Fachpublikation

OECD-Lernkompass 2030

Thema

Schlüsselkompetenzen, Werte und Wissen im 21. Jahrhundert

Herausgeberschaft

Bertelsmann Stiftung, Deutsche Telekom Stiftung, Education Y. e.V., Global Goals Curriculum e.V., Siemens Stiftung (Hg.)

Erscheinungsort

Gütersloh/Bonn/Düsseldorf/Berlin/München

Erscheinungsjahr

2020

Stiftungsengagement

Bertelsmann Stiftung, Deutsche Telekom Stiftung, Siemens Stiftung

Literaturangabe

OECD-Lernkompass 2030. OECD-Projekt Future of Education and Skills 2030. Rahmenkonzept des Lernens. Deutsche Übersetzung in Verantwortung der Bertelsmann Stiftung, Deutsche Telekom Stiftung, Education Y. e.V., Global Goals Curriculum e.V., Siemens Stiftung. Gütersloh/Bonn/Düsseldorf/Berlin/München 2020.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Die Publikation ist eine deutsche Übersetzung des OECD Learning Compass 2030, der von der OECD 2019 in Vancouver vorgestellt wurde. Der OECD Lernkompass 2030 ist in internationaler Zusammenarbeit von Verantwortlichen aus Politik, Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft der OECD-Staaten entwickelt worden. In einer Zeit vieler Unwägbarkeiten und Krisen soll er Orientierung bieten, wie Schülerinnen und Schüler darauf vorbereitet werden können, ihre Gegenwart und Zukunft, ihr eigenes Leben und ihre Gemeinschaften verantwortungsvoll zu gestalten.

Als deutsche zivilgesellschaftliche Partner im internationalen OECD-Projekt Future of Education and Skills 2030 haben fünf Akteure (Bertelsmann Stiftung, Deutsche Telekom Stiftung, Education Y e.V., Global Goals Curriculum e.V., Siemens Stiftung) an der Entwicklung des Lernkompasses mitgewirkt und gemeinsam beschlossen, eine Übersetzung für den deutschen Sprachraum bereitzustellen. Damit soll der Diskurs und der Wandel in den Bildungslandschaften in Deutschland unterstützt werden. Die interdisziplinäre, generationen- und organisationsübergreifende Kooperation, in der der Lernkompass seit 2015 erarbeitet wurde, wurde auch zum Vorbild für den Übersetzungsprozess. In Zusammenarbeit mit Vertreterinnen und Vertretern aus Schulpraxis und Schülerschaft, Bildungspolitik und -verwaltung, Forschung und Lehre, Aus- und Weiterbildung sowie der Zivilgesellschaft wurden die zentralen Begriffe des Lernkompasses und ihre korrekte Übertragung ins Deutsche diskutiert. Die Übersetzung orientiert sich eng am Original und wenige Begriffe werden in Abstimmung mit den oben genannten Bildungsakteurinnen und -akteuren zu Gunsten des Konzepts weiterhin in Englisch verwendet.

Wichtige Ergebnisse

Aufbau und Inhalte des OECD Lernkompass 2030

Von den OECD-Schlüsselkompetenzen zu den OECD-Transformationskompetenzen

Das Projekt Education and Skills 2030 begann mit der Überarbeitung der Definition und Auswahl von Kompetenzen durch die OECD im Projekt „Theoretical and Conceptual Foundations“ (DeSeCo). Dieses arbeitete von 1997 bis 2003 mit dem Ziel, theoretische und konzeptionelle Grundlagen bereitzustellen, mit denen die Kompetenzen ermittelt werden können, die für ein erfolgreiches Leben und eine gut funktionierende Gesellschaft benötigt wird.

Das Projekt DeSeCo ermittelte drei Kompetenzkategorien als OECD-Schlüsselkompetenzen:

1. Interaktive Anwendung von Medien und Mitteln (Tools) (z.B. Sprache, Technologie)

  • Die Fähigkeit zur interaktiven Anwendung von Sprache, Symbolen und Texten
  • Die Fähigkeit zur interaktiven Nutzung von Wissen und Informationen
  • Die Fähigkeit zur interaktiven Nutzung von Technologien

2. Interagieren in heterogenen Gruppen

  • Die Fähigkeit, gute und tragfähige Beziehungen zu unterhalten
  • Die Fähigkeit zur Zusammenarbeit
  • Die Fähigkeit zur Bewältigung und Lösung von Konflikten

