Studie

Mehr Mut zu digitaler Bildung

Thema

Digitale Bildung an Schulen im internationalen Vergleich

Herausgeberschaft

Vodafone Stiftung Deutschland

Autoren/Autorinnen

Johanna Börsch-Supan/Inger Paus

Erscheinungsort

Düsseldorf

Erscheinungsjahr

2019

Stiftungsengagement

Vodafone Stiftung Deutschland

Literaturangabe

Vodafone Stiftung Deutschland (Hrsg.): Mehr Mut zu digitaler Bildung. Einstellungen der Deutschen gegenüber digitalen Innovationen im Bereich Bildung im internationalen Vergleich. Düsseldorf 2019.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Im Mittelpunkt der Kurzstudie der Vodafone Stiftung Deutschland steht die Frage, wie die deutsche Bevölkerung gegenüber digitalen Innovationen im Bereich Bildung eingestellt ist – und wie diese Einschätzungen im internationalen Vergleich eingeordnet werden können.

Basis der Studie sind bildungsrelevante Daten aus einer internationalen, bevölkerungsrepräsentativen Studie, die das Meinungsforschungsinstitut Ipsos Public Affairs im Auftrag des Vodafone Instituts für Gesellschaft und Kommunikation im Juni 2018 durchgeführt hat. Dabei handelte es sich um eine quantitative Online-Erhebung mit 9.005 Befragten im Alter zwischen 18 und 65 Jahren in neun Ländern (Deutschland, Italien, Spanien, Bulgarien, Vereinigtes Königreich, Schweden, China, USA, Indien). Ausführliche Informationen zum Studiendesign und zu anderen Bereichen der Digitalisierung (Gesellschaft, Politik etc.) finden sich in der Publikation „The Tech Divide“ des Vodafone Instituts.

Wichtige Ergebnisse

Ergebnisse der Befragung

Einstellung gegenüber der Digitalisierung (Studie "The Tech Divide")

Die Einstellungen zur Digitalisierung werden im Wesentlichen von sechs Faktoren beeinflusst: der persönlichen Definition der Digitalisierung, der digitalen Kompetenz, dem jeweiligen Stand der industriellen Entwicklung, dem Mediendiskurs, der kulturellen Prägung und der persönlichen Erfahrung.

In den meisten der befragten Länder steht eine Mehrheit der Menschen der Digitalisierung positiv gegenüber. Mehr als 60 Prozent aller Befragten gaben an, diese Entwicklung sehr positiv oder positiv zu sehen.

Allerdings werden große regionale Unterschiede deutlich:

  • In den westeuropäischen Ländern und in den USA reagieren nur etwa die Hälfte der Menschen euphorisch auf die Digitalisierung: Hier sehen viele Menschen den vermeintlich sicheren Status Quo bedroht. Anders sieht es in den wirtschaftlich aufstrebenden Ländern wie China und Indien aus, wo 89 bzw. 83 Prozent der befragten Menschen die Digitalisierung als sehr positiv oder positiv bewerten, sodass von einer Digitalisierungs-Euphorie gesprochen werden kann. In diesen Ländern verläuft die wirtschaftliche Transformation parallel zur Etablierung der digitalen Technologien.
  • In den wirtschaftlich aufstrebenden Ländern sind praktisch keine geschlechterspezifischen Unterschiede festzustellen. Dagegen sind die Frauen in Europa in Bezug auf Digitalisierung weit weniger euphorisch als Männer. In Großbritannien und Deutschland sind jeweils nur rund 25 Prozent der Frauen positiv gegenüber der Digitalisierung eingestellt.

Nutzen und Gefahren der Digitalisierung

  • Den größten Nutzen der Digitalisierung sehen die Befragten vor allem in drei Bereichen: der Einsparung von Ressourcen durch Smarte Systeme, der Verbesserung durtch Mobilität und mehr Effizienz durch Vernetzung. Dem Einsatz von Robotern wird dagegen weit weniger Potenzial zugeschrieben. Smart-City-Technologien haben eine höhere Akzeptanz und werden als größere Digitalisierungsvorteile als etwa Gesundheitsinnovationen wahrgenommen. Als mögliche Erklärung wird benannt, dass Smart-City-Szenarien greifbarer und und die notwendigen Daten weit weniger sensibel sind.
  • Über die Hälfte der Befragten gibt an, dass künftig Maschinen und nicht Menschen Entscheidungen treffen werden und somit die Kontrolle durch den wachsenden Einfluss Künstlicher Intelligenz (KI) zu verlieren. Die größten Gefahren im Einsatz neuer Technologien sehen die Menschen in Cyberangriffen (48 Prozent), dem geringeren Bedarf an Arbeitskräften (45 Prozent) und dem Rückgang zwischenmenschlicher Beziehungen (38 Prozent).

Einstellung gegenüber digitaler Bildung (Kurzstudie "Mehr Mut zu digitaler Bildung")

1. In Deutschland wird die digitale Bildung in Schule und Kindergarten als schlecht bewertet.

Nur 23 Prozent der Deutschen bewerten die digitale Bildung an Schulen in Deutschland als gut oder sehr gut. Ein gutes Drittel (34 Prozent) hingegen ist der Meinung, dass die digitale Bildung an deutschen Schulen schlecht oder sogar sehr schlecht ist. Noch unzureichender wird die Situation an Kindergärten eingeschätzt: Nur 12 Prozent der Befragten sind von der Qualität der digitalen Förderung überzeugt. Somit wird die digitale Bildung genau an jenen Bildungsinstitutionen am schlechtesten bewertet, wo Kinder am frühesten einen souveränen wie kreativen Umgang mit digitalen Technologien und Innovationen erleben und erlernen können.

