2,3 Prozent aller Unterrichtsinhalte aus, mit denen sich Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I beschäftigen.

Ein weiteres Ergebnis aus den Rückmeldungen der Kultusministerien betrifft den Unterricht zu politischer Bildung in den Jahrgangsstufen 5 und 6: Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen verzichten darauf, in diesen Jahrgangsstufen Inhalte politischer Bildung in die Stundentafeln aufzunehmen. In Berlin, Niedersachsen und Saarland gilt dies für einige Schulformen.

3. Außerunterrichtliche politische Bildung in der Schule

Die Autorin weist darauf hin, dass sich schulische politische Bildung nicht nur auf den Fachunterricht beschränkt. Darüber hinaus gebe es zahlreiche Angebote und Möglichkeiten außerunterrichtlicher politischer Bildung. Diese Projekte, die in der Regel von freien Trägern der politischen Bildung angeboten werden, setzten darauf, dass Schülerinnen und Schüler Demokratie durch Erfahrungen und durch das Einüben demokratischen Handelns im Alltag lernen. Eine Übersicht gibt Einblick in die Programme außerunterrichtlicher politischer Bildung, die die Schulen in den einzelnen Bundesländern nutzen können. Aufgeführt sind nur die von den Kultusministerien benannten Angebote, sodass es sich nicht um eine vollständige Auflistung handelt. Es sei jedoch davon auszugehen, dass diese Programme im jeweiligen Bundesland besondere Bedeutung haben. Darüber hinaus gebe es im gesamten Bundesgebiet noch unzählige weitere Projekte verschiedenster Träger und unterschiedlichster Ausrichtung, die der außerunterrichtlichen politischen Bildung in der Schule zuzuordnen sind. Die meisten der angegebenen Programme erreichten Schulen bundesweit. Die Angebote außerunterrichtlicher politischer Bildung zeigen ein weites Spektrum: Sie reichen von einzelnen Projekten, die außerunterrichtliche Lernorte für den Politikunterricht bieten (z.B. die Programme in Bayern und Hessen „Lernort Staatsregierung“ und „Im Zentrum der Landespolitik“) über Wettbewerbe (z.B. „Demokratisch handeln“ oder „Jugend debattiert“), bis hin zu Maßnahmen, die den Aufbau einer demokratischen Schulkultur befördern sollen und damit Teil der Schulentwicklung sind. Zu diesen Angeboten ist das am häufigsten genannte Programm „Schulen ohne Rassismus – Schulen mit Courage“ zu zählen. Auch die Schülervertretung und andere Partizipationsorgane in der Schule gehörten zur außerunterrichtlichen politischen Bildung. Festzustellen ist, dass in allen Bundesländern die Schülermitbestimmung auf gesetzlicher oder untergesetzlicher Ebene verankert ist. Dabei sind die rechtlichen Vorgaben zur Schülermitbestimmung in den Bundesländern unterschiedlich ausgestaltet: Während z.B. das Berliner Schulgesetz festlegt, dass „die Schülerinnen und Schüler einer Klasse (...) ab Jahrgangsstufe 3 spätestens einen Monat nach Beginn des Unterrichts im neuen Schuljahr zwei gleichberechtigte Klassensprecherinnen oder Klassensprecher sowie ab Jahrgangsstufe 7 zwei Vertreterinnen oder Vertreter für die Klassenkonferenz [wählen]“ müssen, ist in Niedersachsen die Wahl eines Klassensprechers oder einer Klassensprecherin erst ab Klasse 5 verpflichtend vorgesehen (vgl. § 73 NSchG). Bemerkenswert sei weiter, dass zwei Länder – Sachsen und Sachsen-Anhalt – Regelungen zur Schülermitbestimmung nur auf untergesetzlicher Ebene getroffen haben.

