Studie mit Handlungsempfehlungen

Städte- und Gemeindepartnerschaften

Thema

Stärkung des europäischen Bürgersinns

Herausgeberschaft

Philipp Lerch/Melanie Piepenschneider

Erscheinungsort

Sankt Augustin/Berlin

Erscheinungsjahr

2019

Stiftungsengagement

Konrad-Adenauer-Stiftung (Civitas-Bernhard-Vogel-Stiftung)

Literaturangabe

Andreas Marchetti: Städte- und Gemeindepartnerschaften. Strukturen – Praxis – Zukunft in deutsch-französischer Perspektive (Handreichungen zur Politischen Bildung, Band 26, Kommunalpolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung). Hrsg. v. Philipp Lerch/Melanie Piepenschneider. Sankt Augustin/Berlin 2019.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass Städte- und Gemeindepartnerschaften zwischen deutschen und anderen europäischen Kommunen das Fundament gelebter europäischer Integration darstellen, indem sie ein Europa der Bürgerinnen und Bürger, des Austauschs und des friedlichen Miteinanders vor Ort lebendig werden lassen. Der Wert des geeinten Europas werde besonders auf kommunaler Ebene spürbar und persönlich erfahrbar. Grenzüberschreitende Projekte auf kommunaler Ebene könnten Europaskepsis entgegenwirken und die Demokratie in Krisenzeiten widerstandsfähiger machen.

Innerhalb Europas haben sich bis 2018 etwa 20.000 Partnerschaften zwischen Städten und Gemeinden herausgebildet. Frankreich und Deutschland gehören mit jeweils mehr als 6.000 grenzüberschreitenden kommunalen Verbindungen quantitativ zu den aktivsten Ländern in Europa. Zwischen Deutschland und Frankreich bestehen mit mehr als 2.000 Partnerschaften insgesamt die engsten bilateralen Beziehungen, die die deutsch-französische Freundschaft fördern sollen.

Die Handreichung zur Politischen Bildung der Konrad-Adenauer-Stiftung stellt Städte- und Gemeindepartnerschaften zwischen Deutschland und Frankreich vor, illustriert Praxisbeispiele, präsentiert Interviews und Erhebungen, beleuchtet neue Formen projektbezogenen Engagements und benennt Faktoren guter Zusammenarbeit. Am Ende werden Handlungsempfehlungen für gelingende Städte- und Gemeindepartnerschaften gegeben. Diese richten sich an Verantwortliche aus Kommunalpolitik und -verwaltung, Vereine, aber auch Bürgerinnen und Bürger, die sich für Partnerschaftsarbeit interessieren oder sich in diesem Feld engagieren möchten.

Wichtige Ergebnisse

1. Erkenntnisse aus funktionierenden Partnerschaften

Aus den untersuchten Praxisbeispielen der kommunalen Partnerschaften in unterschiedlichen Konstellationen werden allgemeine Erkenntnisse abgeleitet, die den Kommunen konkrete Orientierungen bei der Ausgestaltung kommunaler Partnerschaften bieten sollen.

  • Partnerschaftsarbeit ist Europaarbeit: Die Partnerschaftsbewegung habe sich von Anfang an in den Kontext der europäischen Einigung gestellt, häufig auf der Grundlage deutsch-französischer Annäherung. Neben der naturbedingten grenzüberschreitenden Dimension internationaler Partnerschaften stehe bei vielen Aktivitäten der Europabezug wieder im Fokus – insbesondere angesichts zunehmend wahrgenommener Europaskepsis. Durch Begegnungs-, Austausch- und Dialogformate könnten die Partnerschaften zu einem erleb- und erfahrbaren „Europa von unten“ beitragen.
  • Partnerschaften vergrößern Handlungsmöglichkeiten: Auf der Ebene der Kommunen könnten Partnerschaften neue Horizonte eröffnen: zum einen durch die Verknüpfung von Wissen und Erfahrungen, zum anderen durch die Bündelung von Ressourcen. So könne die kommunale Arbeit durch den Austausch und die Adaptation von good practices bereichert werden und wichtige Impulse erhalten, wie beispielsweise im Bereich der Stadtplanung oder bei der Flüchtlingshilfe und -integration. Daraus könnten auch gemeinsame Aktivitäten entstehen, die Synergien ermöglichen und über das hinausgehen, was eine Kommune alleine erreichen könnte. Dies betreffe sowohl die Ausrichtung größerer Veranstaltungen und Treffen als auch beispielhafte Kooperationen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit.
  • Partnerschaften qualifizieren: Personen, die an Austauschen und Begegnungen teilhaben, profitierten davon sprachlich bzw. kommunikativ durch die Notwendigkeit, sich mit Personen aus einem anderen Sprachraum zu verständigen – unabhängig davon, welche Sprache letztlich die Verständigung ermöglicht. Auch würden Austausche, die an inhaltlichen Interessen der Beteiligten ansetzen, individuelle Fähigkeiten wie beispielsweise im Rahmen der schulischen oder beruflichen Qualifizierung erweitern.
  • Partnerschaften schaffen Verständnis: Austausche und Begegnungen ermöglichen auch die Aneignung interkultureller Kompetenzen. Dies führe zum Abbau von Vorurteilen und pauschalen Zuschreibungen, sowie zu einer differenzierteren Selbstreflexion im Sinne eines völkerverständigenden Miteinanders.
  • Partnerschaften benötigen Kommunikation: In allen Partnerschaften spiele Kommunikation eine Schlüsselrolle, um die Partnerschaft über den engen Kreis Engagierter hinaus mit Leben in der gesamten Kommune zu füllen. Erfolgreiche Kommunikationsarbeit könne über die Pflege guter Kontakte zu den lokal relevanten Medien ebenso erzielt werden wie über Aktivitäten in den sozialen Medien bis hin zur persönlichen Ansprache.

