Handlungsempfehlungen

Inklusion in der beruflichen Bildung

Thema

Umsetzungsstrategien für eine inklusive berufliche Ausbildung

Herausgeberschaft

Bertelsmann Stiftung

Autoren/Autorinnen

Dieter Euler/Eckart Severing

Erscheinungsort

Gütersloh

Erscheinungsjahr

2015

Stiftungsengagement

Bertelsmann Stiftung

Literaturangabe

Eckart Severing/Dieter Euler: Inklusion in der beruflichen Bildung. Umsetzungsstrategien für inklusive Ausbildung. Hrsg. v. Bertelsmann Stiftung. Gütersloh 2015.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Hintergrund ist, dass sich Deutschland mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 dazu verpflichtet hat, die Gesellschaft – und somit auch die Berufsbildung – so zu gestalten, dass alle Menschen gleichberechtigt an ihr teilhaben können. Auch wenn es im Bereich der Berufsbildung schon eine Vielzahl von Initiativen und Projekten gibt, ist noch kein inklusives Berufsbildungssystem umgesetzt. Jugendliche mit Behinderungen erhalten noch zu selten Zugang in das reguläre Ausbildungssystem.

Die Initiative „Chance Ausbildung – jeder wird gebraucht“ hat 2014 ein Positionspapier vorgelegt, in dem die aus ihrer Sicht wichtigsten Veränderungsbedarfe formuliert wurden, um eine inklusive Berufsausbildung zu erreichen. Die Initiative engagiert sich für mehr Chancengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit im Berufsausbildungssystem. An der Initiative beteiligen sich zwölf Ministerien aus acht Bundesländern, die Bundesagentur für Arbeit und die Bertelsmann Stiftung. Nun geht es der Initiative darum, dass diese Vorschläge auch in der Praxis umgesetzt werden.

Das vorliegende Umsetzungspapier der Initiative wurde von Prof. Dr. Dieter Euler (Institut für Wirtschaftspädagogik, Universität St. Gallen, Schweiz) und Prof. Dr. Eckart Severing (Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) gGmbH, Nürnberg) verfasst. Es zeigt auf, welche guten Beispiele in der Berufsbildung bereits existieren und welche Herausforderungen noch zu bewältigen sind: Welche Schritte auf dem Weg zu mehr Inklusion haben sich in der Bildungspraxis bereits als erfolgreich erweisen und welche Maßnahmen müssen noch umgesetzt werden?

Wichtige Ergebnisse

Dargestellt werden die Handlungsempfehlungen der Initiative in fünf Gestaltungsfeldern. Dabei werden jeweils die Adressaten und der Handlungsbedarf benannt.

1. Gestaltung von Berufsorientierung und Berufsvorbereitung

Die Bundesländer sollten

  • innerhalb bestehender Berufsorientierungsangebote eine „Inklusionsberatung“ für Jugendliche mit Behinderung einrichten oder verstärken,
  • „Inklusionsberaterinnen und -berater“ mit spezifischen Kompetenzen einsetzen,
  • fachliche Ausbildungsanteile in der Berufsvorbereitung aus den Berufsbildern anerkannter Ausbildungsberufe aufnehmen und dabei möglichst als Ausbildungsbausteine strukturieren, um eine Anrechnung auf nachfolgende Ausbildungsphasen zu erleichtern (Aufgabe zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit),
  • Maßnahmen der Berufsvorbereitung zumindest teilweise in inklusiven Lernumgebungen in berufsbildenden Schulen oder Betrieben organisieren,
  • individuelle Förderung als Prinzip umsetzen: dazu gilt es, Kooperationen der mitwirkenden Bildungsinstitutionen Schule, Berufsschule und Betrieb zu etablieren oder zu verstärken und Kooperationsmodelle dieser Art zu erproben und zu evaluieren.

