Fachpublikation

Service-Learning in den MINT-Fächern

Thema

Lernen durch gesellschaftliches Engagement in MINT-Fächern

Herausgeberschaft

Siemens Stiftung/Freudenberg Stiftung (Hrsg.)

Autoren/Autorinnen

Franziska Nagy

Erscheinungsort

München/Berlin

Erscheinungsjahr

2016

Stiftungsengagement

Siemens Stiftung, Freudenberg Stiftung

Literaturangabe

Franziska Nagy: Service-Learning in den MINT-Fächern: Lernen durch Engagement für einen wertebildenden Unterricht. Hrsg. v. Siemens Stiftung/Freudenberg Stiftung. München/Berlin 2016.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass die Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlich-technischen Themen eng an Werteentscheidungen gekoppelt ist. Naturwissenschaftlich-technische Zusammenhänge müssten nicht nur erkannt und beschrieben, sondern auch aus verschiedenen Perspektiven bewertet werden können. Deshalb seien Lehr- und Lernmethoden wichtig, die frühzeitig Fachwissen fördern und gleichzeitig Erfahrungsräume eröffnen, in denen Kinder und Jugendliche Werte erleben und reflektieren können, um so eine starke und gemeinwohlorientierte Persönlichkeit zu entwickeln.

Die Lehr- und Lernform Service-Learning (Lernen durch Engagement) soll den naturwissenschaftlich-technischen Unterricht durch handlungsorientiertes und lebensnahes Erfahrungslernen bereichern. Die Verbindung von schulischem Lernen und gesellschaftlichem Engagement zielt darauf, die Wertebildung im MINT-Unterricht zu fördern: Die Schülerinnen und Schüler können bei ihrem Engagement in ihrem Umfeld die gesellschaftliche Relevanz von Naturwissenschaften und Technik in der Lebenswelt erfahren und sich im Unterricht reflexiv damit auseinandersetzen. Dadurch können sie auch Rückschlüsse für ihre eigene Lebensgestaltung ziehen und ihre Wertevorstellungen aktiv ausbauen.

Die Siemens Stiftung und die Freudenberg Stiftung setzen sich seit 2014 gemeinsam für einen forschenden, handlungsorientierten und wertebildenden naturwissenschaftlich-technischen Unterricht ein. In einer Zusammenarbeit mit der Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis e.V. und dem Ministerium für Bildung des Landes Sachsen-Anhalt wurde das Modellprojekt „Service-Learning in den MINT-Fächern“ für ein Schuljahr an neun Schulen in Sachsen-Anhalt, Berlin und Würzburg mit vielfältigen Beispielen erprobt. Beteiligt war auch das Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt (LISA).

Im Modellprojekt „Service-Learning in den MINT-Fächern“ wurden fünf Werte ausgewählt, die für die praktische Umsetzung handlungsleitend waren. Sie wurden in den Service-Learning-Projekten mit den Schülerinnen und Schülern bewusst thematisiert, reflektiert und gefördert:

  • Nachhaltigkeit bedeutet, auf eine ökonomisch, ökologisch und sozial tragfähige Entwicklung für alle Generationen Rücksicht zu nehmen.
  • Verantwortungsübernahme bedeutet, die Konsequenzen für eigene Entscheidungen und eigenes Handeln zu übernehmen.
  • Umweltbewusstsein bedeutet, die Umwelt zu schonen und sein Handeln darauf auszurichten.
  • Solidarität bedeutet, eine Gesellschaft auf der Basis von Zusammenhalt und gegenseitiger Unterstützung zu gestalten.
  • Soziale Gerechtigkeit bedeutet die gerechte Verteilung gesellschaftlicher Güter.

In vorliegender Handreichung soll gezeigt werden, wie sich fachliches Lernen im MINT-Unterricht mit gesellschaftlichem Engagement verbinden lässt, indem vertiefende Einblicke in die Praxis gegeben werden. Auch werden erste Schritte für ein eigenes Service-Learning-Projekt aufgezeigt. Verfasst wurde die Publikation von Franziska Nagy (Freudenberg Stiftung).

Wichtige Ergebnisse

Konzept: Wertebildung in den MINT-Fächern mit Service-Learning

Ziel sollte es sein, Kinder und Jugendliche auf ihrem Entwicklungsweg dabei zu unterstützen, sich zu selbstständigen, verantwortungsbewussten und gemeinwohlorientierten Persönlichkeiten zu entwickeln. Denn Werte seien das Fundament für ihre individuellen Entscheidungen, aber auch für ihr Handeln als Teil der Gesellschaft. Insbesondere bei gesellschaftlichen Veränderungsprozessen dienten Werte als wichtige Orientierungsmaßstäbe. Dabei beginne Wertebildung bereits in frühester Kindheit und Jugend und setze sich in den Erziehungs- und Bildungsinstitutionen fort.

