Studie

Erfolgreiches Schulleitungshandeln an Schulen in sozial deprivierter Lage

Thema

Führung und Schulentwicklung an Schulen in sozial benachteiligter Lage

Herausgeberschaft

Wübben Stiftung

Autoren/Autorinnen

Esther Dominique Klein

Erscheinungsort

Essen

Erscheinungsjahr

2018

Stiftungsengagement

Wübben Stiftung

Literaturangabe

Esther Dominique Klein: Erfolgreiches Schulleitungshandeln an Schulen in sozial deprivierter Lage. Eine Zusammenschau zentraler Grundlagen und Befunde aus der nationalen und internationalen Bildungsforschung. Expertise im Auftrag der Wübben Stiftung. SHIP Working Paper Reihe, No. 2. Essen: Universität Duisburg-Essen 2018. DOI: 10.17185/duepublico/45206.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Ausgangspunkt ist, dass das Führungshandeln von Schulleiterinnen und Schulleitern von zentraler Bedeutung für erfolgreiche Schulentwicklungsprozesse ist: Führung könne lernförderliche Organisationsstrukturen schaffen, die Professionalisierung der Lehrkräfte stärken und die Aufmerksamkeit der Entwicklungsbemühungen für wichtige Themen und Inhalte schärfen. Erfolgreiches Führungshandeln sei in hohem Maße an die individuellen Faktoren in der jeweiligen Schule und in ihrem lokalen Umfeld gebunden. Es sei von entscheidender Bedeutung, inwiefern es Führungspersonen gelingt, die spezifischen Bedarfe der eigenen Schule zu identifizieren und kontextsensible Entscheidungen zu treffen.

Entwicklungsorientiertes Führungshandeln könne in Schulen mit besonders hohem Entwicklungsbedarf die größten Wirkungen entfalten. Daraus ergebe sich die Frage, wodurch kontextsensible Führungsstrategien in Schulen in sozial deprivierter Lage gekennzeichnet sind.

Zum Begriff „Schulen in sozial deprivierter Lage“

In der vorliegenden Studie wird bewusst die Formulierung „Schulen in sozial deprivierter Lage“ verwendet. Ziel ist es, dadurch sprachlich nicht die (echten oder auch zugewiesenen) Defizite, sondern die Entbehrungen der Menschen in den Vordergrund zu stellen. Für Schulen in sozial deprivierter Lage gebe es keine allgemeingültige Definition, doch könnten sie durch bestimmte Merkmale von anderen Schulen unterschieden werden. Dazu gehörten vor allem ein überdurchschnittlicher Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund sowie ein hoher Anteil an Menschen, die im Einzugsgebiet Transferleistungen empfangen. An Schulen in sozial deprivierter Lage lernen viele Schülerinnen und Schüler aus benachteiligten Herkunftsmilieus, die nur über ein geringes soziales, kulturelles und ökonomisches Kapital verfügen. Die meisten dieser Kinder und Jugendlichen leben in Wohnvierteln mit deutlicher sozialer und ethnischer Segregation, mangelnder Infrastruktur und in qualitativ schlechten Wohnungen. Durch institutionelle Selektion und freie Schulwahl wird die soziale Zusammensetzung in den Schulen oft noch herausfordernder als am schulischen Standort selbst.

Dr. Esther Dominique Klein, Akademische Rätin in der Arbeitsgruppe Bildungsforschung an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg­-Essen, hat den Forschungsstand zur Leitung von Schulen in sozial deprivierter Lage im Auftrag der Wübben Stiftung untersucht. In ihrer Studie beschreibt sie auf Basis nationaler und internationaler Forschungsergebnisse, wie Führung dazu beitragen kann, Schulen in sozial deprivierter Lage erfolgreich zu verändern. Fokussiert wird insbesondere auf den Zusammenhang zwischen Führung und Schulentwicklung sowie auf die besonderen Herausforderungen für Schulen in sozial deprivierter Lage.

Die Zusammenfassung der Studie wurde von Dr. Thomas Orthmann, Annuntio Hamburg, verfasst und im impaktmagazin der Wübben Stiftung veröffentlicht. 