3. Eigenständiges Handeln

  • Die Fähigkeit zum Handeln im größeren Kontext
  • Die Fähigkeit, Lebenspläne und persönliche Projekte zu gestalten und zu realisieren
  • Die Fähigkeit zur Wahrnehmung von Rechten, Interessen, Grenzen und Bedürfnissen

Das OECD-Rahmenkonzept für das Lernen 2030 baut auf dem DeSeCo-Referenzrahmen auf, umfasst aber auch neue Erkenntnisse und Konzepte. Ziel ist es, die Relevanz für die Bildungspolitik zu erhöhen, indem Fragen der Lehrplangestaltung damit verknüpft werden. Das Rahmenkonzept wurde von den Bildungsakteuren als handlungsorientierter und multidirektionaler Bezugsrahmen gestaltet. Jedes seiner Schlüsselkonzepte wurde von thematischen Arbeitsgruppen erarbeitet – in einem kontinuierlichen intensiven Diskussionsprozess und in enger Kooperation mit nationalen und lokalen Regierungsstellen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen, Schulen, Praxisfachkräften, zivilgesellschaftlichen Partnerinnen und Partnern sowie Schülerinnen und Schülern. Der OECD Lernkompass 2030 wird gekennzeichnet als global relevant und global informiert, gleichzeitig aber auch als flexibel genug für eine lokale Kontextualisierung. Die Metapher „Lernkompass“ dient der Veranschaulichung der Kompetenzarten, die Schülerinnen und Schüler benötigen, um den Veränderungen in Umwelt und Alltag nicht passiv ausgesetzt zu sein, sondern zur Gestaltung einer wünschenswerten Zukunft aktiv beizutragen.

Der OECD Lernkompass 2030 besteht aus sieben Elementen:

  • Student Agency und Co-Agency
  • Transformationskompetenzen
  • Lerngrundlagen
  • Wissen
  • Skills
  • Haltungen und Werte
  • Antizipations-, Aktions- und Reflexionszyklus (AAR-Zyklus)

1. Student Agency und Co-Agency für 2030

Das Konzept der Student Agency basiert auf dem Grundsatz, dass Lernende fähig und willens sind, ihr eigenes Leben und ihr Umfeld in positiver Weise zu gestalten. Es handelt sich um die Fähigkeit, sich ein Ziel zu setzen, reflektiert und verantwortungsbewusst zu handeln, um Veränderungen herbeizuführen. Es geht darum, selbstbestimmt zu agieren, anstatt von anderen bestimmt zu werden; die eigene Umwelt zu gestalten, anstatt sie als gegeben hinzunehmen; verantwortungsvoll zu entscheiden und zu wählen, anstatt andere entscheiden zu lassen.

Kernaussagen:

  • Agency setzt die Befähigung und den Willen voraus, das eigene Leben und das Umfeld in positiver Weise zu gestalten.
  • Um Agency in vollem Umfang ausüben zu können, müssen Lernende grundlegende Skills aufbauen.
  • Das Konzept der Student Agency variiert in verschiedenen Kulturen und entwickelt sich im Lebensverlauf immer weiter.
  • Co-Agency wird definiert als interaktive, sich gegenseitig unterstützende Beziehungen – mit Eltern, Lehrkräften, kommunalem Umfeld und untereinander. Diese Beziehungen helfen den Lernenden dabei, ihre Ziele zu erreichen.

2. Transformationskompetenzen für 2030

Kernaussagen:

  • Schülerinnen und Schüler müssen folgende drei Transformationskompetenzen entwickeln, um eine erwünschte Zukunft gestalten zu können: Schaffung neuer Werte, Ausgleich von Spannungen und Dilemmata sowie Verantwortungsübernahme.
  • Zur Schaffung neuer Werte müssen Schülerinnen und Schüler Fragen stellen, mit anderen zusammenarbeiten und versuchen querzudenken, um innovative Lösungen zu finden. Damit wird das Empfinden von Sinnhaftigkeit mit kritischem Denken und Kreativität verknüpft.
  • In einer von Interdependenzen geprägten Welt müssen die Lernenden widersprüchliche oder scheinbar inkompatible Denkweisen und Anforderungen ausgleichen können und sich mit Komplexität und Mehrdeutigkeit vertraut machen. Dies erfordert Empathie und Respekt.
  • Schülerinnen und Schüler, die imstande sind, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen, haben einen starken moralischen Kompass für kritische Reflexion, Zusammenarbeit mit anderen und Achtung für den Planeten.

