Expertise

Die Bedeutung der Medien für die Bildung

Thema

Potenziale digitaler Medien in der Bildung

Herausgeberschaft

Hanns-Seidel-Stiftung (Hg.)

Autoren/Autorinnen

Manuela Pietraß

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2020

Stiftungsengagement

Hanns-Seidel-Stiftung

Literaturangabe

Manuela Pietraß: Die Bedeutung der Medien für die Bildung. Politische Studien der Hanns-Seidel-Stiftung, München 2020.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Grundannahme ist, dass Bildung und Medien so eng miteinander verknüpft sind, dass die Frage nach der Zukunft der Bildung ohne Berücksichtigung der Medienentwicklung nicht beantwortet werden kann. Mit den digitalen Medien werde ein neuer Sprung in der Erkenntnisentwicklung erreicht. Die Art dieses Sprungs hänge eng mit den Möglichkeiten zusammen, wie die digitale Technik genutzt wird.

Die Autorin des Textes, Prof. Manuela Pietraß, lehrt Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Medienbildung an der Universität der Bundeswehr München.

Wichtige Ergebnisse

Wichtige Ergebnisse

Die Autorin weist darauf hin, dass sich mit den digitalen Medien neue Darstellungs- und Anwendungsmöglichkeiten entwickelt haben, die mit einem bestimmten Bildungspotenzial einhergehen. Anschließend skizziert sie die neuen Entwicklungen in ihren Auswirkungen.

Vervielfältigung von Texten:

Digitale Dateien seien im Prinzip unendlich oft kopierbar. Damit sei zwar noch keine grundsätzlich veränderte Form der Welterkenntnis verbunden, doch erleichtere diese Tatsache grundsätzlich die Verfügbarkeit und die Zugänglichkeit von Wissen für sehr viel mehr Menschen. Im Unterricht ließen sich dadurch beispielsweise Arbeitstexte oder Bilder bequemer und umfangreicher zur Verfügung stellen als Kopien auf Papier und Film.

Breitere Zugänglichkeit:

Personal Computer, die sich weltweit flächendeckend verbreitet haben, ermöglichten den Zugang zu den prinzipiell unendlich verfügbaren Kopien. Die Bedeutung für die Bildung bestehe unter anderem darin, dass Texte und Bilder, die früher zum Beispiel nur über Archive oder Museen zugänglich waren, nun freier nutzbar sind, was die Zugänglichkeit zum Weltwissen erhöhe. Die digitalen Optionen einer zeitgleichen Teilhabe trotz Abwesenheit ermöglichten es, Wissen in Verbindung mit den Menschen, die es produzieren, zu erhalten. So könnten beispielsweise mittels digitalen Aufzeichnungen sehr viele Studierende die Vorlesung eines renommierten Wissenschaftlers hören oder am Seminar einer weit entfernten Akademie teilnehmen.

Standardisierung:

Das digitale Kopieren und die verbesserte Zugänglichkeit ermögliche auch eine größere Standardisierung von Lehrmaterialien. Texte seien nun leichter zugänglich und könnten aufeinander bezogen werden, beispielsweise Prüfungsaufgaben. Dadurch ergäben sich auch verbesserte Vergleichsmöglichkeiten, zum Beispiel indem Curricula, Prüfungsinhalte und Kennzahlen erhoben und in vergleichbarer Weise aufbereitet werden. 

Individualisierung von Lehrmaterialien:

Die digitalen Medien hätten auch ein größeres Potenzial, Lernen sehr viel stärker zu individualisieren als bisher. Eine größere Angebotsvielfalt ermögliche eine Anpassung an das persönliche Ausgangs- und Fortschrittsniveau. Es könnten mehr Inhalte in vielfältigeren Formaten angeboten werden, die den individuellen Interessen, Bildungsbedarfen und Lernvoraussetzungen entsprechen. Mit der Digitalisierung hätten die Formatvielfalt, die Publikationsmöglichkeiten der Inhalte sowie die Zugänglichkeit dazu zugenommen.

Gesteigerte Bildungsmöglichkeiten:

Alle genannten Anwendungsformen veränderten Bildung und seien auch eine Steigerung und Optimierung des bereits Möglichen. Auch Bibliotheken und Archive als Speicherorte für Wissen, Druck, Fotografie und Funk als Vermittlungstechniken hätten bereits den Weg zu mehr Wissen für alle bewirkt.

Kategorial neue Anwendungsformen

Kategorial neu heiße, dass nicht allein eine Steigerung des Bisherigen die Neuerung darstellt, sondern das Neue aus dem Vorangehenden nicht ableitbar ist. Die Wissenschaftlerin gibt dazu einige Beispiele.