Gerade MINT-Themen hätten eine hohe gesellschaftliche Relevanz für die Zukunft der Gesellschaft – angesichts des Klimawandels, des Ressourcenmangels oder der Risiken und Chancen der Digitalisierung. Obwohl die großen gesellschaftlichen Herausforderungen von enormer Bedeutung für die Menschheit sind und die Zukunft der jungen Generation besonders betreffen, spielten sie in der Schule meist nur eine geringe Rolle. Künftig müsse es deshalb verstärkt darum gehen, den Heranwachsenden die gesellschaftliche Relevanz solcher Themen erfahrbar und greifbar zu machen – vor allem im MINT-Unterricht, wo entsprechende Fachinhalte gelernt und den Schülerinnen und Schülern Räume eröffnet werden können, um sich mit den damit verbundenen Themen und Fragen auseinanderzusetzen und verschiedene Perspektiven kennenzulernen.

Mit der Lehr- und Lernform Service-Learning könnten naturwissenschaftlich-technische Fachinhalte aus dem MINT-Unterricht mit einem gesellschaftlichen Engagement der Schülerinnen und Schüler im Stadtteil oder in der Gemeinde verbunden werden. Dabei könnten die Kinder und Jugendlichen MINT-Themen nicht nur praktisch anwenden und auf diese Weise ihr im Unterricht erworbenes Wissen vertiefen, sondern Werte im Engagement auch direkt erleben. Auf diese Weise wäre es möglich, die gesellschaftliche Relevanz der MINT-Themen unmittelbar zu erfahren und andere Lebenswelten und Sichtweisen kennenzulernen (sei es im Umgang mit Kitakindern, Seniorinnen und Senioren oder Geflüchteten) und ihr eigenes Handeln reflektieren. Service Learning unterstütze, dass Kinder und Jugendliche Verantwortung in ihrem Umfeld übernehmen und lernen, dass sie mit ihren Kompetenzen und ihren Talenten etwas bewegen können. Die angeleitete Reflexion im Unterricht würde es den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, ihre Erfahrungen zu diskutieren, Rückschlüsse auf die eigene Lebensgestaltung zu ziehen, über den Zusammenhang zwischen den Unterrichtsinhalten und ihrem konkreten Handeln im Engagement nachzudenken und somit ihre Wertvorstellungen auszubauen.

Mit der Kombination aus bürgerschaftlichem Engagement und schulischen Lernen verfolgt Service-Learning zwei Kernziele:

  • Veränderung von Unterricht und Lernkultur: Die Schülerinnen und Schüler lernen, Wissen und Kompetenzen praktisch anzuwenden, fachliche Inhalte tiefer zu verstehen und die Relevanz von schulischem Lernen zu erkennen.
  • Stärkung von Demokratie und Zivilgesellschaft: Die jungen Menschen werden an bürgerschaftliches Engagement herangeführt und erwerben dabei Sozial- und Demokratiekompetenzen.

Wirkungen von Service-Learning

Die Autorin weist darauf hin, dass in zahlreichen empirischen Studien gezeigt werden konnte, dass die Lern-Lehrform Service-Learning positive Einflüsse auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hat:

  • Wirkung auf schulisches Lernen: Service-Learning könne die Schul- und Lernmotivation von Schülerinnen und Schülern erhöhen, ihre Problemlösungsfähigkeit stärken, zu einem tieferen Verständnis von Lerninhalten beitragen und die Schulleistung verbessern.
  • Wirkungen auf Persönlichkeitseigenschaften: Schülerinnen und Schüler könnten durch Service-Learning Selbstwirksamkeit erleben, ihr Selbstwertgefühl stärken, Kommunikations- und Teamfähigkeiten einüben und würden zudem in ihrer Empathiefähigkeit gefördert.
  • Wirkung auf zivilgesellschaftliche und soziale Einstellungen: Schülerinnen und Schüler, die an Service-Learning teilgenommen haben, zeigten ein höheres demokratisches und soziales Verantwortungsbewusstsein, hätten mehr Interesse an gesellschaftlichen Problemen und seien eher bereit und fähig, selbst zu Veränderungen beizutragen.

... im Hinblick auf Wertebildung:

  • Soziale Verantwortungsübernahme: Jugendliche, die an Service-Learning teilgenommen haben, würden ein höheres Verantwortungsgefühl ihren Mitmenschen gegenüber zeigen und sozialer Gerechtigkeit als Wert ein größeres Gewicht zusprechen.
  • Zivilgesellschaftliches Engagement: Die Relevanz von politischer Teilhabe und gemeinnütziger Tätigkeit steige nach einem Service-Learning-Projekt. Service-Learning könne auch die Bereitschaft zur politischen Partizipation erhöhen.