2. Handlungsempfehlungen für gelingende Partnerschaften

  • Partnerschaftsarbeit institutionell absichern: Partnerschaften benötigen Kontinuität, damit Aktivitäten auf längere Sicht planbar sind und zielgerichtet durchgeführt werden können. In der Verwaltung seien deshalb allzu häufige Wechsel der zuständigen Personen zu vermeiden, damit das personengebundene institutionelle Gedächtnis nicht verschwindet und eine vertrauensbasierte Zusammenarbeit mit den Partnern aufgebaut und aufrechterhalten werden kann. Bei den zivilgesellschaftlichen Akteuren sei ein Minimum an institutioneller Struktur notwendig, die sich häufig in Vereinsform manifestiert. Dabei sei jedoch darauf zu achten, dass diese Strukturen zur Gewährung von Innovationskraft und Flexibilität nicht einseitig dominiert werden und verkrusten.
  • Aufgaben und Verantwortung teilen: Es sei ratsam, Aufgaben und Kompetenzen der verschiedenen beteiligten Akteure personell wie institutionell auf mehreren Schultern zu verteilen – nicht zuletzt auch, um die Überlastung haupt- und ehrenamtlich Tätiger zu vermeiden. Dies betreffe sowohl die Arbeitsteilung innerhalb eines Vereins als auch das Verhältnis verschiedener Akteure untereinander.
  • Verjüngung erlauben: Die zivilgesellschaftlichen Träger der Partnerschaftsarbeit müssten Generationenübergänge meistern und zugleich neue Ideen zur konkreten Ausgestaltung von Partnerschaften fördern. Dabei könne aufgrund geänderter Bindungsneigungen und -möglichkeiten nicht mehr darauf gebaut werden, dass tradierte Strukturen unverändert weitergeführt werden können. Eine institutionelle Ein- und Anbindung jüngerer Menschen könne jenseits aller „Vereinsmeierei“ dennoch gelingen, wenn für diese Gruppe in den bestehenden Strukturen eine administrativ nicht überfrachtete Plattform geschaffen wird, die gemeinsames Arbeiten und Planen strukturiert, beispielsweise in Form einer Jugendabteilung.
  • Projektbezogene Arbeit ermöglichen: Für Partnerschaften sei nicht nur dauerhaftes Engagement wichtig. Auch auf konkrete Themen bezogenes punktuelles Einbringen könne bereichernd sein. Deshalb sollten sich vorhandene Strukturen in Partnerschaften  offen zeigen, auch Aktivitäten von Nichtmitgliedern zu fördern und zu unterstützen. Auf diese Weise könnten für beide Seiten gewinnbringende Synergien entstehen: Gegebene Strukturen würden von zusätzlichen Aktivitäten profitieren, während die Initiatoren und Träger solcher Aktivitäten sich nicht zusätzlich um einen rechtlich adäquaten Rahmen für die Umsetzung sorgen müssen.
  • Komfortzone bei Aktivitäten verlassen: Da nicht alle Zielgruppen mit den gleichen Formaten erreicht werden können, sollte Partnerschaftsarbeit auch Formate zulassen, die über die üblichen Aktivitäten in Partnerschaften hinausgehen. Damit würden Partnerschaften auch für größere Personenkreise attraktiv. Dabei sollte allerdings im Sinne der Vielfalt der Zielgruppen auf Ausgewogenheit geachtet werden. Dies setze bei den verantwortlichen Akteuren die Einsicht voraus, dass sich eine Kulturreise in die Partnerstadt und ein poetry slam keinesfalls ausschließen. Die Schnittmengen der beteiligten und angesprochenen Personen könnten manchmal allerdings sehr klein.
  • Kommunikation jenseits der Partnersprache zulassen: Austauscherfahrungen würden von Lerneffekten und auch Missverständnissen leben. Für ihr Gelingen sei es nicht notwendig, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer bereits im Vorfeld Kenntnisse der Sprache des Partnerlandes aufweisen. Der im deutsch-französischen Kontext immer noch verpönte Rückgriff auf Kommunikationssprachen jenseits des Deutschen und Französischen würde sich auf gelingende Austausche nicht negativ auswirken. Zudem könne eine sprachlich beziehungsweise kommunikativ anspruchsvolle Austauscherfahrung den Wunsch stärken, die Sprache des Partners zu erlernen. So könne dies also ebenfalls ein Ansatz zur Förderung der jeweiligen Partnersprache und damit weiterer Vernetzung sein – dann aber zunächst vom Austausch und nicht vom Spracherwerb ausgehend.