4. Lehrkräfte in der politischen Bildung

Sowohl unterrichtliche als auch außerunterrichtliche politische Bildung wird von Lehrkräften durchgeführt, organisiert und begleitet. Die Autorin macht darauf aufmerksam, dass ihre Qualifikation in politischer Bildung somit von entscheidender Bedeutung ist, wenn es darum geht, ob die Schule den oben skizzierten Bildungs- und Erziehungsauftrag der Heranbildung mündiger Bürgerinnen und Bürger erfüllen kann. Gerade (aber nicht nur) in den Ländern, die politische Bildung als Verbundfach unterrichten, stelle sich die Frage, ob die eingesetzten Lehrkräfte für den Unterricht in politischer Bildung ausgebildet sind. Die meisten Bundesländer geben an, keine Auskünfte über den Anteil an fachfremd erteiltem Unterricht in politischer Bildung geben zu können. Manche Länder weisen darauf hin, dass die Einsatzdaten von Lehrkräften nicht zentral erfasst werden und nur über eine Analyse aller Unterrichtsverteilungspläne der Schulen die Anzahl der fachfremd unterrichtenden Lehrkräfte festgestellt werden können. Die Rückmeldungen aus einigen Ländern könnten jedoch einen exemplarischen Überblick über den Anteil an fachfremd unterrichteter schulischer politischer Bildung geben, so die Autorin. Daraus ließe sich schließen, dass in den Bundesländern der Anteil fachfremden Unterrichts in politischer Bildung hoch ist. Auch deshalb seien Angebote der Lehrkräftefortbildung zur politischen Bildung bedeutsam. Fortbildungen werden in den Ländern sowohl von staatlicher Stelle, in der Regel den in den Ländern unterschiedlich benannten Instituten für Lehrerbildung, als auch von privaten Trägern durchgeführt. Die Fortbildungsangebote sind vielfältig.

In einem Überblick zu Fortbildungsangeboten für Lehrkräfte zur politischen Bildung in den einzelnen Bundesländern wird deutlich, welche Angebote aus Sicht der Kultusministerien besondere Bedeutung besitzen und welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Bundesländern bestehen. Deutlioch wird, dass insbesondere in der Fortbildung zur außerunterrichtlichen politischen Bildung Lücken bestehen. Fortbildungsveranstaltungen, die sich mit der Entwicklung einer demokratischen Schulkultur als Aufgabe der Schulentwicklung beschäftigen, wurden von den Kultusministerien nicht genannt. Nur Berlin und Bremen gaben Fortbildungsangebote an, die sich mit Strategien gegen Salafismus und Islamismus befassen. Das hessische Kultusministerium ist das einzige, das ein Fortbildungsangebot zu den Herausforderungen der Digitalisierung für die politische Bildung benennt. Und nur in den Rückmeldungen der Kultusministerien des Saarlands und Sachsen-Anhalts werden Fortbildungsveranstaltungen aufgegriffen, die sich mit dem Thema Flucht auseinandersetzen.

Fazit

Die Autorin weist darauf hin, dass sich am Schulfach politische Bildung der Bildungsföderalismus am anschaulichsten darstellen lässt: Zum einen gebe es in den Bundesländern die unterschiedlichsten Fächerkombinationen und -ausrichtungen und es differiere in den Bundesländern auch deutlich die Anzahl der Stunden, in denen politische Bildung unterrichtet wird. Darüber hinaus seien aber auch Unterschiede zwischen Schulen und Klassen festzustellen: In Verbundfächern werde die Gewichtung der Lerninhalte maßgeblich von der Lehrkraft bestimmt. Da ein signifikanter Anteil der Lehrkräfte, die politische Bildung unterrichten, das Fach nicht studiert haben, könne davon ausgegangen werden, dass Inhalte politischer Bildung im Unterricht häufig nicht gleichberechtigt mit anderen Schwerpunkten, die den Kernfächern der Lehrkraft entsprechen, unterrichtet werden. Da in einigen Ländern die Schulen selbst über die Gewichtung politischer Bildung in der Stundentafel entscheiden, sei damit auch kein politisches Steuerungsinstrument wie etwa Bildungsstandards verknüpft.

Die Gestaltung der außerunterrichtlichen politischen Bildung sei Aufgabe der einzelnen Schule. Aus den Rückmeldungen der Kultusministerien ließe sich schließen, dass nur wenige Schulen an Programmen der außerunterrichtlichen politischen Bildung teilnehmen, die diese als Teil der Schulentwicklung begreift.

Es wäre wünschenswert, dass das Instrument der außerunterrichtlichen Bildung strategischer und weniger zufällig eingesetzt wird – und die Schulen, etwa durch Begleitung bei der Schulentwicklung, bessere Unterstützung erhalten. Gleiches gelte für Fortbildungsveranstaltungen: Es wäre wichtig, dass die Lehrkräfte zu aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen, denen mit politischer Bildung zu begegnen wäre, an entsprechenden Weiterbildungsangeboten teilnehmen. Aus den Rückmeldungen der Kultusministerien werde an einigen Stellen deutlich, etwa dem Anteil des fachfremden Unterrichts oder der Anzahl der Stunden, die in politischer Bildung tatsächlich unterrichtet werden, dass in den Ministerien ein Informationsdefizit über den Stand der politischen Bildung im jeweiligen Bundesland herrscht.

Resümee

Politischer Bildung wird eine große Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für eine stabile Demokratie zugeschrieben. Die Autorin stellt fest, dass die aktuelle Stellung politischer Bildung im Schulalltag diesem hohen Stellenwert (noch) nicht gerecht wird.