2. Gewinnung betrieblicher Ausbildungsressourcen

  • Die Wirtschaftsverbände sollten Informations- und Beratungsangebote für Unternehmen verstetigen – möglichst integriert in Regelangebote des Arbeitgeberservice der Bundesagentur für Arbeit oder der Ausbildungsberatung der Kammern.
  • Die Träger der Kampagnen und die Forschungsförderung sollten die Wirkungen der Imagekampagnen evaluieren.
  • Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Bundesagentur für Arbeit sollte die Maßnahme „Begleitete betriebliche Ausbildung“ in Bezug auf die Potenziale einer erfolgreichen betrieblichen Ausbildung von Jugendlichen mit Behinderung evaluieren.
  • Die Bundesagentur für Arbeit, die Regionaldirektionen und Agenturen sollten regelmäßige Branchendialoge des Arbeitgeberservice der Bundesagentur zur betrieblichen Ausbildung von Jugendlichen mit Behinderung durchführen.
  • Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sollte die Rahmenbedingungen und die Förderung verbessern.
  • Die Bundesagentur für Arbeit, die Integrationsfachdienste und die Bildungsträger sollten den externen Support verstärken.
  • Das Bundesministerium für Bildung und Forschung und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sollte dafür sorgen, dass die rehaspezifische Kompetenzentwicklung im Ausbildungsbetrieb optimiert, mit externem Support verzahnt und der Aufwand verringert wird.

3. Unterstützung der beruflichen Schulen

  • Die Bundesländer sollten Aktionspläne für die strategische Entwicklung einer inklusiven Berufsbildung vereinbaren.
  • Die Kultusministerien der Bundesländer sollten Organisationsmodelle zur Nutzung sonderpädagogischer Expertise in Regelberufsschulen konkretisieren, Kooperationsmodelle für das Zusammenwirken multiprofessioneller Teams konkretisieren und erproben.
  • Die Bundesländer, Universitäten und Lehrerbildungsseminare sollte die didaktischen und kulturellen Prinzipien einer inklusiven Berufsbildung in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen und in der Schulentwicklung verankern.
  • Die Bundesländer und Kommunen sollten die materielle Ausstattung beruflicher Schulen an die Anforderungen einer inklusiven Berufsbildung anpassen.

4. Ausrichtung von Fördereinrichtungen mit sonderpädagogischen Kompetenzen auf eine inklusive Berufsausbildung

  • Der Gesetzgeber bzw. das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sollte Änderungen im SGB durchführen.
  • Die Bundesagentur für Arbeit sollte die Handhabung der Förderinstrumente verbessern mit dem Ziel, einfache Übergänge zwischen verschiedenen Ausbildungsmaßnahmen, eine durchlässige Förderstruktur und einen leichten Wechsel in betriebsnähere Formen der Ausbildung zu schaffen.
  • Die Berufsbildungswerke sollten zu regionalen Kompetenzzentren ausgebaut werden.
  • Die Berufsbildungswerke und andere Einrichtungen nach § 35 SGB III sollten Geschäfts- und Vermarktungsmodelle für Sondereinrichtungen der Ausbildung oder Beschäftigung von Menschen mit Behinderung für dezentrale Supportleistungen entwickeln.
  • Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Werkstätten für behinderte Menschen sollten die Chancen für leistungsfähige Werkstattbeschäftigte für Beschäftigung und Ausbildung außerhalb der Werkstätten verbessern.
  • Die Berufsbildungswerke, die Werkstätten für behinderte Menschen und andere Einrichtungen sollten Personalentwicklung und Kompetenzaufbau bei den Beschäftigten von Sondereinrichtungen umsetzen.

5. Curriculare Voraussetzungen

Zum einen besteht spezifischer Handlungsbedarf: Die Fachpraktiker-Ausbildung sollte reformiert werden. Dazu müsste geklärt werden, welche Anschlusswege die Absolventinnen und Absolventen dieser Ausbildung einschlagen können. Es seien Alternativen zu entwickeln, die den Jugendlichen mit Behinderung geradlinige Wege zu einem Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf ermöglichen. Darüber hinaus sollte die Möglichkeit von Teil- oder Zwischenabschlüssen geprüft werden.

Zum anderen besteht übergreifender Handlungsbedarf: Die Flexibilität des Regelsystems der Berufsbildung müsste erhöht werden, um seine Potenziale im Umgang mit der Unterschiedlichkeit der Jugendlichen auszuschöpfen. Davon würden nicht nur, aber ganz wesentlich Jugendliche mit Behinderung profitieren. Ziel sollte es sein, durch mehr Flexibilität individuellere Ausbildungswege zu ermöglichen, etwa durch Ausbildungszeiten in Bandbreiten, standardisierte Ausbildungsbausteine oder Berufsbildungsabschnitte, die bei einer Pause oder einem Abbruch Zwischenzertifikate für Teilqualifikationen ermöglichen. Dafür seien gesetzliche Veränderungen notwendig, aber auch Innovationen in der Umsetzungspraxis.