  • Begegnungen jenseits der üblichen Zielgruppen stärken: Austausche und Begegnungen sollten verstärkt jenseits von Personen, die die Sprache des jeweils anderen Landes beherrschen oder zurzeit lernen, realisiert werden. Dadurch könnnte gerade jenen Personen „Grenzgänge“ ermöglicht werden, die keinen offensichtlichen Bezug zum Partnerland haben. Im Sinne des globalen Anspruchs von Partnerschaften, zur grenzübergreifenden Verständigung in Europa beizutragen, seien in dieser Zielgruppe größere Effekte austauschbedingter Reflexionsprozesse zu erwarten als bei Personen, die ohnehin schon stärker von internationalen Kooperationsangeboten profitieren.
  • Themen in den Vordergrund rücken: Für viele Bürgerinnen und Bürger sei die deutsch-französische oder eine andere internationale Partnerschaft der eigenen Kommune vermutlich a priori nicht von besonderem Interesse. Diese Personen könnten eher angesprochen und eingebunden werden, wenn im Rahmen von Partnerschaften Themen aufgegriffen und behandelt werden, die von unmittelbar persönlichem oder aktuell gesellschaftlichem Interesse sind. Damit könne auch die Beteiligung in Aktivitäten, die auf Partnerschaft basieren, attraktiv werden. Dies sei besonders in der Kommunikation zu berücksichtigen, was bedeute, nicht das eigene, sondern das mutmaßliche Interesse anderer in den Vordergrund zu stellen.
  • Aneignende politische Bildung fördern: Kommunale Partnerschaften seien auf die bilaterale Verständigung und das Gelingen der europäischen Einigung ausgerichtet. Entsprechend habe auch explizite politische Bildung ihren Platz im Rahmen von Partnerschaften. Dabei sollte sie sich zum Anstoß von Denkprozessen und zur Entfaltung einer möglichst nachhaltigen Wirkung nicht nur in vornehmlich instruktiven Formen agieren, etwa Vorträgen, Lesungen und Ausstellungen. Wictig wäre auch,  adressatenbezogen zu einer produktiven Auseinandersetzung mit politischen Themen einzuladen. Dies könne über gemeinsame Umweltprojekte ebenso erreicht werden wie durch künstlerische Ausdrucksformen in Theater- oder Musikproduktionen.
  • Partnerschaften politisch nutzen: Das ursprünglichste Betätigungsfeld von Partnerschaften bestehe darin, Begegnungen über Grenzen und Gräben hinweg zu ermöglichen. Dieser Aspekt betreffe nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die politischen Akteure und Verwaltungsmitarbeitende, die auf vielfältige Art und Weise von einer Partnerschaft profitieren könnten: Fachaustausche könnten Möglichkeiten schaffen, über den eigenen politischen und administrativen Tellerrand zu blicken und damit die persönliche Arbeit bereichern. Zudem könnten Partnerschaften helfen, kommunale Anliegen gegenüber anderen Akteuren besser zu vertreten. Dies könne unmittelbar durch eine Partnerschaft oder über die Abstimmung mit dem Partner in größeren Netzwerken stattfinden. Wenn sich bei politischen Akteuren und Verwaltungsmitarbeitenden der Habitus einstelle, viel stärker partnerschaftlich und damit international zu arbeiten und sich zu vernetzen, könnten Partnerschaften in einem pragmatischen Sinne auch zur politischen Bildung gerade der Träger kommunaler Politik beitragen.