Wichtige Ergebnisse

Schulen erfolgreich führen – empirische Befunde

In der Schulleitungsforschung werden zentrale Dimensionen von Führungsverhalten benannt, die für erfolgreiche Schulentwicklung empirisch nachgewiesen wurden.

Erfolgreiche Schulleitungen

  • verfügen über die Fähigkeit, die spezifischen Bedarfe innerhalb der Schule und im schulischen Umfeld zu identifizieren, kontextsensibel Entscheidungen zu treffen und Strategien zu implementieren,
  • legen den Fokus darauf, Veränderungsprozesse bei den an Schule beteiligten Akteuren anzustoßen (Wandel der Norm-, Werte- und Zielvorstellungen der schulischen Akteure),
  • legen Entwicklungsziele für ihre Schule fest, 
  • unterstützen die Weiterentwicklung ihrer Lehrkräfte,
  • schaffen geeignete Organisationsstrukturen,
  • managen das Unterrichtsprogramm und schaffen einen Rahmen, damit die Lehrkräfte den Unterricht kooperativ entwickeln können.

Geteilte Führung und Partizipation: Positiv wirke sich aus, wenn Führung auf mehrere Köpfe verteilt wird und Lehrkräfte an Entscheidungen beteiligt werden. Diese Zusammenhänge seien bisher allerdings nur für andere Länder belegt.

Rollenwahrnehmung: Deutsche Schulleitungen verstünden sich meist als (pädagogische) „Leader“ ihrer Schule, die Unterrichts- und Schulentwicklung als sehr wichtig empfinden. Allerdings fehle ihnen – nach eigenen Angaben – die für Schulentwicklung notwendige Zeit. Entsprechend seien Schulleitungen der Auffassung, dass ihr größter Qualifikationsbedarf im pädagogisch-entwickelnden Bereich sowie bei der Entwicklung allgemeiner Führungskompetenzen besteht. Hier schätzen deutsche Schulleitungen ihre Fähigkeiten relativ schlecht ein und sie fühlen sich als Führungspersonen in ihren Schulen zum Teil auch nicht angemessen akzeptiert.

Zielorientierte Führung: Befunde aus Deutschland zeigen, dass sich Schulleitungen erfolgreicher Schulen durch eine hohe Zielorientierung, Veränderungsbereitschaft und Organisationskompetenz auszeichnen. Dabei zeigt sich, dass der Führungsstil dieser Schulleitungen durch „transformationale Führung“ gekennzeichnet ist, der auf die Veränderung von Werten und Normen zielt. Daraus entstünden positive Effekte für die Lehrkräfte, indem sich ihre Arbeitszufriedenheit und emotionale Bindung an die Schule erhöht. Transformationale Führung könne außerdem der emotionalen Erschöpfung von Lehrkräften vorbeugen und helfen, Stress und Burn-out zu vermeiden.

Organisationale Strukturen: Erfolgreiche Schulentwicklung brauche Kapazitäten des organisationalen Lernens. Die Schulleitung habe die Aufgabe, für kooperative Organisationsstrukturen und eine systematische Weiterbildung des schulischen Personals zu sorgen. Nach aktuellen Studien komme jedoch die Weiterbildung in Deutschland kaum über Maßnahmen der schulinternen Lehrerfortbildung hinaus. Mentoring, Coaching oder kollegiale Hospitation seien eher die Ausnahme. Auch auf das Kooperationsverhalten der Lehrkräfte hätten Schulleitungen einen eher geringen Einfluss. Kollegiale Zusammenarbeit lasse sich viel wirksamer durch kooperationsfördernde Organisationsstrukturen unterstützen. Deutsche Schulleitungen delegierten Führung oft an mehrere Personen, etwa an Lehrkräfte mit Leitungsaufgaben, wie etwa stellvertretende Schulleiterinnen und Schulleiter, Fachkoordinatoren oder Steuergruppen.

Unterrichtsbezogene Führung: Der Schwerpunkt unterrichtsbezogener Führung liege auf der Unterrichtspraxis und der Unterrichtsentwicklung. Nach bisherigen Befunden sei in Deutschland unterrichtsbezogene Führung durch die Schulleitung eher selten und zeige auch nur an leistungsstarken Schulen Wirkung. Für das deutsche Schulsystem lasse sich bislang nur zeigen, dass Schulleitungen Einfluss auf die organisationale Dimension von Schulqualität nehmen können. Ihre herausragende Bedeutung für die Schulqualität, wie sie in der internationalen Forschung beschrieben wird, lasse sich aufgrund fehlender empirischer Befunde für den deutschen Raum (noch) nicht belegen.

