Studie mit Handlungsempfehlungen

Personalisiertes Lernen mit digitalen Medien

Thema

Potenziale der Digitalisierung für individuelle Lernförderung

Herausgeberschaft

Robert Bosch Stiftung (Hg.)

Autoren/Autorinnen

Wayne Holmes/Stamatina Anastopoulou/Heike Schaumburg/Manolis Mavrikis

Erscheinungsort

Stuttgart

Erscheinungsjahr

2018

Stiftungsengagement

Robert Bosch Stiftung

Literaturangabe

Wayne Holmes/Stamatina Anastopoulou/Heike Schaumburg/Manolis Mavrikis: Personalisiertes Lernen mit digitalen Medien. Ein roter Faden. Hg. v. Robert Bosch Stiftung. Stuttgart 2018.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Hintergrund ist, dass im deutschen Bildungssystem nicht allen Lernenden die gleichen Bildungschancen geboten werden: Der Bildungserfolg in Deutschland hängt nach wie vor stark von der Herkunft ab.

Eine verbreitete Forderung lautet, das Lernen zu personalisieren, um der Vielfalt der Lernenden gerecht zu werden bzw. die Lernenden individuell zu fördern. Die Autor*innen machen deutlich, dass dieser Ansatz in der Praxis aber große Anforderungen stellt – sowohl an die Schülerinnen und Schüler, selbstgesteuert zu lernen, als auch an die Lehrerinnen und Lehrer, sie dabei zu begleiten.

Hier stelle sich die Frage, ob digitale Medien dabei helfen können, personalisiertes Lernen umzusetzen, zum Beispiel indem der jeweilige  Wissensstand diagnostiziert wird, Lerninhalte ausgewählt werden oder  unterstützende Maßnahmen an das Individuum angepasst werden.

Da in Deutschland personalisiertes Lernen mit digitalen Medien noch wenig verbreitet ist, haben die Autorinnen und Autoren in ihrer Studie aktuelle internationale Erkenntnisse zu diesem Thema recherchiert und zusammengestellt. Dabei zeigt sich, dass digitale Medien ein großes Potenzial haben, personalisiertes Lernen effektiv umzusetzen. Allerdings erscheint noch ungewiss, ob dies auch in der Praxis gelingt. Selbst in Ländern wie den USA, die zu den Vorreitern beim Einsatz digitaler Medien im Unterricht gehören, gibt es kaum Evaluationsstudien, die die Wirksamkeit personalisierten Lernens mit digitalen Medien belegen.

Vor diesem Hintergrund geben die Autorinnen und Autoren Empfehlungen, was in Deutschland getan werden kann, um das Potenzial der Digitalisierung für individuelle Lernförderung zu nutzen. Damit wollen sie dazu beitragen, die Qualität von Unterricht zu erhöhen und mehr Chancengleichheit im Bildungssystem zu erreichen.

Wichtige Ergebnisse

Wichtige Ergebnisse

Die Autoren und Autorinnen kommen zu dem Ergebnis, dass die alltägliche Praxis in Schulen fast immer ein gewisses Maß an Personalisierung beinhaltet. Üblicherweise würden Lehrende ihren Unterricht personalisieren, indem sie Schüler*innen mit Lernschwierigkeiten besonders unterstützen, und Schüler*innen, die schnell lernen, zusätzliche Aufgaben übertragen.  

Vor dem Hintergrund der bildungspolitischen Debatte sei personalisiertes Lernen ein vielschichtiger Begriff, der je nach Kontext Verschiedenes bedeuten könne, etwa eigenständiges Lernen oder die Betonung individueller Kompetenzen. Von Bedeutung sei insbesondere, wer die Entscheidungen trifft – politische Akteure, Lehrende oder Lernende. Personalisiertes Lernen mit digitalen Medien betreffe in Schulen mehrere Entwicklungsfelder.

Verschiedene Dimensionen des personalisierten Lernens

Personalisierung kann sich nach Auffassung der Autorinnen und Autoren darauf beziehen,

warum etwas gelernt werden soll (meist von staatlicher Seite festgelegte Lernziele), 

wie etwas gelernt werden soll (Lernansatz),

was gelernt werden soll (Lerninhalte und Lernpfade),

wann etwas gelernt werden soll (Lerntempo),

wer etwas lernen soll (individuell Lernende oder Lerngruppe)

wo etwas gelernt werden soll (Lernkontext).