Im Vergleich zu Befragten in anderen Ländern bewerten die Deutschen die digitale Bildung in Schule und Kindergarten im eigenen Land mit Abstand am schlechtesten. In Deutschland überwiegen dabei die negativen Einschätzungen der digitalen Bildung deutlich gegenüber den positiven Bewertungen.

Großen Nachholbedarf in der digitalen Bildung in Kita und Schule sehen die Befragten vor allem in den süd- und osteuropäischen Ländern, Italien, Spanien und Bulgarien, am meisten jedoch in Deutschland.

Insgesamt wird die digitale Aus- und Weiterbildung in sämtlichen Lebensphasen (Kita, Schule, Universität, Unternehmen, eigenständige Weiterbildung) in Indien, den USA und China am besten bewertet.

2. Investitionen in digitale Bildung als Schlüssel für Zukunftsfähigkeit

Welche staatlichen Maßnahmen sind aus Sicht der Menschen am wichtigsten, um Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger dabei zu unterstützen, im digitalen Zeitalter mithalten zu können? In Deutschland werden umfangreiche Investitionen in die digitale Bildung für am wichtigsten gehalten (44 Prozent), dicht gefolgt von umfangreichen Investitionen inm Bereich Digitalisierung und Infrastruktur (41 Prozent).

Mit dieser Priorisierung von Bildungsinvestitionen unterscheiden sich die Deutschen von den Befragten in anderen Ländern: In den weiteren europäischen Ländern sowie in den USA und Indien legt die Bevölkerung den größten Wert auf die wirtschaftliche Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen und Branchen, die in Bezug auf den technologischen Wandel (noch) rückständig sind.

3. Geringe Begeisterung für digitale Innovationen in Bezug auf Lern- und Lehrmethoden an Schule

Die Befragten aus Deutschland halten zwar Investitionen in der digitalen Bildung für sehr wichtig, doch sind sie vom Einsatz digitaler Innovationen im Schulbereich wenig begeistert. Am meisten Zuspruch findet in Deutschland weiterhin der klassische Frontalunterricht durch eine Lehrkraft (50 Prozent). 69 Prozent der Menschen in Deutschland lehnen ab, dass Kinder hauptsächlich digital unterstützt lernen. Nur ein knappes Drittel (31 Prozent) spricht sich dafür aus, digitale Lernwerkzeuge zu integralen Bestandteilen des Unterrichts zu machen und nur 28 Prozent befürworten die Unterstützung der Lernentwicklung durch Algorithmen (z.B. durch die digitale Erfassung von Lernfortschritten). Lediglich  ein Fünftel kann sich vorstellen, dass die Lehrkräfte durch Roboter an Schulen unterstützt werden. 90 Prozent lehnen es ab, dass Kinder nicht mehr regelmäßig zur Schule gehen und stattdessen vernetzte Lernmethoden eingesetzt werden, die den Unterricht auch außerhalb der Schule ermöglichen.

Wie in Deutschland stehen auch Befragte in den anderen europäischen Ländern digitalen Methoden im Unterricht skeptisch gegenüber. Frontalunterricht findet in manchen Ländern sogar noch mehr Zuspruch als in Deutschland (Vereinigtes Königreich und Schweden: 60 Prozent). Den größten Zuspruch erhalten digitale Innovationen in den Lehr- und Lernmethoden an Schulen in Indien und China.

Bewertung der Befragungsergebnisse

Nach Ansicht der Vodafone Stiftung zeigen die Daten der Kurzstudie, dass die Deutschen die digitale Bildung als Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit ihres Landes betrachten. Es werde deutlich, dass sich die Befragten darüber bewusst sind, dass Deutschland hier großen Nachholbedarf hat. Gleichzeitig lehne die Mehrheit aber einen grundsätzlichen Wandel an Schule in Bezug auf digitale Lehr- und Lernmethoden ab. Derzeit fehle es an einer breiten Bereitschaft, grundlegende (digitale) Veränderungsprozesse an Schule voranzutreiben, um eine zukunftsweisende Bildung zu sichern. Das sollte sich nach Ansicht der Stiftung ändern, damit die Potenziale der Digitalisierung für Bildung genutzt werden können. Die Akzeptanz für digitale Innovationen in der Bildung zu steigern, sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam arbeiten müssten. Neben dem Ausbau der digitalen Infrastruktur, der flächendeckenden Schulausstattung mit digitalen Technologien, technisch spezialisierten Personal an Schule sowie der verstärkten Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften brauche es vor allem eine gemeinsame konkrete Vorstellung davon, wie die Schule der Zukunft aussehen soll:

  • Welche Kompetenzen sollen Kindern und Jugendlichen vermittelt werden, sodass sie die digitale Welt souverän und aktiv gestalten können?
  • Und welche Rolle sollen Lehrkräfte zwischen algorithmen-basierten personalisierten Lernplänen und Lehr-Robotern einnehmen, um die Kinder und Jugendlichen bestmöglich auf die Zukunft vorzubereiten?

In diesem Bereich haben Pilotprojekte, Modellschulen und außerschulische Lernorte nach Auffassung der Vodafone Stiftung eine große Bedeutung, die derzeit in besonderer Weise von Stiftungen und anderen nicht staatlichen Akteuren gefördert würden. Ihr Mehrwert seien pädagogische Konzepte, die digitale Innovationen für Schulen nutzbar machen und nach ihrer Erprobung in die Fläche getragen werden können. Die Sichtbarkeit dieser Leuchttürme könne nicht nur Begeisterung bei Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern sowie Eltern für digitale Bildung entfachen, sondern auch Vertrauen in digitale Lehr- und Lernmethoden schaffen. Deutschland brauche mehr Mut zur digitalen Transformation an Schule.