Erfolgreiches Schulleitungshandeln in Schulen in sozial deprivierter Lage

Nach den Ergebnissen der Studie wirkt sich Schulleitungshandeln nicht nur auf die Effektivität von Schulen aus (etwa auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler), sondern auch auf die Entwicklung schulischer Strukturen und Prozesse.

Die nachfolgenden Erkenntnisse stammen vornehmlich aus der internationalen Forschung und wurden – soweit möglich – um deutsche Befunde ergänzt.

1. Entwicklung einer Vision

Als Grundlage einer erfolgreichen Schulentwicklung werden gemeinsame Ziel- und Wertvorstellungen der schulischen Akteure betrachtet. Schulen in benachteiligter Lage seien häufig durch Merkmale gekennzeichnet, die Entwicklung verhindern bzw. erschweren. Dazu gehörten geringe Erwartungen der Lehrkräfte an die Leistungsfähigkeit ihrer Schülerinnen und Schüler und die Vorstellung, nur über geringe Einflussmöglichkeiten zu verfügen. Es dominiere eine defizitorientierte Perspektive auf das häusliche Umfeld und die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler.

Nach Erkenntnissen der internationalen Schulforschung besteht ein zentraler Faktor für erfolgreiche Schulen in sozial deprivierter Lage darin, dass das Streben nach sozialer Gerechtigkeit zum zentralen Leitmotiv für die eigene Arbeit und die gesamte Schulentwicklung gemacht wird. Die Defizitperspektive wird aufgebrochen und eine positive, auf Potenziale ausgerichtete Schulkultur entwickelt.

Erfolgreiche Leitungen von Schulen in sozial deprivierter Lage zeigten bestimmte Merkmale: Sie seien davon überzeugt, dass ihre Schülerinnen und Schüler ein Recht auf gute Bildung und bessere Lebenschancen haben und dass Schule dazu verpflichtet ist, ihnen zu diesem Recht zu verhelfen. Sie orientierten sich an Werten wie Gerechtigkeit und Empowerment und formulieren eine Vision, in der Schule ebenso durch Respekt, Fairness und Gleichheit geprägt ist wie durch den persönlichen Einsatz für das Wohlergehen aller.

Erfolgreiche Schulleitungen kommunizierten klar ihre Vision. Es gelinge ihnen, in ihrer Schule ein positives Wertesystem zu schaffen und hohe Erwartungen an Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler zu stellen. Durch eine veränderte Schulkultur (in Richtung Ehrlichkeit, Offenheit und positive Beziehungen) könnten Defizithaltungen aufgebrochen und Probleme mit Schülerverhalten gelöst werden. So wäre es möglich, dass sich Schulen von abweisenden und teilweise gewalttätigen Orten zu einer einladenden und fürsorglichen Umgebung wandeln.

Die persönliche Haltung der Schulleitung entscheide wesentlich über die möglichen Veränderungen in der Schule. Allerdings müssten auch die Lehrkräfte und die Schülerschaft „mitgenommen“ werden und ihre Vorurteile und Defizitvorstellungen ablegen. Darüber hinaus sei es notwendig, institutionelle und organisationale Strukturen zu beseitigen, die zur Festigung und Reproduktion von gesellschaftlicher Ungleichheit beitragen. Sozial gerechte Schulleitungen stellten Diversität und kulturellen Respekt in den Mittelpunkt des Wertesystems der Schule, schafften segregierende Strukturen in der Schule ab (wie etwa spezielle Kursangebote für bestimmte Schülergruppen), thematisierten Aspekte der Ausgrenzung (z.B. im Rahmen von Kooperation und Fortbildungen) und erwarteten von ihren Lehrkräften, dass sie allen Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geben, zu lernen und erfolgreich zu sein.