Die Autor*innen weisen darauf hin, dass diese Dimensionen in der didaktischen und pädagogischen Diskussion schon seit Langem im Zusammenhang mit dem binnendifferenzierten Unterricht diskutiert werden. Aus bisherigen Erfahrungen sei bekannt, dass die Einführung personalisierten Lernens in den Schulunterricht eine Herausforderung darstellen kann. So müssten die Lehrkräfte fachlich geschult werden und sie benötigten Zeit, um ihre Unterrichtspraktiken neu auszurichten. Gleichzeitig müsse den Lernenden ausreichend Gelegenheit gegeben werden, die sozialen Aspekte von Lernen zu erfahren.

Potenziale des digitalen personalisierten Lernens

Vertreter*innen des personalisierten Lernansatzes würden immer öfter auf digitale Lösungen setzen, die Lernangebote mehr oder weniger passgenau auf die einzelnen Schüler*innen zuschneiden. Digitale Lernprogramme und -tools bergen verschiedene Potenziale, zum Beispiel

  • können Lernende dadurch in eine reichhaltige digitale Lernumgebung eintauchen,
  • können Lernende entsprechend ihrer persönlichen Bedürfnisse und Vorlieben individuell unterstützt werden,
  • kann der Entscheidungsspielraum der Lernenden hinsichtlich der Lerninhalte erweitert werden, etwa indem neue Kompetenzen entwickelt werden oder die eigenständige Steuerung der Lernprozesse unterstützt wird,
  • können Lehrkräfte bei Tätigkeiten wie der Leistungsbeurteilung entlastet werden, sodass sie sich stärker auf die sozialen und kreativen Aspekte des Lehrens und Lernens konzentrieren können.

Zu den untersuchten Technologien, die unterschiedlichste Wissensgebiete wie Mathematik, Sprachen und das Schreiben von Aufsätzen abdecken, gehören

  • intelligente tutorielle Systeme,
  • offene Lernumgebungen,
  • intelligente Lernmanagementsysteme sowie
  • Lernnetzwerk-Orchestratoren.

Die Einführung personalisierten Lernens mit digitalen Medien könne durchaus anspruchsvoll sein, so die Autorinnen und Autoren. Es bestünden zahlreiche Hindernisse an deutschen Schulen.

Hindernisse bei der Einführung

  • An vielen Schulen fehle es an der notwendigen Infrastruktur, um personalisiertes Lernen mit digitalen Medien in sämtlichen Klassen einzuführen.
  • Schulen in Deutschland stünden bei der Einführung personalisierten Lernens mit digitalen Medien häufig vor einer doppelten Herausforderung: Sie könnten weder auf umfangreiche Erfahrungen mit Konzepten für individualisiertes oder inklusives Lernen zurückgreifen, noch verfügten sie über ein entsprechendes Medienkonzept.
  • Eine Herausforderung bestehe auch darin, dass personalisiertes Lernen als Widerspruch zum inklusiven Unterricht betrachtet werden kann, der das gemeinsame Lernen betont.
  • Ein weiteres Hindernis seien die vergleichsweise hohen Entwicklungs- und Anschaffungskosten.
  • Auch die ungeklärten Fragen im Hinblick auf Datenschutz und Datensicherheit wirkten sich hinderlich aus. Das betreffe vor allem Programme, die in großem Umfang personenbezogene Daten wie zum Beispiel individuelle Nutzerbewegungen und Eingaben speichern, um daraus individualisierte Lernpfade, Diagnosen und Rückmeldungen zu erzeugen.
  • Derzeit seien nur wenige personalisierte digitale Lernwerkzeuge in deutscher Sprache verfügbar, weshalb Schulen bei der Implementierung personalisierten Lernens in Deutschland noch enge Grenzen gesetzt seien.
  • Es könnten wichtige soziale Lernformen verdrängt werden, wenn die Algorithmen allzu einfach bestehende Stereotype verstärken.
  • Die wichtigste Einschränkung wird jedoch darin gesehen, dass nahezu alle derzeit verfügbaren personalisierten digitalen Lernwerkzeuge bislang nur im Rahmen einzelner experimenteller Studien oder von Modellvorhaben evaluiert wurden. Das bedeute, dass ein belastbarer Nachweis ihrer Wirksamkeit in der Breite noch ausstehe und keine Prognose getroffen werden könne, welches Lernwerkzeug in der Praxis am besten funktionieren wird.

