Studie

Chancenspiegel 2014

Thema

Chancengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit des deutschen Schulsystems

Herausgeberschaft

Bertelsmann Stiftung/Institut für Schulentwicklungsforschung der Technischen Universität Dortmund/Institut für Erziehungswissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena

Erscheinungsort

Gütersloh

Erscheinungsjahr

2014

Stiftungsengagement

Bertelsmann Stiftung

Literaturangabe

Bertelsmann Stiftung/Institut für Schulentwicklungsforschung der
Technischen Universität Dortmund/Institut für Erziehungswissenschaft der
Friedrich-Schiller-Universität Jena (Hrsg.): Chancenspiegel 2014 – Zusammenfassung zentraler Befunde. Regionale Disparitäten in der Chancengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit der deutschen Schulsysteme. Gütersloh 2014.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass Bildungschancen Lebenschancen sind: Der Erfolg des deutschen Schulsystems kann daran gemessen werden, ob jedem Kind – unabhängig von seinem sozialen und kulturellen Hintergrund – faire Chancen zur bestmöglichen Entwicklung der eigenen Potenziale geboten werden. Gute Schule sollte leistungsstark und chancengerecht sein.

Im Mittelpunkt der Analyse des Chancenspiegels stehen die vier Gerechtigkeitsdimensionen „Integrationskraft“, „Durchlässigkeit“, „Kompetenzförderung“ und „Zertifikatsvergabe“ im deutschen Schulsystem. Für jede Dimension werden anhand von bildungsstatistischen Einzelindikatoren (Daten aus den amtlichen Statistiken von Bund und Ländern oder aus Studien der empirischen Bildungsforschung) eine Bestandsaufnahme zu jedem Bundesland vorgenommen. Insgesamt werden zwölf Einzelindikatoren überprüft und zu „Chancenprofilen“ der Länder verdichtet.

Der Chancenspiegel erscheint nach 2012 und 2013 zum dritten Mal und bezieht sich in der Ausgabe 2014 auf bildungsstatistische Daten aus dem Schuljahr 2012/13. Im Rückblick auf die bisherigen Chancenspiegel kann damit eine Entwicklung der Bundesländer über einen Zeitraum von vier Jahren (Schuljahr 2009/10 bis 2012/13) nachgezeichnet werden. Der Chancenspiegel 2014 betrachtet zum ersten Mal auch die regionale, das heißt die gebietskörperschaftliche Ebene der Kreise und kreisfreien Städte in den jeweiligen Bundesländern. Dadurch können regionale Unterschiede von fairen Bildungschancen innerhalb der Bundesländer nachgezeichnet werden und es wird deutlich, wie stark sich die Bildungschancen für Schülerinnen und Schüler aus dem gleichen Bundesland je nach Wohnort oder Region unterscheiden.

Über eine regelmäßige Berichterstattung will der Chancenspiegel die Debatte um gerechte Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrem sozialem Hintergrund oder ihrer Herkunft befördern.

Beim Chancenspiegel handelt es sich um eine Studie des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) der Technischen Universität Dortmund und des Instituts für Erziehungswissenschaft (IfE) der Friedrich-Schiller-Universität Jena in Kooperation mit der Bertelsmann Stiftung.

Alle ausführlichen Ergebnisse, auch die regionalen Analysen, finden sich in der Langfassung des Chancenspiegels, ergänzt durch vertiefende Informationen unter: www.chancenspiegel.de.

Wichtige Ergebnisse

Ein zentrales Ergebnis lautet, dass sich die Chancengerechtigkeit im deutschen Schulsystem zwischen Stagnation und Fortschritt bewegt und die Entwicklung in kleinen Schritten voranschreitet.

1. Die Integrationskraft des deutschen Schulsystems entwickelt sich bei den Ganztagsschulen langsam positiv, stagniert aber bei der Exklusion und kommt bei der Inklusion nur langsam voran.

  • Bei den Ganztagsschulen hat sich der positive Trend der vergangenen Jahre weiter fortgesetzt: Im Jahr 2012 hatte knapp ein Drittel der deutschen Schülerinnen und Schüler Zugang zu einer Ganztagsschule.
  • Dagegen ist der Anteil der in separaten Förderschulen unterrichteten Kindern und Jugendlichen weitgehend gleich geblieben: Die Exklusionsquote ist relativ stabil.