Eine neue Vision für Schule zu entwickeln sei eine große Herausforderung, insbesondere für Schulen in benachteiligter Lage, die die Ursachen für ihre Probleme bisher vorrangig außerhalb der Schule gesucht haben (wie zum Beispiel im lokalen Umfeld oder in den Herkunftsmilieus der Schülerinnen und Schüler). Schulische Akteure hätten oft Schwierigkeiten, die eigene Perspektive zu verändern und schulinterne Gründe für ausbleibenden schulischen Erfolg zu benennen, ohne dass es dabei zu Schuldzuweisungen kommt.

Es müsse auf jeden Fall vermieden werden, dass Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler das Gefühl bekommen, dass ihnen eine Vision von außen übergestülpt wird. Deshalb sei es wichtig, dass die Schulleitung bei der Entwicklung der Vision eine starke Position vertritt: Sie müsse der Schule den Weg vorgeben, diesen konsequent verfolgen und es nicht akzeptieren, wenn Gründe für Misserfolge bei den ungünstigen Lebensbedingungen der Schülerinnen und Schüler oder im schulischen Umfeld gesucht werden. Schulleitungen müssten auch das von ihnen eingeforderte Verhalten selbst vorleben, um Vorbild für Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler zu sein. Erfolgreiche Schulleitungen zeichneten sich dabei durch Empathie, Leidenschaft und Beharrlichkeit aus.

In erfolgreichen Schulen würden Wertvorstellungen zu einem sichtbaren Teil des schulischen „Klimawandels“. So entstünden Schulgemeinschaften, die sowohl auf gemeinsamen Wertvorstellungen als auch auf unterstützenden und vertrauensvollen Beziehungen basieren.

Aus der bisherigen Schulleitungsforschung lassen sich nach Auffassung der Autorin drei zentrale Strategien ableiten, durch die sich eine Vision erfolgreich vermitteln lässt:

  • „ No Excuses“: Die Schulleitung zeigt Empathie und Verständnis für die Lehrkräfte und für die Schülerinnen und Schüler. Externalisierungsstrategien für schlechte Ergebnisse werden nicht akzeptiert.
  • „ Support“: Die Schulleitung ist für alle Beteiligten ansprechbar und bietet ihnen Unterstützung an.
  • „ Leading by Example“: Die Schulleitung geht mit gutem Beispiel voran und setzt die schulische Vision auch selbst mit Hingabe, Leidenschaft und Nachdruck um.

2. Die Organisation umstrukturieren

Schulische Entwicklung brauche auch entwicklungsförderliche Organisationsstrukturen. Erfolgreichen Schulleitungen von Schulen in deprivierter Lage gelinge es, innerhalb des Kollegiums Teamstrukturen zu etablieren. Gemeinsam könnten die Lehrkräfte dann Wissen und Kompetenzen entwickeln und Kooperation und informelle Gesprächsanlässe zu wesentlichen Elementen ihrer Arbeit machen. Die Schulleitung biete ihnen die Möglichkeit entsprechender Fort- und Weiterbildungen.

Als besondere Herausforderung erweise sich, Teamwork und Kooperationsstrukturen unter ungünstigen Bedingungen zu etablieren (wie zum Beispiel bei mangelnden Ressourcen oder schlechtem Schulklima). Es sei unverzichtbar, dass Schulleitungen die Zusammenarbeit ihrer Lehrkräfte dauerhaft unterstützen.

Erfolgreiche Schulen in sozial deprivierter Lage unterscheiden sich von weniger erfolgreichen auch in ihrem Umgang mit Daten, die die Qualität der schulischen Arbeit bzw. die schulischen Ergebnisse widerspiegeln. In der Forschung wurden für die erfolgreiche datengestützte Unterrichtsentwicklung drei zentrale Faktoren benannt:

  • Die Schulleitung kommuniziert die Agenda an ihre Lehrkräfte und setzt diese konsequent um. Sie gestaltet die organisationalen Routinen für eine datenbasierte Kooperation in Jahrgangsteams.
  • Die Schulleitung verschafft den Lehrkräften ausreichend Freiraum für diese Form der Kooperation.
  • Die Schulleitung ermöglicht den Lehrkräften, ihre diagnostischen Kompetenzen zu erweitern (zum Beispiel mit Unterstützung durch Coaches).