Die Autorinnen und Autoren möchten mit ihrem Bericht die Entscheidungsfindung bei diesem Thema unterstützen. Sie stellen dafür  einen anschaulichen Analyserahmen für einzelne Ansätze personalisierten Lernens mit digitalen Medien zur Verfügung und formulieren darüber hinaus eine Reihe empirisch gestützter Leitlinien für die Einführung solcher Ansätze. Damit sollen Akteure im Schulbereich dabei unterstützt werden, selbst zu beurteilen, ob ein personalisiertes digitales Lernwerkzeug zu ihrer Unterrichtspraxis und den Lernbedürfnissen ihrer Schüler*innen passt.

Im Ergebnis wird festgestellt, dass personalisiertes Lernen mit digitalen Medien ein vielversprechender Ansatz ist, der weiter verfolgt werden sollte, zumal es mittlerweile eine Reihe außergewöhnlicher digitaler Lernwerkzeuge gibt. Deutlich werde aber auch, dass personalisiertes Lernen mit digitalen Medien kein „Wundermittel“ sei.

Leitlinien für die erfolgreiche Einführung personalisierten Lernens mit digitalen Medien

Für die erfolgreiche Umsetzung formulieren die Autorinnen und Autoren deshalb folgende Leitlinien:

  • Das Lernen sollte in den Mittelpunkt gestellt werden. Ausgangspunkt personalisierten Lernens seien immer die Schülerinnen und Schüler, nicht die Technik.
  • Personalisiertes Lernen mit digitalen Medien sollte als Teil eines Blended-Learning-Ansatzes eingeführt werden. Auch bei personalisiertem Lernen könnten digitale Medien die Unterstützung und Rückmeldung durch die Lehrkräfte ebenso wenig ersetzen wie die Interaktion und den Austausch mit Mitschüler*innen.
  • Notwendig sei, geeignete Rahmenbedingungen für personalisiertes Lernen mit digitalen Medien herzustellen. Personalisiertes Lernen mit digitalen Medien erfordere weitere Maßnahmen wie die Ausstattung der Schulen mit der notwendigen technischen Infrastruktur (inklusive des nötigen Unterstützungskonzepts für eine nachhaltige Nutzung), ein entsprechendes Fortbildungskonzept, die Unterstützung von Kooperationen im Kollegium, den Rückhalt der Schulleitung für innovationsbereite Lehrkräfte und vor allem genügend Zeit. Personalisiertes Lernen mit digitalen Medien könne nur erfolgreich implementiert werden, wenn die Bereitschaft bestehe, Schule grundsätzlich zu verändern.
  • Es müsse für die nötige Flexibilität gesorgt werden, die personalisiertes Lernen mit digitalen Medien erfordert. Hierzu zählten beispielsweise ein flexibler Umgang mit dem Lehrplan oder mit Bewertungs- und Beurteilungsformen und -maßstäben.
  • Datenschutz und Datensicherheit müssten gewährleistet sein.
  • Programme und die ihnen zugrunde liegenden Algorithmen müssten kritisch hinterfragt werden.

Aufgaben von Politik, Verwaltung und Stiftungen

Politik, Verwaltung und Stiftungen können maßgeblich dazu beitragen, dass personalisiertes Lernen mit digitalen Medien in Schulen erfolgreich eingeführt werden kann. Was bedarf es dafür aus Sicht der Autorinnen und Autoren?

  • Eine bildungspolitische Strategie sollte die strategischen Ziele der Individualisierung und der Inklusion sowie der Digitalisierung der Bildung synergetisch miteinander verknüpfen.
  • Länder, Kommunen und Schulen sollten gemeinsam neue Ausstattungsstrategien und Supportkonzepte entwickeln. Schulen müssten individualisierbare Programme und Lernplattformen kostengünstig zur Verfügung gestellt werden, die den Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit gerecht werden.
  • Die Entwicklung deutscher Lernwerkzeuge sollte langfristig gefördert werden und in enger Zusammenarbeit mit dem Praxisfeld Schule umgesetzt werden, um die Anwendbarkeit der Entwicklungen sicherzustellen.
  • Projekte sollten gefördert werden, die auf existierenden Technologien aufbauen. Innovation würde dadurch zu einem iterativen und nachhaltigen Prozess werden.
  • Lernwerkzeuge sollten vor der Verbreitung in der Praxis unter realen Bedingungen evaluiert werden. Dies sollte laufende formative wie auch summative Evaluationen in größerem Maßstab umfassen.