Studie

Antworten auf die Massifizierung. Differenzierung in der postsekundaren Bildung weltweit

Thema

Postsekundärer Bildungssektor im internationalen Vergleich

Herausgeberschaft

Körber-Stiftung

Autoren/Autorinnen

Philip G. Altbach/Hans de Wit/Liz Reisberg

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2017

Stiftungsengagement

Körber-Stiftung

Literaturangabe

Körber-Stiftung (Hrsg.): Antworten auf die Massifizierung. Differenzierung in der postsekundaren Bildung weltweit. Zusammenfassung der Studie „Responding to Massification: Differentiation in Postsecondary Education Worldwide“ von Philip G. Altbach, Hans de Wit und Liz Reisberg. Hamburg 2017.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist eine historisch einmalige globale Ausweitung des postsekundären Bildungssektors: Weltweit studieren mehr als 200 Millionen Menschen an Institutionen mit unterschiedlichsten Spezialisierungen.

In der Publikation werden die Ergebnisse einer Studie dargestellt, in der die Konzepte und Systeme postsekundärer Bildung in 13 Ländern analysiert wurden (Australien, Brasilien, Chile, China, Ägypten, Frankreich, Deutschland, Ghana, Großbritannien, Indien, Japan, Russland, USA). Die Studie „Responding to Massification: Differentiation in Postsecondary Education Worldwide“ wurde von der Körber-Stiftung in Vorbereitung auf das Hamburg Transnational University Leaders Council 2017 (eine Initiative der Hochschulrektorenkonferenz, der Körber-Stiftung und der Universität Hamburg) beauftragt und vom Center for International Higher Education des Boston College unter der wissenschaftlichen Leitung von Professor Philip G. Altbach durchgeführt. Verfasst wurde die Studie von Prof. Philip G. Altbach und Prof. Hans de Wit (Center for International Higher Education at Boston College) sowie Liz Reisberg (Beraterin für Projekte zur Hochschulentwicklung). Die Publikation umfasst die deutsche Übersetzung des Executive Summary, die komplette Studie liegt auf Englisch vor unter www.koerber-stiftung.de/htulc-studie.

Wichtige Ergebnisse

Weltweiter Anstieg der Nachfrage nach Hochschulbildung

Die Autoren erläutern, dass sich die Hochschullandschaft in den vergangenen 50 Jahren grundlegend verändert hat: Während der Hochschulzugang früher auf eine kleine soziale Elite beschränkt war, liegt die Partizipationsrate der jungen Menschen zwischen 18 und 24 Jahren im Bereich der Hochschulbildung in vielen Ländern inzwischen über 50 Prozent. Von den untersuchten Ländern befindet sich ein Land (Ghana: 14 %) noch in der „Elitephase“, fünf Länder sind im Stadium der Breitenbildung mit stark wachsender Nachfrage (Brasilien: 23 %, Chile: 37 %, China: 37 %, Ägypten: 30 % und Indien: 27 %). Dagegen ist in Australien, Japan, Frankreich, Deutschland, Russland, den USA und Großbritannien ein gewisser Sättigungspunkt erreicht; demografische Faktoren könnten hier sogar zu einem Nachfragerückgang führen.

Die nach Hochschulbildung strebenden Bevölkerungsgruppen sind viel diverser als früher (große Unterschiede bei Zielen, Vorkenntnissen, kulturellen Orientierungen, wirtschaftlichen Ressourcen). Die meisten der untersuchten Länder haben auf die steigende Nachfrage nach Hochschulbildung sehr unterschiedliche Antworten gefunden.

Diversität ohne Differenzierung

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass sich die postsekundäre Bildung weltweit zwar deutlich diversifiziert hat, in den meisten Ländern aber keine systematische Differenzierung erkennbar ist: Es gebe ein breites Spektrum an Bildungseinrichtungen, das von großen Forschungsuniversitäten über berufsbezogene Fachhochschulen bis hin zu kleinen, spezialisierten Berufsbildungseinrichtungen reicht, doch fehle es an einem differenzierten System von Institutionen mit klar definierten Aufgaben und Zielen, das mit angemessenen Mechanismen zur Qualitätssicherung unterlegt ist. Gegenwärtig variiere die Qualität der verschiedenen Bildungseinrichtungen sehr stark und es sei allgemein ein deutlicher Trend zur schleichenden Ausweitung der ursprünglichen Ziele (Mission Creep) und zur Konvergenz festzustellen.

Öffentliche und private Bildungseinrichtungen

In den meisten der analysierten Länder konzentriert sich die Partizipation an Hochschulbildung auf die öffentlichen Hochschulen, allerdings mit einer deutlichen Schwankungsbreite: In Ägypten entfallen 99 Prozent aller Studienplätze auf den öffentlichen Hochschulsektor, in Japan weniger als 35 Prozent. In allen 13 Ländern lässt sich ein Wachstum des privaten Hochschulsektors beobachten, wobei es deutliche Unterschiede bei der Größe und Bedeutung dieses Sektors sowie bei der Unterteilung in gewinnorientierte und nicht gewinnorientierte Einrichtungen gibt.

