Studie

Inklusive Bildung in Deutschland. Ländervergleich

Thema

Inklusives Bildungssystem

Herausgeberschaft

Friedrich-Ebert-Stiftung

Autoren/Autorinnen

Valerie Lange

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2017

Stiftungsengagement

Friedrich-Ebert-Stiftung

Literaturangabe

Valerie Lange: Inklusive Bildung in Deutschland. Ländervergleich. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung 2017.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Am 13. Dezember 2006 wurde die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen. Nach der Ratifizierung der BRK durch die Bundesregierung trat sie am 26. März 2009 in Deutschland in Kraft. Damit war ein Paradigmenwechsel für das deutsche Bildungssystem verbunden: Die separierende Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist seitdem nicht mehr mit geltendem Recht vereinbar. Laut BRK müssen alle Schülerinnen und Schüler Zugang zu allgemeinbildenden Schulen erhalten, und die Bundesländer sind dazu verpflichtet, ihr Bildungswesen inklusiv zu gestalten.

Seit 2009 haben zahlreiche Bundesländer Aktionspläne aufgelegt, Konzepte entwickelt, Beratungs- und Unterstützungszentren eingerichtet und Lehrkräfte fortgebildet, um ein inklusives Schulsystem zu verwirklichen. In der Broschüre wird die konkrete Umsetzung im Detail betrachtet. Es wird ein Überblick über den aktuellen Stand in allen Ländern gegeben, zudem werden die verschiedenen Ansätze verglichen.

Seit Ende 2015 hat die Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Bildungs- und Hochschulpolitik, 16 Länderhefte zu Inklusion in der Schule und der beruflichen Bildung erstellt. Jedes Heft beleuchtet sowohl den aktuellen Stand der Umsetzung als auch die laufende politische Debatte zum Thema.

Um verschiedene Bausteine eines inklusiven Bildungssystems zu analysieren, wurden verschiedene Materialien ausgewertet: statistische Daten zu Förder-, Inklusions- und Exklusionsquoten, die Schulgesetzgebung, politische Konzepte auf dem Weg zur inklusiven Bildung, die Verankerung inklusiver Elemente in der beruflichen Bildung, die Finanzierung sowie qualitative Aspekte inklusiver Bildung.

Wichtige Ergebnisse

Die Auswertung der Bundesländer zeigt:

Drei Bundesländer (Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein) sind bei der Umgestaltung ihres Bildungssystems besonders konsequent vorgegangen und haben das Ziel eines inklusiven Bildungssystems – rein quantitativ – fast erreicht: Bremen und Schleswig-Holstein haben Exklusionsquoten von 1,1 bzw. 2,2 Prozent. Nicht erhoben wurde, ob die Lehr- und Lernkultur an den Schulen in diesen beiden Bundesländern ebenfalls inklusiven Standards entspricht. Dies könne nur durch weiterführende, qualitative Untersuchungen festgestellt werden, so die Autorin.

Auch die anderen Bundesländer haben Schritte auf dem Weg zu einem inklusiven Bildungssystem eingeleitet. Nicht alle haben jedoch ihre Schulgesetze den Vorgaben der BRK angepasst. In Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen besteht ein Ressourcenvorbehalt für die Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der allgemeinen Schule. In den schulgesetzlichen Regelungen von Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt ist zudem kein Vorrang des inklusiven Unterrichts eingeräumt.

Die Autorin stellt fest, dass die weiteren Schritte zur Umgestaltung des Bildungswesens über die Bundesländer hinweg grob in drei Modelle eingeteilt werden können:

Modell 1: Inklusiver Unterricht an allgemeinen Schulen

Modell 2: Profilschulen

Modell 3: Schwerpunktschulen

Die Länder würden diese Ansätze allerdings auf unterschiedliche Weise mit Leben füllen und ihr Bildungssystem damit auch unterschiedlich stark inklusiv gestalten.

In Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen wird davon ausgegangen, dass grundsätzlich alle Schulen den Auftrag erfüllen müssen, inklusiv zu unterrichten (Modell 1). Während Bremen die allgemeinen Schulen durch eine nahezu vollständige Verlagerung der sonderpädagogischen Ressourcen bei der inklusiven Schulentwicklung unterstützt, bleiben die Schulen in Baden-Württemberg weitgehend auf sich allein gestellt und sie erhalten auch keine systemische Ressourcenzuweisung.

Bayern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt setzen auf die Einrichtung von Profilschulen, die sich freiwillig zu einer inklusiven Schule entwickeln (Modell 2).

In Rheinland-Pfalz und Hessen hingegen werden Schwerpunktschulen vom Land beauftragt (Modell 3).

Auch in Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern ist die Einrichtung von Schwerpunktschulen Bestandteil der inklusiven Schulentwicklung (Kombination aus Modell 1 und 3).

Sachsen stellt eine Ausnahme dar, weil bis zum Frühjahr 2017 nur ein Modellversuch zu inklusiver Bildung besteht.

Ganz unabhängig davon, welches Modell die Bundesländer gewählt haben, gibt es aus den Ländern Berichte über eine zu geringe Ausstattung mit sonderpädagogischen Ressourcen. Die Autorin weist darauf hin, dass sie an dieser Stelle nicht beurteilt werden kann, ob Forderungen nach zusätzlichem Personal tatsächlich berechtigt sind. Doch könne sicher gesagt werden, dass eine ressourcenneutrale Umsetzung inklusiver Bildung – insbesondere dann, wenn das Förderschulsystem und damit eine Doppelstruktur aufrechterhalten wird – kaum möglich ist.

Gerade die Bundesländer, die die Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems bislang nur zögerlich angegangen sind, müssten daran erinnert werden, dass die Gestaltung eines inklusiven Bildungswesens und damit die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention die Einhaltung von geltendem Recht ist. Hinzu komme, dass die Lernbedingungen in Förderschulen bei über 70 Prozent der Schülerinnen und Schüler nicht dazu führen, dass zumindest ein Hauptschulabschluss erreicht wird. Alle Länder seien also in der Pflicht, das Ziel der inklusiven Bildung konsequent zu verfolgen – und dabei das Verständnis inklusiver Bildung der BRK zugrundezulegen.