Erfolgreiche Schulen in sozial deprivierter Lage nutzen ihre Daten auch für die Entwicklung unterrichtlicher Ziele und fachlicher Kompetenzen. Gerade bei Schulen in benachteiligter Lage bestehe jedoch die Gefahr, dass sich ihre Akteure durch extern generierte Daten massiv unter Druck gesetzt fühlen. Doch könnten Schulleitungen die extern generierten Daten aber dazu nutzen, Veränderungen anzustoßen. Die Forderung nach externer Rechenschaft könne beispielsweise dabei helfen, Ziele klarer zu formulieren und den Anspruch auf soziale Gerechtigkeit nach außen zu legitimieren. Darüber hinaus könnten externe Daten den schulischen Akteuren wichtige Erkenntnisse vermitteln, zum Beispiel dass Schülerinnen und Schüler aus schwierigen Verhältnissen erfolgreich sein können oder dass die Schulen einen Anteil am Bildungserfolg der Schülerinnen und Schüler haben.

Das schulische Umfeld zähle zu den größeren Herausforderungen für Schulen in benachteiligter Lage, und hier besonders die Zusammenarbeit mit den Eltern. Studien zu erfolgreichem Schulleitungshandeln zeigten in diesem Zusammenhang völlig konträre Ansätze und Ergebnisse: So grenzten sich manche Schulleitungen erfolgreicher Schulen explizit vom schulischen Umfeld ab. Der Großteil erfolgreicher Schulen binde Eltern jedoch bewusst mit ein, was aber nicht immer erfolgreich sei. Ein Ziel der Entwicklungsarbeit bestehe darin, Defizitperspektiven aufzuarbeiten: Die Kinder und Jugendlichen müssten den Glauben an sich (zurück)gewinnen, Eltern die Zweifel an der Leistungsfähigkeit ihrer Kinder verlieren und Lehrkräfte die Erwartungen an ihre Schülerinnen und Schüler deutlich erhöhen. Für viele Familien erfordere dieser Perspektivwechsel eine enorme Anpassungsleistung. Wenn er gelinge, könne er aber sowohl den Unterricht als auch das Führungshandeln positiv beeinflussen.

Die Zusammenarbeit mit Eltern in sozial deprivierten Sozialräumen erweise sich letztlich als anspruchsvoll. Sie gründe auf Vertrauen, das erst einmal gewonnen werden müsse. Schulleitungen müssten deshalb für ein positives Kooperationsklima sorgen und eine Schulkultur entwickeln, in der die Eltern als wertvolle Ressource wahrgenommen werden. Allerdings müssten die Eltern auch für eine Zusammenarbeit motiviert werden. Hier helfe der Kontakt zu sozialen Einrichtungen aus dem schulischen Umfeld. Gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern dieser Einrichtungen lasse sich eine neue Vision von Schule und sozialem Umfeld entwickeln. Darüber hinaus gebe es auch unkonventionelle Formen der Eltern-Aktivierung, wie zum Beispiel Unterrichtsbesuche oder das Auslegen von Flyern an zentralen Orten im Wohnumfeld. Wichtig sei, die Eltern dort abzuholen, wo sie in ihrer Haltung gegenüber Schule stehen. Eine zentrale Aufgabe bestehe darin, die bei den Eltern häufig vorherrschenden Defizithaltungen aufzuarbeiten. Bestimmte Faktoren wirkten sich nachteilig auf die Kooperation mit den Eltern aus, unter anderem eine fehlende schulische Vision, ein fehlender Konsens im Kollegium oder ein hoher Rechenschaftsdruck in den Schulen, der die Energie der Lehrkräfte für die Elternarbeit aufzehrt. Die wissenschaftlichen Befunde zeigten, dass besonders die respektvollen und anerkennenden Ansätze erfolgreich sind, bei denen die Eltern unterstützt und zugleich als Ressource betrachtet werden.

