Handlungsempfehlungen

Münstersche Empfehlungen zur Förderung begabter und besonders leistungsfähiger Kinder und Jugendlicher

Thema

Begabungsförderung bei Kindern und Jugendlichen

Herausgeberschaft

Karg-Stiftung, Stiftung Internationales Centrum für Begabungsforschung

Erscheinungsort

Frankfurt am Main/Münster i. Westfalen

Erscheinungsjahr

2015

Stiftungsengagement

Karg-Stiftung, Stiftung Internationales Centrum für Begabungsforschung

Literaturangabe

Karg-Stiftung/Stiftung Internationales Centrum für Begabungsforschung (Hrsg.): Münstersche Empfehlungen zur Förderung begabter und besonders leistungsfähiger Kinder und Jugendlicher. Frankfurt am Main/Münster i. Westfalen 2015.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat 2015 die „Förderstrategie für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler“ verabschiedet und damit der individuellen Förderung der besonders begabten und leistungsfähigen Kinder und Jugendlichen einen hohen Stellenwert gegeben. In der Förderstrategie werden Möglichkeiten und Instrumente benannt, wie die Bildungs- und Erziehungsbedingungen für junge Menschen mit hohen Leistungspotenzialen verbessert werden können und es werden Wege zu einer gelingenden Begabungs- und Begabtenförderung aufgezeigt. Die KMK-Strategie stellt eine Selbstverpflichtung der Länder dar, in der Bildungsplanung die Bedürfnisse des begabten Kindes stärker zu berücksichtigen. Hinzu kommt der Appell, die Begabtenförderung in der pädagogischen und psychologischen Praxis zu verstärken.

Die Förderung besonders begabter und leistungsfähiger Schülerinnen und Schüler wird in der KMK-Strategie als zentrales pädagogisches und psychologisches Arbeitsfeld benannt, als Kernauftrag aller Schulformen und Schulstufen und aller Bildungseinrichtungen. Im Zentrum stehen die einzelne Schule und der Unterricht. Dazu bedürfe es in allen Phasen der Lehrerbildung erhöhter Anstrengungen, um „die Kenntnisse und Kompetenzen von Lehrkräften im Bereich der schulischen und außerschulischen Förderung von leistungsstarken und potenziell leistungsfähigen Schülerinnen und Schülern auszubauen“.

Die Karg-Stiftung und die Stiftung Internationales Centrum für Begabungsforschung (ICBF-Stiftung) gehen davon aus, dass der KMK-Strategie nun konkrete inner- und außerschulische Maßnahmen folgen werden. Es wurden Empfehlungen entwickelt, die zukünftige Aktivitäten in der Begabtenförderung motivieren und sinnvoll platzieren helfen sollen.

Insgesamt sollte es vordringliches Ziel einer Förderinitiative für besonders Begabte und Leistungsfähige sein, Schulen und schulische Netzwerke bei der (Weiter-)Entwicklung einer begabungsförderlichen Schul- und Unterrichtskultur und in ihrer Vernetzungs- und Übergangskompetenz zu unterstützen. Dazu gehört, Unterschiede zu erkennen und wahrzunehmen, ein begabungs- und leistungsfreundliches Klima zu fördern sowie Leistungsschwächen und -hemmnisse zu bedenken.

Wichtige Ergebnisse

Die Karg-Stiftung und die ICBF-Stiftung sehen in der KMK-Förderstrategie eine wichtige Entscheidung zur richtigen Zeit. Die Umsetzung der optimalen Förderung aller Kinder und Jugendlichen auf der Grundlage ihrer Begabungen sei folgerichtig und dringend notwendig, auch angesichts der Befunde internationaler Schulleistungsstudien. Der Bildungs- und Erziehungsauftrag einer möglichst optimalen individuellen Förderung gelte selbstverständlich auch für besonders begabte Kinder und Jugendliche: Auch sie benötigten Annahme und Aufmerksamkeit sowie individualisierende Angebote in der Beratung und Begleitung ihres Bildungsgangs.

Besonders wegweisend sei die Empfehlung der KMK-Strategie, in der Lehrerbildung die Begabtenförderung stärker zu berücksichtigen, da die Qualifikation von Lehrerinnen und Lehrern sowie die Qualität schulischer Angebote und Netzwerke auch bei der Förderung begabter Kinder und Jugendlicher eine Schlüsselfunktion habe.