Vorteile der Wertebildung mit Service Learning im MINT-Unterricht:

  • Die gesellschaftliche Relevanz der MINT-Fächer wird bewusst gemacht.
  • Durch praktische Wissensanwendung werden Werte erlebt.
  • Erlebnisse werden aufgegriffen und Reflexion bewusst ermöglicht.
  • Den Schülerinnen und Schülern wird selbstbestimmtes Lernen ermöglicht.
  • Durch fächerübergreifendes Lernen können verschiedene Perspektiven eingenommen werden.

Qualitätsstandards von Service-Learning

Service-Learning ist für alle Schulformen, Altersstufen und Unterrichtsfächer geeignet. Es können unterschiedliche Themen beim Engagement bearbeitet werden, jedoch sollten sie individuell an die Bedingungen jeder Schule angepasst werden. Bei aller Vielfalt können gemeinsame Kennzeichen von Service-Learning benannt werden, die Schulen bei der praktischen Umsetzung Orientierung geben können.

Aus wissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischen Erfahrungen wurden folgende sechs Qualitätsstandards für Lernen durch Engagement abgeleitet:

  • Realer Bedarf: Das gesellschaftliche Engagement der Schülerinnen und Schüler reagiert auf einen realen Bedarf. Die Aufgaben im Projekt werden von allen Beteiligten als sinn- und bedeutungsvoll wahrgenommen.
  • Curriculare Anbindung: Service-Learning ist Teil des Unterrichts, das Engagement ist mit Unterrichtsinhalten verknüpft.
  • Reflexion: Es findet eine regelmäßige und bewusst geplante Reflexion der Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler statt.
  • Schülerpartizipation: Die Schülerinnen und Schüler sind aktiv an der Planung, Vorbereitung und Ausgestaltung des Service-Learning-Projekts beteiligt.
  • Engagement außerhalb der Schule: Das praktische Engagement der Schülerinnen und Schüler findet außerhalb der Schule und in Zusammenarbeit mit Engagementpartnern statt.
  • Anerkennung und Abschluss: Das Engagement und die Leistungen der Schülerinnen und Schüler werden durch Feedback im gesamten Prozess und bei einem Abschluss gewürdigt.

Praxisprojekte

In neun Modellschulen wurden elf Service-Learning-Projekte durchgeführt, die in der Publikation vorgestellt werden, um Einblicke in die praktische Umsetzung von Service-Learning in den MINT-Fächern zu geben.

Beispiele für Praxisprojekte im Bereich Service-Learning, die im Rahmen des Modellprojekts entstanden sind:

Schülerinnen und Schüler

  • der 2. Klasse setzen sich in Sachkunde mit dem Verbrennungsdreieck und dessen Bedeutung sowie Maßnahmen zum Brandschutz auseinander und vermitteln diese Kenntnisse in Zusammenarbeit mit der Feuerwehr an die Kinder aus einer nahegelegenen Flüchtlingsunterkunft.
  • der 3. Klasse lernen im Schulgartenunterricht und Sachkunde Kräuter und deren Verwendungen kennen und bauen eine Kräuterspirale in einem Wohnheim für Menschen mit Behinderung, um sie für frische und gesunde Ernährung zu sensibilisieren.
  • der 7. Klasse lernen im fächerübergreifenden Kurs „Naturwissenschaften“ die Funktionen von Wald und lokalen Ökosystemen kennen und engagieren sich, indem sie einen brach liegenden Naturlehrpfad wieder aufforsten und der Gemeinde die Nutzung erneut ermöglichen.
  • der 8. Klasse lernen in Physik und Technik die Prinzipien der Thermodynamik und Methoden der Energieerzeugung und -nutzung kennen und beteiligen sich zusammen mit einer Wohnungsbaugesellschaft an der Ausgestaltung eines Energiesanierungskonzeptes für einen Stadtteil. Die Schülerinnen und Schüler übernehmen Anteile an der CO2-Bilanzierung des Quartiers und verarbeiten die Daten in einem Modell, das sie den Anwohnerinnen und Anwohnern präsentieren.
  • der 9. Klasse lernen in Biologie das Sinnesorgan Haut und im Technikunterricht verschiedene Energiearten kennen und engagieren sich für die Deutsche Krebshilfe, indem sie einen Kindergarten hinsichtlich eines wirksamen Sonnenschutzes beraten.