Differenzierung im traditionellen Hochschulsektor

Der traditionelle Hochschulsektor hat sich im Zuge zunehmender Autonomisierung der Einrichtungen weltweit erheblich ausdifferenziert. Die meisten neuen Bildungseinrichtungen legen den Schwerpunkt auf die Lehre, sind aber dennoch relativ stark differenziert: Angeboten werden vor allem Bachelor-Studiengänge, die sich in Bezug auf Mission und Ausrichtung unterscheiden.

Das größte Prestige im Hochschulsystem genießen die traditionellen, forschungsintensiven Universitäten. Sie machen zwar nur 2 bis 5 Prozent der weltweit rund 22.000 Hochschulen aus, seien aber für das gesamte Hochschulsystem prägend und für die Wissensökonomie des 21. Jahrhunderts von zentraler Bedeutung.

In den untersuchten Ländern wurden Alternativen zur traditionellen Universität geschaffen, die von elementaren Berufsbildungseinrichtungen bis zu Fachhochschulen reichen und darauf zielen, spezifische Anforderungen des Arbeitsmarkts zu erfüllen und neue Zielgruppen für Hochschulbildung anzusprechen. Die Unterschiede zwischen den Studiengängen und Programmen innerhalb dieses Sektors und zwischen den einzelnen Ländern sind in Bezug auf Ausgestaltung und Qualität sehr groß. Die Autoren weisen darauf hin, dass sich viele dieser Wege für die Absolventinnen und Absolventen letztlich als Sackgasse mit begrenzten Chancen auf eine Studienfortsetzung erweisen und keine Verbesserung der Berufschancen mit sich bringen.

Herausforderungen bei der Systemgestaltung

Festgestellt wird, dass in den meisten Ländern infolge der Massifizierung ein gewisses Maß an Spannungen zwischen Marktkräften und nationaler Politik herrscht. Beschränkte Haushaltsspielräume führten oft zu Konzessionen an den Markt, die politische Ziele überlagern können. Dies zeige sich vor allem in der zunehmenden Privatisierung des öffentlichen postsekundären Bildungssektors in Industrieländern, aber auch in Schwellen- und Entwicklungsländern. Ursache sei die Verringerung der öffentlichen Förderung und die daraus folgende Notwendigkeit höherer Studiengebühren und der Erschließung sonstiger externer Finanzierungsquellen.

Als weitere Herausforderung wird gekennzeichnet, dass die staatlichen Zuständigkeit und Aufsicht über den Hochschulsektor stark zersplittert ist: In vielen Ländern unterstehen die verschiedenen Bildungseinrichtungen der Zuständigkeit unterschiedlicher nationaler Behörden und werden von verschiedenen staatlichen Verwaltungsebenen (Bund, Einzelstaaten, Kommunen) kontrolliert. In den meisten Ländern haben die Regierungen den öffentlichen und privaten Hochschulen mehr Autonomie gewährt – allerdings mit unterschiedlichen Resultaten. Eine erweiterte institutionelle Autonomie könne zwar eine raschere Reaktion auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen ermöglichen, aber auch unerwünschte Entwicklungen initiieren, die langfristig nachteilig sein könnten, so die Autoren.

Von der Anarchie zu einem kohärenten System

Das aktuelle Szenario wird von den Wissenschaftlern der Studie als Anarchie im postsekundären Bildungssektor gekennzeichnet, die eine Vielzahl an Bildungseinrichtungen mit verschiedenen Schwerpunkten, von unterschiedlicher Qualität und unterschiedlichem Nutzwert umfasst. Sie konstatieren das Fehlen von gut geplanten und klar definierten postsekundären Bildungssystemen. Die Regierungen hätten tendenziell bei der Regulierung dieses Sektors oder der Steuerung dieser Veränderungen zunehmend weniger Erfolg. Die postsekundären Bildungssysteme expandierten überall ohne systematische Planung und ohne klar definierte Strategie, um konkurrierende Anforderungen (Bedürfnisse des Einzelnen, des Arbeitsmarkes, der gesellschaftlichen Entwicklung) auszugleichen und bestimmte Ziele zu erreichen.

Zukunftsfähig wäre nach Ansicht der Wissenschaftler aber nur ein kohärentes, integriertes System postsekundärer Bildungseinrichtungen guter Qualität, in dem die Universitäten die Führungsrolle übernehmen sollten. Die Etablierung solcher Systeme bedürfe aber großer politischer Entschlossenheit, erheblicher Haushaltsmittel und vor allem viel Zeit, so das Fazit.