Deutlich wird, dass Schulleitungen von Schulen in benachteiligter Lage davon profitieren können, wenn sie sich mit anderen Schulleitungen vernetzen. Schulpartnerschaften und Netzwerke wirkten sich positiv auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler aus. Die Schulen könnten sich gegenseitig beim Aufbau ihrer Kapazitäten unterstützen, Mentoring-Strukturen entwickeln oder sich aushelfen, wenn es Engpässe bei der Besetzung von Lehrer- und Lehrerinnenstellen gibt. Das deutsche Projekt „Schulen im Team“ konnte zeigen, dass sich vernetzte Schulleitungen als Initiatoren für innovative Ansätze in der eigenen Schule sahen. Schulentwicklung im Netzwerk bedeute allerdings auch, dass die Schulleitungen ihre Werte, Normen und Überzeugungen kritisch hinterfragen (lassen) müssen. Das setze die Bereitschaft voraus, die eigene Rolle als Schulleitung zu reflektieren.

3. Personen fördern

Erfolgreiche Schulleitungen von Schulen in sozial deprivierter Lage zeichneten sich durch positive, persönliche Beziehungen zu den Lehrkräften und durch eine starke Schulgemeinschaft aus. Beides bilde die notwendige Grundlage, um Visionen und Ziele durchsetzen und individuelles Engagement fördern zu können.

Auch das professionelle Lernen von Lehrkräften müsse gefördert werden. Dies setze kooperative Arbeitsstrukturen voraus, zum Beispiel in Form von Lerngemeinschaften. Die Lehrkräfte profitierten vom Wissen der anderen und entwickeln (gemeinsam) anschlussfähige Kompetenzen. Allerdings gebe es auch hier Hürden: Mangelnde finanzielle und personelle Ressourcen stünden der Entwicklung professionellen Lernens wohl am stärksten entgegen. Aber auch der Aufwand sei nicht zu unterschätzen. Neue Visionen, Ziele und Strukturen wirkten sich teils massiv auf die Arbeit der einzelnen Lehrkräfte aus. Häufig forderten sie einen hohen persönlichen Einsatz, der zu deutlichem Widerstand führen kann. Erfolgreiche Schulleitungen müssten somit Wege finden, wie sie einerseits Veränderungen konsequent durchsetzen und andererseits ihre Lehrkräfte motivieren können. Engagement und Motivation könne zum Beispiel dadurch gesteigert werden, indem die Schulleitung in der Schule sichtbar ist und so viel Zeit wie möglich außerhalb ihres Büros verbringt: Sie sollte ansprechbar sein, Erreichbarkeit für Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte signalisieren, sich einen Überblick über die Situation in der Schule verschaffen, Probleme und Entwicklungsbedarfe erkennen und auf Disziplin und Unterrichtsqualität achten. Sichtbarkeit sei ein wichtiges Erfolgsmerkmal schulischer Führung von Schulen in benachteiligter Lage.

Eine zentrale Komponente des Führungshandelns in Schulen in sozial deprivierter Lage sei Fürsorge. Gerade hier seien die Lehrkräfte durch ungünstige Rahmenbedingungen besonders gefordert und aufgrund der organisationalen Strukturen auch häufig unzufrieden. Obwohl das Thema Fürsorge in der Schulleitungsforschung bisher nur wenig berücksichtigt worden sei, lässt sich nach Ansicht der Autorin aus anderen Bereichen ableiten, dass fürsorgliches Handeln der Schulentwicklung dient. Schulleitungen sollten für ein positives Schulklima sorgen, eine risikofreie, sichere Umgebung für ihre Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte etablieren, Kooperation, gemeinsame Ziele und Wertvorstellungen fördern und soziale Netzwerke innerhalb von Schule stärken. Auf diesem Weg könne die Schulleitung zur sozioemotionalen Gesundheit der Lehrkräfte beitragen und deren Resilienz auch in herausfordernden Situationen stärken. Mit fürsorglichem Leitungshandeln lasse sich außerdem das kollektive Verantwortungsbewusstsein im Kollegium erhöhen, was wiederum die Leistungen der Schülerinnen und Schüler positiv beeinflussen könne.

Eine Befragung an deutschen Berufskollegs hatte ergeben, dass Partizipation sowie werte- und normorientierte Führung einen stark positiven Einfluss auf die emotionale Verbundenheit („affektive Commitment“) der Lehrkräfte haben. In der Folge würden sich auch die Anstrengungsbereitschaft, die Identifikation mit der Schule, die Arbeitszufriedenheit sowie die Verweildauer der Lehrkräfte an der Schule erhöhen.