2. Bei der Durchlässigkeit des Schulsystems hat sich wenig geändert.

  • Dies zeigt sich deutlich beim Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule. Trotz verschiedener Umstrukturierungen der Bundesländer bleibt das Gymnasium im jeweiligen Schulsystem die wichtigste Schulform für die meisten Kinder. Im Schuljahr 2012/13 wechselte deutschlandweit die größte Gruppe aller Kinder (42,9 Prozent) am Ende ihrer Grundschulzeit ins Gymnasium.

3. Nach wie vor zeigt sich eine ausgeprägte Abhängigkeit zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft.

  • Kinder und Jugendliche aus Familien höherer Sozialschichten erreichen in der neunten Klasse bundesweit und über alle Schulformen hinweg einen durchschnittlichen Vorsprung von 82 Punkten in der Mathematikkompetenz vor Kindern aus Familien niedrigerer Sozialschichten (Daten aus den Untersuchungen zu den Bildungsstandards in Mathematik bei Schülerinnen und Schüler der 9. Klasse). Dieser Rückstand entspricht einem Nachteil von etwa zwei Schuljahren.

3. Die Schulabschlüsse werden höherwertig.

  • Weniger Schülerinnen und Schüler verlassen die Schule ohne Abschluss (2012: 6 Prozent). Gleichzeitig zeigt sich ein leicht steigender Anteil der jungen Menschen, die mit maximal Hauptschulabschluss in das duale Ausbildungssystem einmünden.
  • Zudem steigt der Anteil an Schulabsolventinnen und Schulabsolventen mit Hochschulreife: Im Jahr 2012 beendete mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler (bundesweit rund 466.000 junge Erwachsene) ihre Schulzeit an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen mit der Zugangsberechtigung zur Hochschule (allgemeine Hochschulreife oder Fachhochschulreife).

Der Vergleich der Chancenprofile der Bundesländer zeigt sehr unterschiedliche Chancenlagen. Wie bereits in den Vorjahren nimmt kein Land über alle Gerechtigkeitsdimensionen hinweg einen Platz in der oberen Ländergruppe oder unteren Ländergruppe ein. Jedes der 16 Bundesländer weist im Vergleich mit den anderen Schulsystemen relative Stärken und Schwächen auf. Zugleich erweisen sich die Chancenprofile der Bundesländer über den betrachteten Zeitraum von vier Jahren (Schuljahr 2009/10 bis 2012/13) als relativ stabil.

Tendenziell zeigt sich:

  • Die Stadtstaaten, Niedersachsen und Hessen integrieren ihre Schülerinnen und Schüler besser.
  • Die Schulsysteme in den östlichen Bundesländern und Hamburg sind durchlässiger.
  • Im Osten und Süden Deutschlands werden Kompetenzen besser gefördert.
  • Baden-Württemberg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und das Saarland bieten bessere Chancen auf gute Schulabschlüsse.

Festzustellen sind auch regionale Disparitäten in den Bundesländern bei der Durchlässigkeit und Zertifikatsvergabe. Auf der Ebene von Kreisen und kreisfreien Städten sind die Disparitäten ausgeprägt, ebenso in den Stadtstaaten und anderen Großstädten.

Auf der Suche nach Erklärungen können die Wissenschaftler (noch) keine klaren Muster erkennen, die die zum Teil sehr großen regionalen Unterschiede bei der Chancengerechtigkeit erklären können. Die Daten der vertieften Analysen (siehe Langfassung) weisen aber darauf hin, dass sowohl die Schulstruktur des Landes und in besonderem Maße das Schulangebot in der jeweiligen Gebietskörperschaft einen Teil der Unterschiede erklären können. Darüber hinaus scheint auch das sogenannte soziale Profil der einzelnen Regionen relevant für die unterschiedlichen Bildungschancen innerhalb eines Bundeslandes zu sein. Wichtige Faktoren sind zum Beispiel das durchschnittliche Einkommen und das Bildungsniveau der Bevölkerung oder das Risiko der Kinderarmut. Günstigere Bildungschancen gehen offenbar mit günstigen sozialen Profilen von Kreisen oder kreisfreien Städten einher.