Studie mit Handlungsempfehlungen

„Quelle: Internet?“ Digitale Nachrichten- und Informationskompetenzen der deutschen Bevölkerung im Test

Thema

Medienkompetenzen der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland

Herausgeberschaft

Stiftung Neue Verantwortung (Hg.)

Autoren/Autorinnen

Anna-Katharina Meßmer/Alexander Sängerlaub/Leonie Schulz

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2021

Stiftungsengagement

Stiftung Neue Verantwortung

Literaturangabe

Anna-Katharina Meßmer/Alexander Sängerlaub/Leonie Schulz: „Quelle: Internet?“ Digitale Nachrichten- und Informationskompetenzen der deutschen Bevölkerung im Test. Hg. von Stiftung Neue Verantwortung e.V., Berlin, März 2021.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass eine funktionierende Demokratie auf gut informierte Bürgerinnen und Bürger angewiesen ist– das werde in Pandemien, ökonomischen Krisen oder Wahlkämpfen besonders deutlich. Dabei seien Medienkompetenzen zentral: Die Menschen müssten in der Lage sein, Nachrichten zu verstehen, einzuordnen und zu hinterfragen. Diese Fähigkeit könne Einfluss darauf haben, ob Menschen anfällig für Populismus werden, Vertrauen in Institutionen verlieren oder Falschnachrichten an Freundinnen und Freunde und die Familie verbreiten. Nach Ansicht der Autor*innen hat die Nachrichten- und Informationskompetenz der Bevölkerung in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen und ist zu einem kritischen Faktor für Demokratien geworden, da durch den radikalen Medienwandel Journalist*innen sowie Medieninstitutionen ihren Einfluss als Gatekeeper verloren haben. Bürgerinnen und Bürger seien mehr denn je auf sich allein gestellt und müssten bei jeder Nachricht selbst darüber entscheiden, ob eine Quelle oder Information für sie vertrauenswürdig ist, und ob sie sie lesen, liken, oder sogar weiterleiten und mit anderen teilen wollen.

Dieser tiefgreifende Wandel werde sich in den kommenden Jahren in Deutschland weiter verschärfen und zu einer Reihe politischer und gesellschaftlicher Herausforderungen führen. Um darauf reagieren zu können, benötigen Bundes- und Landesregierungen, Bildungs- und Medienpolitik, Schulen- und Bildungseinrichtungen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk ebenso wie andere journalistische Angebote ein genaueres Lagebild.

Als wichtige Fragen werden benannt:

  • Wie gut sind Bürgerinnen und Bürger derzeit in der Lage, den Wandel des Mediensystems zu bewältigen und wo haben Menschen unterschiedlicher Altersgruppen Stärken oder Schwächen?
  • Wie gut gelingt es der Bevölkerung, abseits der traditionellen Zeitung im Netz die Zuverlässigkeit von Quellen zu beurteilen oder Informationen zu erkennen, einzuordnen und zu verifizieren?
  • Wie gut können PR-Inhalte, Desinformationen oder Meinungsbeiträge erkannt und unterschieden werden?
  • Wie kompetent sind Menschen darin, unvollständige Nachrichten oder Interessenskonflikte bei Quellen und Autorinnen und Autoren als solche zu identifizieren?

Bisher fehlten verlässliche Daten zu diesen wichtigen Informations- und Nachrichtenkompetenzen in der deutschen Bevölkerung – und damit die Grundlage für eine gezielte Medienbildungspolitik. Aus diesem Grund hat die Stiftung Neue Verantwortung gemeinsam mit einer Gruppe von Expertinnen und Experten einen Nachrichtenkompetenz-Test entwickelt, der im Herbst 2020 mit einer repräsentativen Stichprobe für die deutschsprachige Bevölkerung mit Internetzugang in Deutschland ab 18 Jahren durchgeführt wurde. Dafür wurden mittels Online-Interviews (Computer Assisted Web Interviews – CAWI) bundesweit 4.194 Internetnutzer*innen ab 18 Jahren befragt und getestet. Der Test geht dabei anhand von Testfragen und -aufgaben auf das gesamte Spektrum der digitalen Nachrichtenkompetenz ein: die Fähigkeit zur Navigation in digitalen Medienumgebungen, die Beurteilung der Qualität von Nachrichten und Inhalten, das Prüfen von Informationen und Quellen, die Diskursfähigkeit sowie Kenntnisse über die Funktionsweise von digitalen Öffentlichkeiten. Es handelt sich um einen der weltweit ersten Tests zu Informations- und Nachrichtenkompetenzen einer gesamten Bevölkerung.