4. Den Unterricht managen

Schulleitungen erfolgreicher Schulen in sozial deprivierter Lage legten einen klaren Fokus auf das akademische Lernen und nicht auf das soziale Lernen. Gleiches zeige sich an deutschen Schulen, in denen der Anteil an Schülern aus sozial benachteiligten Milieus erhöht ist. Hier widmeten die Schulleitungen den unterrichtlichen sowie organisationalen Aspekten mehr Zeit (gegenüber administrativen Tätigkeiten) als in Schulen mit weniger benachteiligten Schülerinnen und Schülern.

Das bedeutet, dass der Fokus aufs Lehren und Lernen verlagert werden sollte, was jedoch nicht bedeutet, dass soziales Lernen keine Rolle mehr spielt. Im Gegenteil: Gerade in Schulen in benachteiligter Lage schaffe soziales Lernen die notwendige Voraussetzung für akademisches Lernen. Schulleitungen sollten zu Beginn der Entwicklungsarbeit einen sicheren Ort gestalten, an dem die Schülerinnen und Schüler sich auf das Lernen konzentrieren können und die Lehrkräfte auf das Lehren. Die Umwandlung der Schule in eine „Lernoase“ zählte in einer englischen Langzeitstudie ebenso zu den ersten Entwicklungsschritten von Schule wie auch die Einführung eines positiven Verhaltensmanagements. Gerade schwieriges Schülerverhalten und negative Einstellungen aufseiten der Lehrkräfte stünden zentralen Veränderungen oft im Wege. Internationale Studien belegten, dass es mit Blick auf die Kinder und Jugendlichen förderlich ist, positives Verhalten zu bestärken. Schulleitungen seien dann erfolgreich, wenn sie Gründe für Fehlverhalten mit den Schülerinnen und Schülern aufarbeiten und eine Vertrauensbasis aufbauen konnten.

Auch müsse Unterrichtsentwicklung ermöglicht werden. Bei erfolgreichen Schulen in sozial deprivierter Lage in England, Amerika und Australien sei festgestellt worden, dass die Schulleitungen die Unterrichtsentwicklung unterstützten. Umgekehrt arbeiteten an Schulen mit schlechten Ergebnissen Führungspersonen, die vergleichsweise unerfahren hinsichtlich einer unterrichtsbezogenen Führung waren. Sie investierten nur wenig Zeit in eine Verbesserung von Curriculum und Unterricht. Entsprechend hätten auch kaum klare Erwartungen an die Lehrkräfte oder förderliche Kooperationsstrukturen existiert. Mäßige und schlechte Leistungen seien in hohem Maße toleriert worden und die Schulleitungen gingen nur selten in die Klassen, um den Unterricht zu überprüfen. Demgegenüber zeigten erfolgreiche Schulen in deprivierter Lage systematische Ansätze von Unterrichtsentwicklung. Dazu gehörten gemeinsame Unterrichtsvorstellungen oder die regelmäßige Anwesenheit der Schulleitung im Unterricht. Nur darüber könnten unterrichtliche Fortschritte oder Entwicklungs- und Weiterbildungsbedarfe erkannt werden. Neben der reinen Präsenz spiele aber auch die Form der Rückmeldung an die Lehrkräfte eine wichtige Rolle. Als exzellent ausgezeichnete Schulleitungen hätten angegeben, in ihren Rückmeldungen weniger auf die Unterrichtsmethoden oder die Oberflächenstruktur des Unterrichts abzuzielen. Wichtiger sei ihnen gewesen, wie sich die Schülerinnen und Schüler mit den Unterrichtsinhalten auseinandersetzten, ob sie diese verstanden und welcher Umgangston bzw. welches Unterrichtsklima vorherrschte.

Für die Schulleitungen seien nicht die Handlungen der Lehrkräfte von Interesse gewesen, sondern wie sich diese Handlungen auf den Unterricht sowie die Schülerinnen und Schüler ausgewirkt hatten.

Fazit

Die aktuellen Befunde zu Schulleitungen von Schulen in sozial deprivierter Lage zeigen nach Auffassung der Autorin, dass es nicht den einen Führungsstil oder die eine Führungspersönlichkeit gibt, die eine erfolgreiche Schulentwicklung versprechen. Erfolgreiche Führung fuße auf verschiedenen Strategien, die sich am Entwicklungsstand und den spezifischen Bedarfen einer Schule orientieren.