Notwendig seien zudem ganzheitliche Bildungskonzepte und umfassende Bildungslandschaften in der Begabtenförderung sowie eine verstärkte Begabungsforschung. Diese sollten auf einem übergreifenden Begabungsbegriff basieren, der nicht einseitig kognitive Fähigkeiten, sondern die ganze Person und deren Persönlichkeit in den Mittelpunkt stellt. Dazu bedürfe es insbesondere der Entwicklung und Einführung von praxisnahen Schul- und Unterrichtskonzepten sowie von Erziehungs- und Bildungspartnerschaften in Kooperation aller Akteurinnen und Akteure — verbunden mit einer systematischen Schulbegleit- und Evaluationsforschung.

Im Einzelnen werden folgende Empfehlungen zur Förderung begabter und besonders leistungsfähiger Kinder und Jugendlicher gegeben:

1. Die Förderstrategie für besonders Begabte und Leistungsfähige sollte weiter konsequent in den Auftrag des Bildungssystems eingeordnet und von den Rechten des Kindes auf optimale individuelle Förderung und von dessen Bildungsbedürfnissen her gedacht werden.

2. Jede Schule sollte die Förderung besonders Begabter und Leistungsfähiger als ihre Aufgabe ansehen. Darüber hinaus sollten einzelne Schulen mit einem besonderen Auftrag in der Begabtenförderung ausgestattet werden (Schwerpunktschulen).

3. Die Förderung besonders Begabter und Leistungsfähiger sollte die gesamte Bildungsbiografie umfassen. Vor allem die Bildungsübergänge (Kita – Schule, Grundschule – Sekundarschule, Schule – Hochschule bzw. Berufsbildung) müssten so gestaltet werden, dass Brüche vermieden werden. Einen wichtigen Beitrag könnte hier eine systematische Zusammenarbeit mit externen Bildungspartnern in regionalen Bildungslandschaften leisten.

4. Bei der Förderung wäre eine Orientierung an den Potenzialen und der Person des einzelnen Kindes – auch des besonders begabten und leistungsfähigen Kindes – wichtig, um Über- und Unterforderung zu vermeiden.

5. Beim Zugang zu Förderangeboten sollte Chancengleichheit gewährleistet sein, etwa in Bezug auf die Geschlechtszugehörigkeit, den Migrationshintergrund und soziale Benachteiligung.

6. Die Förderung besonders Begabter und Leistungsfähiger sollte in die Inklusionsagenda einbezogen und eine begabungsförderliche Schulentwicklung unterstützt werden. Dabei sollten Kinder und Jugendliche mit Lernbeeinträchtigungen ebenso berücksichtigt werden wie besonders Begabte und Leistungsfähige. Die Strategien zur Förderung leistungsschwacher und leistungsstarker Schülerinnen und Schüler sollten in eine Strategie zur individuellen Förderung münden.

7. Für die optimale Forderung besonders Begabter und Leistungsfähiger bedürfe es einer Lehrerbildung, die in all ihren Phasen Lehrerinnen und Lehrer dabei unterstützt, vertiefte Kenntnisse und Kompetenzen im Bereich der schulischen und außerschulischen Begabtenförderung zu erwerben. Insbesondere sollten weitere professionelle, praxisnahe und wirksame Qualifizierungsangebote für die Schulen und schulischen Netzwerke geschaffen werden.

8. Die Bildungsforschung sollte sich verstärkt der Zielgruppe der besonders Begabten und der potenziell Leistungsstarken sowie der Begabungs- und Begabtenförderung annehmen. Modelle begabungsförderlicher Schul- und Unterrichtsentwicklung sollten durch Schulbegleitforschung unterstützt und die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit guter Praxis evaluiert werden.

9. Wichtig wäre es, eine systematische Bildungsberatung mit spezifischen, unabhängigen Beratungsangeboten anzubieten. Vor allem sollte die Bedeutung der Familien für die Förderung besonders Begabter und Leistungsfähiger hervorgehoben werden. Darüber hinaus sollten schulische Angebote zum Dialog mit Eltern, Angebote in der Elternbildung sowie in der Familien- und Erziehungsberatung ausgebaut werden.

10. Die bestehenden Ressourcen der Begabtenförderung sollten ausgeschöpft, Beratungs- und Diagnostikressourcen von Schulpsychologie und Erziehungsberatung ausgebaut werden. Es wäre sinnvoll, im Dialog aller Akteure, die für die Gestaltung des Bildungssystems in der Begabungsförderung und speziell in der Förderung besonders Leistungsfähiger Verantwortung tragen, neue Ressourcen zu erarbeiten.