Die Stiftung Neue Verantwortung (SNV) ist ein gemeinnütziger Think Tank für aktuelle politische und gesellschaftliche Fragen neuer Technologien. Das Projekt „Digitale Nachrichten- und Informationskompetenz“ wird unterstützt von der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) und der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LFM NRW).

Wichtige Ergebnisse

Ausgewählte Ergebnisse des Tests

1. Unterschiede zwischen Desinformation, Information, Werbung und Meinung werden teilweise nicht erkannt.  

  • Vielen Befragten fällt es schwer, zwischen verschiedenen Kommunikationsabsichten – Werbung, Information, Desinformation und Meinung – zu unterscheiden. 56 Prozent der Befragten hielten ein Advertorial (Werbeanzeige in der Aufmachung eines redaktionellen Beitrags) trotz Kennzeichnung fälschlicherweise für eine Information. Nur 23 Prozent erkannten richtig, dass es sich um Werbung handelt. Auch eine Falschinformation auf Facebook wurde von nur 43 Prozent der Befragten identifiziert, während 33 Prozent hier fälschlicherweise eine Information sahen. 
  • Ebenfalls kritisch scheint die Unterscheidung zwischen meinungs- und tatsachenorientierten Beiträgen zu sein, vor allem bei journalistischen Beiträgen über politische Entscheidungen: Knapp ein Drittel der Befragten hielt einen Kommentar für eine tatsachenorientierte Berichterstattung, weitere 15 Prozent waren sich hier nicht sicher.  

2. Ob eine Quelle vertrauenswürdig ist, wird oft richtig eingeschätzt. Interessenskonflikte werden seltener erkannt.

  • Mehr als die Hälfte der Befragten (59 Prozent) konnten die Neutralität oder Vertrauenswürdigkeit von Quellen in verschiedenen Fragen einschätzen.
  • Allerdings fällt es ihnen – trotz weiterführender Informationen – oft schwer, die konkreten Interessenskonflikte zu benennen. 65 Prozent der Befragten erkannten zwar, dass der Geschäftsführer eines Flugreisenportals als Autor eines Beitrags zum Thema Fliegen keine neutrale Quelle ist, doch nur die Hälfte der Befragten konnte auch den konkreten Interessenkonflikt benennen.

3. Kennzeichnungsstrategien von Social-Media-Plattformen zu Desinformationen sind bisher kaum wirksam.

  • Die Ergebnisse zeigen immer wieder, dass Plattform-spezifische Hinweise zum Teil wenig wirksam sind, zum Beispiel das Facebook-Label zum Faktencheck einer Falschnachricht oder der Wikipedia-Hinweis auf YouTube zur Finanzierung eines Staatssenders. Maximal ein Viertel der Befragten identifizierte die Markierung als hilfreichen Hinweis bzw. konnte die Information richtig einordnen. 
  • Ähnliche Probleme zeigen sich auch bei Kennzeichnungen auf Nachrichtenseiten. So erkannten nur 7 Prozent der Befragten den Hinweis auf ein Advertorial als Werbekennzeichnung. Und knapp ein Drittel der Befragten identifizierte die Markierung eines Meinungsbeitrags als „Kolumne“ als hilfreichen Hinweis.

4. Menschen zweifeln an der Unabhängigkeit des Journalismus von der Politik.

  • Weit verbreitet ist der Gedanke, dass es gemeinsame Machenschaften zwischen Medien und Politik gibt: Ein Viertel der Befragten teilte „Lügenpresse“-Vorwürfe. 25 Prozent stimmten der Aussage zu, dass Medien und Politik Hand in Hand arbeiten, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren (weitere 28 Prozent sagen teils/teils).
  • 24 Prozent glaubten, dass die Bevölkerung in Deutschland von den Medien systematisch belogen wird (weitere 30 Prozent sagten teils/teils).
  • Nur die Hälfte der Befragten wusste, dass Nachrichten über Bundesminister*innen ohne die Genehmigung des Ministeriums veröffentlicht werden dürfen.
  • Insbesondere die journalistische Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wurde falsch eingeschätzt. Nur gut die Hälfte der Befragten konnte korrekt beantworten, dass Bundestagsabgeordnete nicht darüber entscheiden können, worüber der Rundfunk berichtet. 22 Prozent glaubten hier an eine politische Einflussnahme, weitere 24 Prozent gaben „weiß nicht“ an. 35 Prozent der Befragten dachten zudem, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Staatsministerin für Kultur und Medien unterstellt sei (weitere 40 Prozent gaben hier „weiß nicht“ an).