Schulleitungen von Schulen in sozial deprivierter Lage sollten einen Fokus auf Führungsansätze legen, die den Blick der Lehrkräfte auf sich selbst und ihre Schülerinnen und Schüler verändern sowie die emotionale Verbundenheit („affektives Commitment“) des schulischen Personals und die organisationale Resilienz erhöhen.

Bisherige Studien zeigten, dass auch die Reihenfolge der strategischen Entwicklungsschritte für einen erfolgreichen Wandel wichtig ist. Abgeleitet von bereits erfolgreichen Schulen könnten Strategien der ersten und zweiten Generation unterschieden werden. Zu den Strategien der ersten Generation zählt zum Beispiel das Formulieren einer klaren Entwicklungsvision mit Fokus auf sozialer Gerechtigkeit, auf das Lehren und Lernen sowie auf hohe Erwartungen an die Leistungen der Schülerinnen und Schüler. Darüber hinaus sorge die Schulleitung für eine sichere, respektvolle und freundliche Lernumgebung mit klaren Regeln für alle Beteiligten. Erst wenn in diesen Bereichen Erfolge verzeichnet werden, folgten die Strategien der zweiten Generation. Bei ihnen liege der Schwerpunkt auf der organisationalen Umstrukturierung. Erfolgreiche Schulleitungen schafften hier zum Beispiel geeignete Kooperations-, Partizipations- und Evaluationsstrukturen. Gute Schulentwicklung verlange schließlich von allen Beteiligten ein hohes Maß an Wandlungs- und Innovationsfähigkeit. Diese Fähigkeiten müssten in der Regel erst noch erworben oder aufgebaut werden. Schulleitungen stünden somit vor der Aufgabe, die Einstellungen und Kompetenzen ihrer Lehrkräfte so zu fördern, dass diese sich fortwährend weiterentwickeln können. Dafür gelte es, die spezifischen Bedarfe innerhalb und außerhalb von Schule zu identifizieren, kontextsensible Entscheidungen zu treffen und geeignete Strategien zu implementieren.

Die genannten Anforderungen seien immer im Kontext der spezifischen Strukturen und Verhältnisse im deutschen Schulsystem zu betrachten. Bisher würden deutsche Schulleitungen zum Beispiel nur wenig Zeit mit der Organisations- und Personalentwicklung verbringen. Gerade Schulen in sozial deprivierter Lage seien eher mit der Lösung akuter Probleme beschäftigt. Schulleitungen bräuchten also größere Zeitkontingente, nicht zuletzt für eine stärkere Präsenz im Unterricht. Damit das gelingen könne, müssten sie Aufgaben stärker delegieren (bzw. Führung teilen) und auch die dafür notwendigen Kompetenzen erwerben. Viele Aspekte der Schulentwicklung verlangten ein großes Maß an Verständnis und Offenheit aufseiten der Lehrkräfte. Schulleitungen seien deshalb gefordert, auch ihre kommunikativen Kompetenzen zu entwickeln. Darüber hinaus müssten sie die strukturellen Voraussetzungen schaffen, damit Schule sich wandeln und einer neuen Vision folgen kann.

Vor diesem Hintergrund sollte sich die deutsche Schulforschung künftig auch stärker den Unterstützungs- und Weiterbildungsbedarfen widmen. Hier wären auch die institutionellen Rahmenbedingungen gezielter in den Blick zu nehmen, da sie maßgeblich über Chancen und Grenzen von Führung in Schule mitbestimmen.

Schließlich sei festzustellen, dass die deutsche Schulleitungsforschung bisher nur unzureichend zwischen Schulen mit besonderem Entwicklungsbedarf (wie eben Schulen in sozial deprivierter Lage) und Schulen ohne besonderen Entwicklungsbedarf unterscheidet. Dabei wäre es gerade für Schulen in benachteiligter Lage wichtig, die komplexen Zusammenhänge zwischen externen und internen Rahmenbedingungen, Schulleitungshandeln und Wirkungen besser zu verstehen.