Das Sichtbarmachen von Lernprozessen:

Neue Anwendungsformen wie Lernportfolios oder die Verschriftlichung von Kommunikation über Chatfunktionen, aber auch der schriftliche Austausch zwischen Lernenden und Lehrpersonen könnten über diese Verschriftlichung Lernprozesse fixieren und dadurch der Reflexion besser zugänglich gemacht werden, etwa indem vorherige mit erreichten Verstehensprozessen verglichen werden. Für Lehrende und Lernende gelte damit, dass nun über (Selbst-)Reflexion bislang nicht fixierte Lernstufen sichtbar werden. Auch durch interaktive Lernsoftware, die Handlungsaufforderungen anbietet, könne die Wahl der angebotenen Entscheidungsoptionen nach Lernstufen klassifiziert werden, wie beispielsweise im Bereich der Learning Analytics, bei denen die Interaktion in einem Serious Game nach Leistungsniveaus der Spielenden differenziert wird. Eine Besonderheit sei dabei, dass das Auftauchen der Zeichen als visuelle Umsetzung von Handlungen auch für andere sichtbar sein können, wenn mehrere Personen zugleich beteiligt sind, wie bei einem Multi-User-Computerspiel.

Multireferenzialität:

Bei Angeboten mit vielfältigen Zeichenebenen und Codes, wie sie Computerspiele darstellen, werden Zeichen mit weiteren Zeichen, Zeichen mit anderen Trägern wie bei der Erweiterten Realität (augmented reality) oder eine Bedeutungsebene mit weiteren Bedeutungsebenen verknüpft. Beispiele für interaktive multireferenzielle Handlungsräume seien überall dort zu finden, wo Bildschirme mit materialen Gegenständen verbunden werden, zum Beispiel bei Lernsimulatoren, digitalen Lernplattformen oder Informationsportalen. Der besondere Bildungscharakter bestehe darin, dass ein Zeichenträger mit viel mehr Bedeutungen versehen werden kann, als das ursprüngliche Zeichen an Bedeutungen enthält. Die Bildebene eines Computerspiels werde durch Tastenkombinationen explorierbar, informationsgrafische und schriftliche Elemente würden die Bildebene mit weiteren Bedeutungen versehen. So könne das unmittelbare Bild, in dem sich eine Computerspielfigur gerade befindet, durch eine ergänzende und Orientierung verschaffende Lagekarte in einen dreidimensionalen Raum gehoben werden.

Responsive Interaktivität:

Das gänzlich Neue sei die Art und Weise, wie mit Hilfe der digitalen Medien Sinn aufgebaut wird. Neu sei die Eingabemöglichkeit in die mediale Oberfläche mit Hilfe eines Gerätes, was bei den rezeptiven Medienangeboten (wie Foto, Film und Druck) mit statischen Zeichenkompositionen nicht möglich sei. Bei digitalen interaktiven Medien würden durch die Eingabe der Nutzer*innen Veränderungen auf der visuellen Eingabefläche, dem Bildschirm, vollzogen, indem neue Zeichen produziert werden. Auf dem Bildschirm würden Auswahlmöglichkeiten sichtbar, und bei der Auswahl entstünden neue Bilder, Töne und Schriftzeichen. Dabei seien die Handlungen selbst eine Form von Kommunikation, weil sie in Form von Zeichen auf den Bildschirm eingeschrieben werden. So könne man im Computerspiel die eigene Figur auf dem Bildschirm laufen sehen oder nach dem Anklicken eines Links erscheine ein neuer Text auf dem Bildschirm. Bei der Eingabe werde also etwas hervorgebracht, das einen Moment des Unerwarteten enthalten kann und responsiv, also ansprechbar und antwortend, ist.

Veränderte Bildungsmöglichkeiten:

Handeln im virtuellen Raum sei als Hervorbringung von Zeichen in seinen Folgen immaterial. Die Handlungen und das Eingreifen bewirkten keine Veränderung materialer Zustände und äußerer Bedingungen. Mit digitalen interaktiven Lernmaterialien und Simulationen würden Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt, die allein auf Zeichen beruhen und gefahrfrei auf eventuelle Auswirkungen hin erprobt werden können. So werde Wirklichkeit „als-ob“-erfahrbar, was eine wichtige Form zur Vergegenwärtigung von Handlungsfolgen darstelle.

These: Die digitalen Medien bereiten die Zukunft der Bildung vor.

Nach Ansicht der Autorin bieten die neuen Anwendungsformen mit ihrer Multitextualität und Multiaktionalität neue Trends und neues Potenzial. Durch ihre Multimedialität könnten bedeutungsdichte Sinnwelten aufgebaut werden und durch die Multiaktionalität gemeinsam geteilte virtuelle Welten. Beides führe zu einer neuen Vielfalt von Sichtweisen auf einen Sachverhalt oder eine Problemstellung. Durch die Versammlung verschiedener Perspektiven könnten gleichzeitig mehrere Sinnbezüge hergestellt werden.

Die Zukunft der Bildung bestehe in einer Anreichung der Problemstellungen und Sachverhalte mit vielfältigen Deutungsoptionen. Die Möglichkeit dessen, was sein und gelten könnte, werde erhöht, indem sie in den Raum der digitalen Virtualität verlagert wird. Die Autorin weist darauf hin, dass wir uns in einer Welt der sich verknappenden Ressourcen bei einer gleichzeitig wachsenden Bevölkerung und steigenden Ansprüchen an den Wohlstand befinden. Die damit verbundenen komplexen Probleme würden vielfältige, ineinander verflochtene und voneinander abhängige Bezüge enthalten. In der Multiperspektivität der digitalen Virtualität liege somit eine wichtige Chance, Lösungen für die Zukunft der Menschen zu finden.