Studie

Woher und wohin. Soziale Herkunft und Bildungserfolg

Thema

Soziale Herkunft und Bildungserfolg

Herausgeberschaft

Wübben Stiftung

Autoren/Autorinnen

Isabell van Ackeren/Esther Dominique Klein

Erscheinungsort

Düsseldorf

Erscheinungsjahr

2014

Stiftungsengagement

Wübben Stiftung

Literaturangabe

Woher und wohin. Soziale Herkunft und Bildungserfolg. Zentrale Grundlagen und Befunde der Schulleistungsvergleichsstudien. Eine Expertise von Prof. Dr. Isabell van Ackeren und Dr. Esther Dominique Klein im Auftrag der Wübben Stiftung. Düsseldorf 2014.

Ziel, Fragestellung, Vorgehensweise

Verschiedene, insbesondere internationale Schulleistungsvergleichsstudien in den letzten 15 Jahren kamen zu dem übereinstimmenden Ergebnis, dass in keinem anderen vergleichbaren Land die soziale Herkunft so stark über die Zukunft von Kindern entscheidet wie in Deutschland.

Die Wübben Stiftung engagiert sich für Kinder und Jugendliche, die durch ihre Herkunft in Bezug auf ihre Lebenschancen benachteiligt sind. Sie unterstützt Akteure des Bildungs- und Jugendhilfesystems bei der Entwicklung, Verbreitung und Verbesserung wirksamer Angebote und sucht aktiv nach Kooperationen, etwa mit Kommunen und Schulen.

In der Expertise werden aktuelle Befunde zum Zusammenhang von Bildungserfolg und sozialer Herkunft auf der Basis internationaler, nationaler, bundesländerübergreifender sowie landesweiter Schulleistungsstudien zusammengestellt. Autorinnen sind Prof. Dr. Isabell van Ackeren und Dr. Esther Dominique Klein (Universität Duisburg-Essen, Fakultät für Bildungswissenschaften).

Wichtige Ergebnisse

Auswertung der Schulleistungsstudien

Alle ausgewerteten Schulleistungsstudien (PISA, TIMSS, IGLU, DESI, IQB-Ländervergleich, LAU und KESS) bestätigen empirisch einen systematischen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg: Schülerinnen und Schüler aus Elternhäusern mit einem höheren sozioökonomischen Status haben in ihrer Schulkarriere bessere Zugangschancen zu Bildung und größere Lernerfolge, sie erreichen durchschnittlich bessere Leistungen und höhere Bildungsabschlüsse als Schülerinnen und Schüler aus sozial schwächeren Familien.

Die Gründe für die geringere Bildungsbeteiligung und niedrigeren Lernerträge sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher liegen einerseits in den geringeren Ressourcen der Familien, um sie auf dem Bildungsweg zu unterstützen, sowie in den unterschiedlichen Bildungsaspirationen und Erfolgserwartungen der Eltern, die sich auf Bildungsentscheidungen auswirken, zum Beispiel bei der Wahl einer weiterführenden Schule. Andererseits entstehen Ungleichheiten auch durch eine selektive Empfehlungspraxis der Schulen, etwa im Übergang von der Grundschule zu den weiterführenden Schulen.

  • Lesen: Bereits am Ende der Grundschulzeit besteht in Deutschland ein im OECD-Vergleich überdurchschnittlich starker Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler und ihrer Lesekompetenz: Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern (gemessen am Buchbesitz) haben in den IGLU-Studien am Ende der Grundschulzeit einen Leistungsvorsprung von etwa einem Lernjahr vor Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern. In der Sekundarstufe I vergrößert sich der Abstand weiter. In der Grundschule machen Schülerinnen und Schüler aus sozial benachteiligten Milieus zudem jeweils mehr als zwei Drittel der Legastheniker und der Leseschwachen aus, in der Gruppe der Lesestarken dagegen nur etwa ein Drittel. Allerdings hat sich in den letzten Jahren der Zusammenhang zwischen Kompetenzen und sozialer Herkunft seit der ersten PISA-Studie 2000 abgeschwächt: Aufgeholt haben vor allem Schülerinnen und Schüler im unteren Leistungsbereich, unter denen Kinder aus sozial schwächeren Elternhäusern stärker vertreten sind.
  • Mathematik: Auch bei den Mathematikkompetenzen erreichen Kinder aus besser gestellten sozialen Milieus im Ländervergleich der Kultusministerkonferenz am Ende der Grundschule im Schnitt einen Leistungsvorsprung von etwa einem Schuljahr gegenüber Kindern aus niedrigeren sozialen Milieus. Laut TIMS-Studie erreichen benachteiligte Kinder häufiger nur die unterste Kompetenzstufe, laut PISA ist der Zusammenhang zwischen Herkunft und mathematischer Kompetenz in Deutschland ausgeprägter als im OECD-Durchschnitt. Mathematische Kompetenzen scheinen dabei stärker durch das Bildungsniveau der Eltern, die Dauer des Kindergartenbesuchs und den Erwerbsstatus der Eltern beeinflusst zu werden, Kompetenzen in Deutsch und Englisch dagegen stärker durch kulturelle Besitztümer.
  • Naturwissenschaften: In den Naturwissenschaften beträgt der Lernrückstand sozial benachteiligter Kinder gemäß der TIMS-Studie am Ende der Grundschulzeit ebenfalls etwa ein Lernjahr. Auch bei den naturwissenschaftlichen Kompetenzen ist dieser Unterschied größer als im internationalen Vergleich und steht im direkten Zusammenhang mit der beruflichen Stellung der Eltern: So finden sich auf der untersten Kompetenzstufe in den Naturwissenschaften fast gar keine Kinder aus der höchsten Berufsklasse der EGP-Kategorisierung (Index für die berufliche Stellung nach Erikson/Goldthorpe/Portocarero), wohingegen Kinder von un- und angelernten Arbeiterinnen und Arbeitern (niedrigste EGP-Klasse) auf der untersten Kompetenzstufe in den Naturwissenschaften von allen Berufsklassen am stärksten vertreten sind. Für die naturwissenschaftlichen Kompetenzen spielt auch das Naturwissenschaftsinteresse in der Familie eine Rolle.