3. Lerngrundlagen für 2030

Kernaussagen:

  • Was konkret im Jahr 2030 und darüber hinaus zu Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeit gehört, wird sich im Laufe der Zeit verändern. Angesichts der Ausbreitung von Digitalisierung und Big Data in alle Lebensbereiche müssen Kinder und Jugendliche über digitale und datenbezogene Literalität verfügen.
  • Gesundheit als Lerngrundlage heißt, zu wissen und aktiv zu befolgen, was gut und gesund zu leben bedeutet.
  • Um eine Überfrachtung des Lehrplans zu vermeiden, könnten neuere Kompetenzen (wie Finanzkompetenz oder globale Kompetenz) an sinnvoller Stelle in den bestehenden Lehrplan integriert werden, sodass alle Schülerinnen und Schüler sowohl vertiefte Lernerfahrungen machen als auch ihre Lerngrundlagen ausbauen können.

4. Wissen für 2030

Kernaussagen:

  • Disziplinäres oder fachspezifisches Wissen bleibt eine wesentliche Verständnisgrundlage, auf der Lernende andere Wissensarten aufbauen können. Disziplinäres Wissen erwerben zu können, ist auch im Hinblick auf Gerechtigkeit von grundlegender Bedeutung.
  • Interdisziplinäres Wissen kann durch den Transfer von Schlüsselkonzepten wie dem Erkennen logischer Zusammenhänge und dem themenorientierten Lernen, durch die Kombination verwandter Fächer oder die Einführung eines neuen Fachs, aber auch durch die Förderung projektorientierten Lernens in die Lehrpläne integriert werden.
  • Epistemisches Wissen heißt zu erkennen, wie ein Praktiker oder eine Praktikerin denkt und handelt. Es vermittelt den Schülerinnen und Schülern sowohl die Relevanz als auch den Zweck ihres Lernens und hilft bei der Vertiefung ihres Verständnisses.
  • Prozedurales Wissen bezeichnet das Verständnis dafür, wie man einerseits eine Aufgabe ausführt und andererseits durch strukturierte Prozesse arbeitet und lernt. Es ist besonders nützlich bei der Lösung komplexer Probleme.

5. Skills für 2030

Kernaussagen:

  • Computertechnologien haben Arbeitskräfte bei Routine-Aufgaben ersetzt, gleichzeitig sind neue Beschäftigungsmöglichkeiten auf der Grundlage kognitiver (zum Beispiel Kreativität) sowie sozialer und emotionaler Skills für Nichtroutine-Aufgaben entstanden.
  • Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Skills kontinuierlich erweitern; dies verlangt Flexibilität, eine positive Haltung zum lebenslangen Lernen und Neugierde.
  • Soziale und emotionale Skills sind eine Voraussetzung, um Verantwortungsbewusstsein als Bürgerin und Bürger zu entwickeln. Diese Skills sind ebenso wichtig – wenn nicht sogar wichtiger – als kognitive Skills.

6. Haltungen und Werte für 2030

Kernaussagen:

  • Haltungen und Werte werden zunehmend in die Rahmenlehrpläne aufgenommen – was darauf hinweist, dass Kompetenzen mehr bedeuten als Wissen und Skills.
  • Bildungssysteme verfolgen integrierte Ansätze zur Entwicklung von Haltungen und Werten, die sich oft auf kulturelle und gesellschaftliche Traditionen stützen und gleichzeitig globale Herausforderungen adressieren.
  • Neueste technologische Trends, vor allem die Einführung künstlicher Intelligenz, haben Ethik zu einem wichtigen Thema auf der Bildungsagenda gemacht. Die heutigen Schülerinnen und Schüler werden von ihrem Urteilsvermögen im Hinblick auf das Ausmaß, in dem die Technologie zu einer fairen und gerechten Welt beitragen kann oder nicht, profitieren können.

7. Antizipations-, Aktions- und Reflexionszyklus (AAR-Zyklus) für 2030

Kernaussagen:

  • Antizipation bedeutet mehr als nur Fragen zu stellen; sie beinhaltet auch die Einschätzung der Konsequenzen und möglichen Auswirkungen eines Handelns im Vergleich zu einem anderen Handeln oder zum Nichtstun.
  • Aktion bildet eine Brücke zwischen dem, was die Lernenden bereits wissen, und dem, was sie bewirken wollen.
  • Durch Reflexion gewinnen die Lernenden ein Bewusstsein für die Perspektive und Kontrolle des eigenen zukünftigen Handelns als Grundlage für die Ausbildung von Agency.