5. Knapp die Hälfte besteht den Test, nur 22 Prozent der Befragten erreichen insgesamt hohe Kompetenzwerte.

Um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu ermöglichen, wurde für den Test ein Punktesystem entwickelt. Dabei konnten die Befragten maximal 30 Punkte erreichen, wenn sie alle Fragen korrekt beantwortet haben. Erreicht wurden im Durchschnitt 13,3 Punkte und damit weniger als die Hälfte der möglichen Punkte. Dabei lag ein Drittel der Befragten im Mittelfeld. Nur 22 Prozent erreichten hohe oder sehr hohe Kompetenzwerte und mit 46 Prozent lagen die meisten Befragten im Bereich der (sehr) geringen digitalen Nachrichten- und Informationskompetenz.

6. Jüngere Generationen sind kompetenter als Ältere – allerdings abhängig vom Bildungsabschluss.

  • Mit dem Alter sinkt die digitale Nachrichtenkompetenz: je älter, desto geringer die Kompetenzwerte. Oder umgekehrt: Je jünger, desto kompetenter. Neben dem Alter spielt auch die Schulbildung eine zentrale Rolle. 
  • Betrachtet man beides zusammen, zeigt sich besonders bei den 18- bis 39-Jährigen, wie relevant der Bildungsgrad für die Nachrichtenkompetenz ist: Besonders nachrichtenkompetent sind die hochgebildeten Befragten zwischen 18 und 39 Jahren, während die am wenigsten nachrichtenkompetenten Befragten Menschen unter 40 mit niedriger Schulbildung sind.
  • Generell gilt quer durch alle Altersgruppen: je höher die formale Schulbildung, desto höher die Kompetenzwerte und desto höher auch das Vertrauen in Journalismus und Politik.

7. Digitale Nachrichtenkompetenz hängt auch mit demokratischer Grundhaltung zusammen.

Neben Bildung und Alter steht auch die demokratische Grundhaltung der Befragten in Zusammenhang mit digitaler Nachrichten- und Informationskompetenz. Zu dieser demokratischen Grundhaltung gehören im Test die Bereitschaft von Bürger*innen, sich über Politik zu informieren, die Wertschätzung für unabhängigen Journalismus, ein gewisses Grundvertrauen in Demokratie und Medien sowie die Fähigkeit, andere Meinungen zu tolerieren. Menschen, die diesen Einstellungen eher ablehnend gegenüber stehen, zeigten auch eine geringere Nachrichten- und Informationskompetenz.

8. Besonders bei AfD-Anhänger*innen ist die digitale Nachrichtenkompetenz niedrig.

Anhänger*innen verschiedener Parteien schneiden im Test unterschiedlich gut ab: Die besten Ergebnisse erzielten dabei jene von der FDP, dicht gefolgt von den Grünen, danach von der Linken und der SPD. Ziemlich genau im Gesamtdurchschnitt liegen diejenigen der CDU, abgeschlagen auf dem letzten Platz diejenigen der AfD. Der große Unterschied zwischen FDP, Grünen und AfD deutet nach Ansicht der Autor*innen darauf hin, dass an dieser Stelle nicht (nur) die Parteipräferenz entscheidend sein dürfte, sondern Bildung, Alter und/oder grundsätzliche Einstellungen, etwa zu einer vermeintlichen Klüngelei zwischen Medien und Politik, einen Einfluss auf die Nachrichtenkompetenz haben.

Zusammenfassung

Die Gesamtauswertung der Daten zeigt nach Ansicht der Autor*innen, dass Internetnutzer*innen bereits über einige Grundkenntnisse verfügen, um nachrichtenkompetent durch ein vergleichsweise neues Medienumfeld zu navigieren. So hätten beispielsweise mehr als die Hälfte der Befragten erkennen können, wenn eine Quelle nicht neutral oder nicht vertrauenswürdig ist. Den meisten sei auch klar gewesen, dass ein unbekanntes Video nicht ungesehen weitergeleitet werden sollte. Insgesamt hätten die Test-Teilnehmer*innen ein großes Interesse daran gezeigt, akkurate Informationen zu teilen bzw. Falschnachrichten nicht selbst zu verbreiten.