Fachübergreifende Befunde: Die Autorinnen stellen fest, dass in allen Fächern der starke Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Lernerträgen in den letzten 15 Jahren kontinuierlich erhalten geblieben ist. Soziale Disparitäten bestünden bereits am Ende der Grundschulzeit, doch öffne sich die soziale Schere insbesondere zwischen der Grundschule und dem Ende der Pflichtschulzeit weiter. Die Studien deuteten allerdings – je nach Fach – an, dass die Gruppe der Schülerinnen und Schüler mit den geringsten Kompetenzen kleiner geworden ist.

Hauptschülerinnen und Hauptschüler tragen die größten Bildungsrisiken: Knapp die Hälfte von ihnen liegt in den mathematischen Kompetenzen auf der niedrigsten Kompetenzstufe oder darunter. Hauptschulen wiederum werden mit 45 Prozent in erhöhtem Maße von Schülerinnen und Schülern aus niedrigeren sozialen Schichten besucht. Diese Problemlagen verdichten sich insbesondere in städtischen Ballungsräumen und werden von Einkommensarmut verstärkt.

Auch zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und Bildungserfolg: Berücksichtige man allerdings, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in Deutschland tendenziell einen ungünstigeren sozioökonomischen Status haben, würden sich die Kompetenzunterschiede zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund deutlich verringern, so die Autorinnen.

Deutlich werde auch, dass der Rückstand sozioökonomisch benachteiligter Schülerinnen und Schüler im Laufe der Schulzeit immer größer wird.

Bereits beim Besuch eines Kindergartens nutzen Kinder aus niedrigeren sozialen Schichten Angebote im Elementarbereich seltener oder für kürzere Zeit. Gleichzeitig zeige sich ein hoher Einfluss des Kindergartenbesuchs auf die Leistungen in der Sekundarstufe I.

Beim Übergang in die Sekundarstufe I werde deutlich, dass Kinder aus Elternhäusern mit einem niedrigerem sozialen Status bei gleichen Leistungen eine bis zu viermal niedrigere Chance gegenüber Kindern aus Elternhäusern mit höherem sozialen Status haben, am Ende der Grundschulzeit eine Empfehlung für das Gymnasium zu erhalten. Einen wichtigen Grund sehen die Autorinnen darin, dass Lehrkräfte bei der Übergangsentscheidung nach der Grundschule nicht nur Schulleistungen, sondern auch die soziale Herkunft und das damit verknüpfte (angenommene) unterschiedliche Unterstützungspotenzial berücksichtigen. Eltern niedrigerer sozialer Milieus wählten zudem eher Schulformen, die zur Ausbildungsreife führen und wichen – wenn überhaupt – eher nach unten von der Empfehlung ab. Das verstärke die Segregation zwischen Schulformen und –standorten mit der Folge ungünstiger Voraussetzungen für die Vermittlung relevanter Kompetenzen. Durch diese Selektion lernen in der Sekundarstufe I Schülerinnen und Schüler ähnlicher sozialer Milieus zusammen.

Die Autorinnen stellen fest, dass die soziale Zusammensetzung der Schule oder Klasse zu Kompositionseffekten innerhalb von Schulen und Schulklassen führe und in der Regel einen höheren Einfluss auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler habe als deren individuelle soziale Herkunft.

Auch in der gymnasialen Oberstufe sei eine Verteilung zuungunsten von Schülerinnen und Schülern aus sozial schwächeren Familien erkennbar. Zudem profitierten nur wenige Kinder aus den am stärksten benachteiligten sozialen Milieus von der Möglichkeit eines Übergangs in die gymnasiale Oberstufe aus anderen Schulformen (Quereinstieg).

Auch im Zugang zur Hochschule setzen sich die Diskrepanzen fort: Absolventinnen und Absolventen aus bildungsferneren oder sozial schwächeren Familien sind unter den Studienanfängerinnen und Studienanfängern nur unterdurchschnittlich vertreten.