Expertise

Doppelt benachteiligt?

Thema

Chancen von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem

Herausgeberschaft

Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR)

Autoren/Autorinnen

Mohini Lokhande, unter Mitarbeit von Thimo Nieselt

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2016

Stiftungsengagement

Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), der auf eine Initiative der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung zurückgeht. Sieben Stiftungen sind Mitglieder: Stiftung Mercator, VolkswagenStiftung, Bertelsmann Stiftung, Freudenberg Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, Vodafone Stiftung Deutschland

Literaturangabe

Mohini Lokhande: Doppelt benachteiligt? Hrsg. v. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Berlin 2016.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Festgestellt wird, dass ein Drittel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland einen Migrationshintergrund hat, diese aber durchschnittlich schlechtere Bildungschancen als Gleichaltrige haben: Sie besuchen seltener eine Kita, wechseln von der Grundschule seltener zum Gymnasium und zeigen über die gesamte Schullaufbahn schlechtere Leistungen im Lesen, in Mathematik und den Naturwissenschaften. Diese Benachteiligung wirkt sich auf die spätere gesellschaftliche Teilhabe aus, etwa auf dem Arbeitsmarkt.

Um Handlungsstrategien zur Förderung von mehr Bildungschancen entwickeln zu können, wird zunächst die Entstehung der Benachteiligung betrachtet. Die zentrale Frage lautet: Ist der Migrationshintergrund oder die soziale Herkunft die wesentliche Ursache?

In der Expertise wird der Forschungsstand zu diesem Thema aufgearbeitet: 53 quantitative Studien werden nach acht methodischen Kriterien systematisch qualitativ analysiert. Aus den Ergebnissen werden Handlungsempfehlungen abgeleitet.

Wichtige Ergebnisse

Die Analyse macht deutlich: Kinder und Jugendliche aus Zuwandererfamilien sind über ihre gesamte Bildungskarriere hinweg doppelt benachteiligt: durch ihren Migrationshintergrund, aber vor allem durch ihre soziale Herkunft.

Kompetenzunterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern mit und ohne Migrationshintergrund sind überwiegend mit der sozialen Herkunft zu erklären und nur zu kleinen Teilen mit dem Migrationshintergrund. Der Einfluss der sozialen Herkunft nimmt in der Sekundarstufe I noch zu. Kompetenzunterschiede sind vor allem von der Bildung der Eltern abhängig und weniger vom sozioökonomischen Status.

Unterschiede in den Bildungsentscheidungen hängen sowohl mit dem Migrationshintergrund als auch mit der sozialen Herkunft zusammen. Eltern mit Migrationshintergrund, mit geringem Einkommen und geringer Bildung schicken ihr Kind seltener in eine Kita. Für die Wahl der weiterführenden Schule ist dagegen die soziale Herkunft wichtiger als der Migrationshintergrund. Teilweise haben Kinder aus Zuwandererfamilien auch bessere Chancen: Bei vergleichbarer sozialer Herkunft, gleichen Kompetenzen und Bewertungen durch die Lehrkräfte besuchen sie mit höherer Wahrscheinlichkeit ein Gymnasium als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler ohne Migrationshintergrund.

Herausgearbeitet wird, dass die Benachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund im Bildungssystem schon früh in der Familie entsteht, und zwar durch unterschiedliche Lerngelegenheiten und eine andere Art der Sprachförderung im Elternhaus. So haben Kinder mit Migrationshintergrund schon beim Eintritt in die Kita häufig schlechtere Deutschkenntnisse als Gleichaltrige. In Übergangssituationen, zum Beispiel bei der Wahl der weiterführenden Schule, hängt die Entscheidung auch davon ab, welchen Bildungsabschluss Eltern für ihr Kind anstreben.

Kompetenzunterschiede verstärken sich im Bildungsverlauf, wenn sie nicht frühzeitig in Kita und Schule ausgeglichen werden, vor allem in Bezug auf Sprachfähigkeiten in Deutsch. Im Schulalter sind Kompetenzunterschiede vor allem auf strukturelle Merkmale des Lernumfelds zurückzuführen, etwa auf die Zusammensetzung der Schülerschaft und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schulform. Zudem werden Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund von Lehrkräften zum Teil anders behandelt.

Aus den Ergebnissen der Forschung werden Ansätze für bildungspolitisches und -praktisches Handeln wie auch für die zukünftige Forschung abgeleitet, um Bildungsnachteile von zugewanderten Kindern und Jugendlichen abzubauen:

Als besonders wichtig wird die Förderung der Kompetenzen von Kindern mit Migrationshintergrund erachtet. Solche Maßnahmen sollten früh im Lebenslauf beginnen und über alle Bildungsetappen hinweg fortgeführt und aufeinander abgestimmt werden. Dies gelte insbesondere für die Sprachförderung. Ein weiterer Fokus sollte auf den Bildungsübergängen liegen. Eine Voraussetzung für die Förderung sind geeignete Lehr- und Lernbedingungen, die an Kitas und Schulen geschaffen und weiterentwickelt werden müssen.

Zukünftige Forschung sollte die Wirksamkeit von Fördermaßnahmen überprüfen. Zudem sollte die Bildungsteilhabe von Neuzugewanderten in den Fokus von Studien gerückt und eingehender erforscht werden, wie sich Teilhabe im Bildungssystem entwickelt.