Dies alles sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Befragten insgesamt in fast allen Kompetenz-Bereichen überwiegend mittelmäßig bis schlecht abgeschnitten haben und es oft an ganz konkreten Kenntnissen und Fähigkeiten fehlt. Insofern seien die Ergebnisse dieser Erhebung auch kritisch, weil sie zeigten, dass Bürgerinnen und Bürger viel zu lange damit allein gelassen wurden, sich in immer komplexeren Medienumgebungen selbst zurechtzufinden.

Handlungsempfehlungen

1. Es braucht eine bessere digitale Schul- und Erwachsenenbildung.

Die systematische Vernachlässigung digitaler Fähigkeiten zeigt sich nach Ansicht der Autor*innen insbesondere in der Bildungspolitik – hier gebe es dringenden Nachholbedarf in der Schul- und in der Erwachsenenbildung. Nach wie vor seien digitale Nachrichten- und Informationskompetenzen nicht systematischer Bestandteil der Lehrpläne. Gerade in den Haupt- und Mittelschulen seien Dimensionen von Medienkompetenz, die mit politischer Bildung und Vertrauensbildung in journalistisches Arbeiten zusammenhängen, in den vergangenen Jahrzehnten offenbar weitgehend vernachlässigt worden. Dies sei besonders gefährlich, da junge Menschen mit niedriger Schulbildung nach den vorliegenden Daten die soziodemografische Gruppe bilden, die die niedrigsten Kompetenzwerte aufweist und zugleich auch ein besonders geringes Vertrauen in Politik und Medien zeigt. Hier könne noch gar nicht abgesehen werden, welche weiteren gesellschaftlichen Konfliktlagen diese Polarisierung nach sich ziehen wird. Doch auch bei Erwachsenen und älteren Menschen sei der Bildungsbedarf hoch: Im durchgeführten Test sei die digitale Nachrichtenkompetenz im Schnitt mit dem Alter gesunken – und zwar deutlich und signifikant. Aus diesem Grund sei es dringend notwendig, digitale Nachrichten- und Informationskompetenz systematischer in der Erwachsenenbildung mitzudenken und beispielsweise in berufliche Weiterbildungsangebote aufzunehmen.

2. Es braucht transparente journalistische Angebote.

Insgesamt weisen die schlechten Testergebnisse nach Auffassung der Autor*innen aber nicht nur auf ein Bildungsproblem hin. Es werde auch deutlich, dass es für Bürger*innen schwieriger geworden ist, verlässliche Nachrichten zu erkennen und von anderen Formen der Kommunikation zu unterscheiden. Dies liege zunächst an den Medienangeboten selbst. Es sei sehr wichtig, Leser*innen die Grundsätze des journalistischen Handwerks verständlich und transparent zu vermitteln. Auch müssten journalistische Angebote die Nutzer*innen bei der Einordnung verschiedener Kommunikationsformen wesentlich besser unterstützen. Zwar sei beispielsweise die Trennung von Kommentar und Berichterstattung ebenso im Medienstaatsvertrag geregelt wie die Kennzeichnung von Werbung. Doch seien offenbar die entsprechenden Markierungen auf Nachrichtenseiten entweder nicht gut erkennbar oder nicht verständlich. Hier bestehe Verbesserungsbedarf. Denn gerade für diejenigen, denen eine Einordnung von Nachrichtenartikeln schwerer fällt, entstehe auch schnell der Eindruck eines finanziell abhängigen und/oder politisch und meinungsgetriebenen Journalismus. Dies könne sinkendes Medienvertrauen zur Folge haben.

3. Es braucht bessere Plattform-Architekturen.

Das Gleiche gelte für Social Media-Plattformen, die ebenfalls Bürger*innen einen verantwortungsvollen Umgang mit Nachrichten und Informationen erschweren. In den sozialen Netzwerken erreichten Nutzer*innen Informationsbruchstücke noch unsortierter und die kompetente Navigation werde umso schwieriger. Zwar sei der aktuelle Trend begrüßenswert, problematische Beiträge zu markieren, mit zusätzlichen Informationen zu versehen oder sogar Accounts und Inhalte gänzlich zu sperren. Doch ändere das nichts an der grundlegenden Funktionslogik der Plattformen, die Desinformation eher begünstige als eingrenze. Hinzu komme, dass die Befragten offensichtlich Probleme hätten, zusätzliche Informationen richtig zu erkennen und einzuordnen. Ohne plausible und gut sichtbare Kennzeichnungen, Transparenz über die Plattform-Architektur und Design-Entscheidungen, die Nutzer*innen bei der kompetenten Nutzung wirklich unterstützen, seien auch Faktencheck-Labels allein nicht zielführend.