  • Förderung einfach(er) gestalten: Die finanziellen Bedarfe für konkrete Aktivitäten in Partnerschaften seien häufig überschaubar, aber grundlegend, damit bestimmte Maßnahmen überhaupt durchgeführt werden können. Diesem Umstand sollte auch das Förderinstrumentarium stärker Rechnung tragen, indem der Aufwand zur Einwerbung und Bewirtschaftung von Mitteln für die oft ehrenamtlich tätigen Akteure auf das notwendige Minimum reduziert bleibt. Dazu könnte zum Beispiel die Vergabe von Fördermitteln auf Basis pauschalisierter Sätze beitragen.
  • Förderung zielgerichtet ausbauen: Wenn Partnerschaften einen Beitrag zur Herausbildung eines stärker europäischen Bewusstseins durch die konkrete Ermöglichung von „Grenzerfahrungen“ leisten sollen, müssten sie Breitenwirkung entfalten. Das bedeute, grundsätzlich auch eine Breitenförderung zu etablieren. Unabhängig von der absoluten Höhe bereitgestellter Mittel sollte zudem das Förderinstrumentarium differenziert werden, bis hin zur Möglichkeit der Vollfinanzierung besonders förderwürdiger Maßnahmen.
  • Komplexität in Förderinstrumenten berücksichtigen: Wenn Förderinstrumente zunehmend tri- oder sogar multinationale Aktivitäten privilegieren, sollten sie auch konsequent die durch die Kooperation von drei oder mehr Partnern exponentiell ansteigende Komplexität in der Planung und Abstimmung in entsprechenden Overheads berücksichtigen. Nur so könne die internationale Verbreiterung der Partnerschaftsarbeit geleistet werden.
  • Professionalität herstellen: Es gebe eine Fülle an Möglichkeiten, Unterstützung und Förderungen für partnerschaftsbezogene Aktivitäten zu erhalten. Um diese in ihrer Vielfalt nutzen zu können, sei die Kenntnis von Akteuren, die Einbindung in Netzwerke sowie die Vertrautheit mit den Eigenheiten von Förderinstrumenten unabdingbar. Politik und Verwaltung müssten sich dieses Wissen aktiv aneignen, aber auch die zivilgesellschaftlichen Akteure, die damit ihre Handlungsmöglichkeiten ausweiten könnten. Das bedeute zwar  zunächst ein Mehr an Arbeit, die nicht unmittelbar in partnerschaftsbezogene Maßnahmen münde, doch würde sich diese Investition lang- oder sogar bereits mittelfristig lohnen.
  • Kommunizierende Netzwerke schaffen: Die zahlreichen Akteure deutsch-französischer Partnerschaftsarbeit seien in unterschiedlichen Strukturen auf mehreren Ebenen verortet. Diese Strukturen sollten noch stärker verzahnt werden, damit einerseits Informationen bei den Akteuren ankommen, die Partnerschaften konkret ausgestalten, und andererseits lokale Bedarfe auch bei überkommunalen Strukturen Gehör finden. Dies gelte auch für die interne Organisation von Dachverbänden, wobei eine stärkere Verzahnung nicht zu einer stärkeren Hierarchisierung führen sollte.
  • Engagement würdigen: Viele Akteure in der konkreten Partnerschaftsarbeit engagierten sich ehrenamtlich oder zusätzlich zu ihrer regulären Beschäftigung. Diese Akteure würden in der Regel nicht erwarten, dass ihr Engagement finanziell honoriert wird. Dennoch sei es für ihre Motivation bedeutsam, ihre Arbeit angemessen zu würdigen, etwa durch Ehrungen anlässlich von Jubiläen oder im Rahmen allgemeiner Würdigungen kommunalen Ehrenamts, aber auch durch konkrete Entlastung in anderen Bereichen. Wenn beispielsweise eine Lehrperson, die einen Austausch mit Deutschland oder mit Frankreich organisiert, hierfür Ausgleichsstunden erhält oder von anderen Verpflichtungen befreit wird, könne dies ihr Engagement positiv beeinflussen. Insbesondere Austausche von Schülerinnen und Schülern seien häufig von einzelnen Lehrpersonen abhängig. Angesichts der Bedeutung von Austauschen für die Schaffung internationaler Schulprofile sollte es deshalb auch im Interesse des Dienstherren sein, die Rahmenbedingungen für solches Engagement im Rahmen des Möglichen unterstützend auszugestalten.